Brexit-Verhandlungen: EU drückt aufs Tempo
Brüssel – Nach dem Parteitag der britischen Konservativen will die Europäische Union in nur zwei Wochen einen Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen erreichen. Nun «sollten wir zur Sache kommen», forderte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag. Er bot London erneut ein umfassendes Handelsabkommen und deutete Zugeständnisse bei der zentralen Streitfrage an: der Vermeidung einer harten Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland.
Die Verhandlungen über den britischen EU-Austritt 2019 lagen seit Wochen praktisch auf Eis, weil die britische Regierungschefin Theresa May sich internen Gegnern ihres Brexit-Kurses erwehren muss. Den Parteitag der Konservativen in Birmingham überstand May jedoch unbeschadet. Bei der EU wächst nun die Hoffnung, dass bis zum EU-Gipfel am 17. Oktober eine Grundsatzeinigung gelingen kann. Auch das Europaparlament fordert einen raschen Abschluss.
Die Irland-Frage im Fokus
Kurzfristig geht es fast ausschliesslich um die Irland-Frage: Eine feste Grenze mit Kontrollen soll vermieden werden, weil eine Teilung der Insel den Nordirland-Konflikt wieder anheizen könnte. Die EU verlangt eine Garantieformel, den sogenannten Backstop. Der britische Brexit-Minister Dominic Raab hatte zuletzt neue Vorschläge angekündigt. Auch EU-Unterhändler Michel Barnier deutete Bewegung an.
Tusk sagte nach einem Treffen mit dem irischen Premier Leo Varadkar in Brüssel, die EU stehe hinter Irland und der Notwendigkeit, den Friedensprozess zu bewahren: «Obwohl die britische Regierung unseren ursprünglichen Vorschlag für einen «Backstop» zurückgewiesen hat, geben wir nicht auf, eine umsetzbare Lösung zu suchen.» Varadkar betonte, Irland bleibe bei seinen Forderungen. Er wünsche sich eine Einigung «bis November, wenