Franz Grüter, Nationalrat und VR-Präsident green.ch, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Grüter, Sie haben zusammen mit einem breit abgestützten Komitee die Initiative «Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie (E-Voting-Moratorium)» lanciert. Sie fordern ein Moratorium von mindestens fünf Jahren, das erst aufgehoben werden soll, wenn eine absolut sichere Lösung entwickelt worden sei. Absolut sicher ist aber wohl nie ein Verfahren, auch das heutige mit der brieflichen Abstimmung nicht. Wollen Sie einfach das E-Voting für immer verunmöglichen?
Franz Grüter: E-Voting ist heute unsicher. Das bestätigen die Experten und Leute aus der Praxis. Und das zeigen auch die jüngsten konkreten Vorfälle in der Schweiz und im Ausland. Das Problem bei E-Voting ist, dass wir durch die zentrale Architektur ein sehr grosses und skalierbares Sicherheitsrisiko haben. Es können grossflächig und unbemerkt Manipulationen vorgenommen werden. Zudem legen wir das Wissen über die Korrektheit der Auszählungen von Wahlen und Abstimmungen in die Hände von ein paar wenigen IT Experten, die diese eine verbleibende Plattform betreuen. Für eine funktionierende Demokratie müssen Wahlen und Abstimmungen sicher ablaufen. Nur so ist unsere Demokratie glaubhaft und funktionsfähig. Dazu müssen wir Sorge tragen.
«Das Problem bei E-Voting ist, dass wir durch die zentrale Architektur ein sehr grosses und skalierbares Sicherheitsrisiko haben.» Franz Grüter, Nationalrat und VR-Präsident Green.ch
In den USA ist eine heftige Debatte darüber ausgebrochen, inwieweit andere Staaten, vor allem Russland, die Präsidentschaftswahlen beeinflusst haben könnten. Ist die Gefahr über die Beeinflussung der Sozialen Medien, der traditionellen Medien und der direkten Beeinflussung von Politikern nicht viel grösser, als die Manipulation von Wahlergebnissen über das E-Voting?
Heute ist alles möglich. Bei vielen Sachgeschäften geht es heute bereits um Milliardeninvestitionen, denken Sie nur etwa an den Bau eines Gotthardtunnels. Oder die Auswirkungen, welche Regierung ein Land führt. Manche Abstimmungen entscheiden sich in der Schweiz mit einigen tausend Stimmen. Eine elektronisch sehr einfach zu manipulierende Grösse also. Die Erfahrungen zeigen, dass jedes vorhandene Mittel recht ist, um die eigenen Interessen zu verfolgen. Und es werden auch verschiedene Mittel parallel eingesetzt. Die Devise lautet, je günstiger und effektiver, umso besser. Zudem ist es gerade ein essentieller Unterschied, ob man das Meinungsklima beeinflussen will oder eben direkt die Abstimmungen und Wahlen manipulieren kann. Das ist der springende Punkt. Grossmächte setzen ihre Macht heute auch im Cyberraum ein, und betiteln in ihren Nachrichtendienstzielen E-Voting Systeme als interessante Angriffsziele.
Das praktisch identische Anliegen als parlamentarische Initiative unterlag in der Herbstsession im Nationalrat mit 98 zu 80 Stimmen bei 16 Enthaltungen. Weshalb glauben Sie, dass im Volk die Stimmung anders sein wird?
Die Politiker und Beamten, die E-Voting befürworten meinen, sie seien damit modern und fortschrittlich. Der blinde Fortschrittsglaube ist in solchen Kreisen viel grösser als in der Bevölkerung. Die Bevölkerung denkt ganzheitlicher und ist meistens viel sensibler, wenn es um die Abwägung von politischen Risiken und Nebenwirkungen geht. Ich bin als IT-Unternehmer überhaupt kein Technologie- oder Innovationsverhinderer. Aber in diesem speziellen Gebiet sollte die Sicherheit und das Vertrauen in Wahlen und Abstimmungen oberste Priorität haben.
«Ein zweifelhaftes Resultat würde das gesamte Vertrauen in Demokratie und somit auch in den Staat erschüttern. Das würde an den Fundamenten unseres Erfolgsmodelles Schweiz rütteln.»
Als Mitgründer und VR-Präsident von green.ch bauen Sie gerade aktuell ein neues Hochsicherheits-Rechenzentrum in dem sich offenbar Google einmieten wird. Wenn für hochsensible und vertrauliche Daten und Abläufe von Grossfirmen die Sicherheit gewährleistet werden kann, wieso soll das für ein Abstimmungsverfahren nicht möglich sein?
Wahlen und Abstimmungen sind etwas ganz anderes. Unsere Abstimmungen und Wahlen sollen geheim stattfinden, aber dennoch überprüfbar sein. Das Stimmgeheimnis muss gewahrt sein und trotzdem muss das Resultat nachvollziehbar sein Das ist eine ganz andere Ausgangslage, als wenn wir zum Beispiel über E-Banking diskutieren, wo meine Bank mein typisches Verhalten kennt und dadurch meine Handlungen auch nachvollziehen kann. E-Voting unterliegt aber ganz anderen Prinzipien, was eine andere Risikobeurteilung verlangt. Ein zweifelhaftes Resultat würde das gesamte Vertrauen in Demokratie und somit auch in den Staat erschüttern. Das würde an den Fundamenten unseres Erfolgsmodelles Schweiz rütteln.
Das E-Voting System der Post ermöglicht individuelle (Stimme wurde unverändert übermittelt) und universelle (Stimme wurde ausgezählt) Überprüfbarkeit und wird für die Stimmabgabe der Auslandschweizer eingesetzt. Reicht diese Sicherheit nicht aus und was würde eine Annahme Ihrer Initiative für die Auslandschweizer bedeuten?
Das E-Voting-System wird aktuell für Auslandschweizer teilweise eingesetzt. Einerseits kann das ein guter Stresstest sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir andererseits mit demokratischen Institutionen solche Experimente unter Realbedingungen durchführen sollten. Mit der Initiative würde das E-Voting-System auch für Auslandschweizer sistiert werden. Dies nicht um den Auslandsschweizern etwas wegnehmen zu wollen, sondern um auch für sie ein sicheres demokratisches Instrument zu gewährleisten. Wir haben für Auslandschweizer taugliche Alternativen zu E-Voting aufgezeigt, die man umsetzen könnte.
Der Kanton Genf hat nach einigen Negativschlagzeilen von sich aus den Test mit E-Voting auf 2020 beendet, andere Kantone sagen geplante Test ab. Braucht es die Initiative überhaupt noch, wenn die Kantone E-Voting nicht einführen wollen und die jungen Stimmbürger, nach der Erfahrung aus Genf, auch durch E-Voting nicht zu mehr Teilnahme an Abstimmungen zu motivieren sind?
Diese Beispiele bestätigen gerade, dass es die Initiative braucht. Denn von Bern aus will man das E-Voting durchdrücken, wider besseren Wissens. Das Motto der Bundeskanzlei «Sicherheit vor Tempo» gilt nicht mehr. E-Voting ist aber zu unsicher und bringt auch nicht den erhofften Effekt. Das bestätigen auch die Erfahrungen aus anderen Ländern, wo man die Projekte ebenfalls gestoppt hat.
«Eine Grundvoraussetzung, damit E-Voting eingeführt werden kann, ist eine dezentrale Lösung, bei der die Wahl- und Abstimmungsresultate durch Menschen ohne besondere Fach- und Sachkenntnisse rückverfolgt werden können.»
Die Schweiz hinkt im Bereich E-Government in fast allen Bereichen dem europäischen Durchschnitt hinterher (elektronische Identität, digitale Signatur, eSafe…), Estland hat schon seit 2005 den ersten digitalen Abstimmungskanal. Was muss getan werden, damit die Schweiz ihre gesamthaft gute Position bei der Digitalisierung und Innovation nicht durch ein rückständiges und zersplittertes Behördensystem aufs Spiel setzt?
E-Government muss natürlich weiter vorangetrieben werden. Zu Gunsten der Unternehmen und Bürger müssen die Behörden die Digitalisierung nutzen um als Staat transparenter und effizienter zu werden. Die drei wichtigsten Projekte sind in diesem Bereich aus meiner Sicht:
- Die Erhöhung der Cybersicherheit in der Schweiz.
- Die Einführung einer nationalen elektronischen Identität (E-ID).
- Die Ausweitung und Einführung digitaler Dienstleistungen im Verkehr der Bürgerinnen und Bürger mit dem Staat. Dazu gehört auch E-Collecting. Es ist aber auch eine Stärke der Schweiz, die wir unbedingt nutzen sollten, dass Innovationen Bottom-Up geschehen können.
Das aktuelle E-Voting System basiert immer noch darauf, dass Codes per Post verschickt werden müssen. Wenn es also nicht wirklich bedeutend schneller ist, nicht wirklich einfacher, sicher nicht günstiger und kaum mehr Abstimmende an die Urnen bringt, welche Gründe gibt es aus Ihrer Sicht, ein E-Voting in Zukunft einzuführen?
In Zukunft könnten einige dieser Probleme gelöst werden – etwa durch dezentrale Architekturen. Dafür muss man aber zuerst saubere Grundlagen schaffen und in weniger sensiblen Bereichen explorativ vorangehen, zum Beispiel mit dem elektronischen Fahrausweis, mit E-Collecting oder wie oben angetönt mit Vereinfachungen durch E-Government. Eine Grundvoraussetzung, damit E-Voting eingeführt werden kann, ist eine dezentrale Lösung, bei der die Wahl- und Abstimmungsresultate durch Menschen ohne besondere Fach- und Sachkenntnisse rückverfolgt werden können. Unsere Initiative will genau dies erreichen. Wir wollen nicht E-Voting auf Lebzeiten verhindern. Massstab der Sicherheit ist die Abstimmung per Urne.
Die Grundlage für praktisch alle digitalen Dienste im Behörden-Umfeld wäre eine elektronische Identität (eID) und eine damit verbundene digitale Signatur. Gerade hier will sich der Bund auf die Rolle der Kontrollinstanz zurückziehen und anderen Partnern (z.B. Banken, Versicherungen, Detailhändlern) die Herausgabe der eID erlauben. Diese erhoffen sich damit eine engere Kundenbindung, exklusive Angebote und auch die Generierung wertvoller Transaktionsdaten. Das dürfte mindestens ebenso missbrauchsanfällig und aus staatspolitischer Sicht noch bedenklicher sein als das E-Voting. Werden Sie hier ebenfalls aktiv werden?
In diesem Bereich muss man zuerst schauen, wo die Reise wirklich hingeht. Das Geschäft ist mitten in der parlamentarischen Beratung und somit sind wohl auch noch nicht alle Parameter in Stein gemeisselt. Eine kluge Aufgabenteilung zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in diesem Bereich ist aber unerlässlich und soll auch ein wesentlicher Treiber für Innovation bleiben. Mit der angedachten Lösung ist zudem sichergestellt das eine breite Marktpenetration gewährleistet werden kann.
Wie gehen Sie vor, um die nötigen Unterschriften zur Initiative zusammen zu bringen, welche Rolle werden dabei die Sozialen Medien spielen?
Wir fahren im Moment eine grosse Vorkampagne und suchen 10’000 Unterstützer/-innen die sich verpflichten mindestens fünf Unterschriften zu bringen. Unter www.evoting-moratorium.wecollect.ch kann man sich jetzt als Unterstützer melden. Wir wollen zeigen, dass gerade die junge und digital ausgerichtete Generation grosse Zweifel und Vorbehalte hat gegenüber E-Voting. Wer innovativ und Technologie-affin ist, muss nicht dem blinden Fortschrittsglauben erliegen. Bis jetzt zeigt sich, dass gerade die Experten und Praktiker, sowie Jungparteien von links bis rechts die grössten Gegner sind von E-Voting. Unser Komitee ist extrem breit und über alle Parteien hinweg aufgestellt.
Der Gesprächspartner:
Zusammen mit seiner Familie lebt Franz Grüter in Eich (Luzern). Er engagiert sich beim FC Luzern und besucht regelmässig die Heimspiele seines Lieblingsvereins. Entspannen kann er sich am besten in der Natur, zum Beispiel auf einer Biketour oder beim Wandern. Am 29. Juli 1963 wurde er in Luzern geboren und verbrachte seine Jugendzeit in Ruswil (LU).
Seit 2008 ist Franz Grüter zuerst als CEO und aktuell als Verwaltungsratspräsident der green.ch Gruppe für die strategische Ausrichtung der beiden Unternehmen green.ch AG und Green Datacenter AG verantwortlich. Die Unternehmensgruppe zählt zu den führenden ICT-Unternehmen der Schweiz. Nach einer abgeschlossenen Ausbildung als eidg. dipl. Marketingplaner und Elektrotechniker HF, startete er bereits 1990 seine Unternehmerkarriere als Geschäftsleitungsmitglied einer grossen schweizerischen Unternehmung in der Elektronikbranche. Später gründete und leitete er erfolgreich verschiedene Internetfirmen. Seine weiteren beruflichen Stationen führten ihn nach China, wo er während zwei Jahren für ein Schweizer Unternehmen tätig war und im Anschluss wieder ins Telekom-Geschäft einstieg.
Zurück in der Schweiz übernahm er 2002 die KPNQwest sowie das Unternehmen TIC The Internet Company AG. 2008 übernahm er schliesslich den Internetprovider green.ch und fusionierte das Unternehmen mit TIC The Internet Company.
Im Oktober 2015 wurde Franz Grüter für die SVP Luzern in den Nationalrat gewählt.
Hintergrundartikel der «Republik» zur E-Voting-Lösung der Post:
Das heikle Geschäft mit der Demokratie
Für die Schweizerische Post ist E-Voting ein Prestigeprojekt. Dabei setzt sie auf Technologie der spanischen Firma Scytl. Jetzt zeigen Republik-Recherchen: Der Marktführer für E-Voting hat EU-Gelder zweckentfremdet, Wahlen in den Sand gesetzt – und Sicherheitsprobleme bei der Stimmabgabe. Lesen Sie hier den Artikel…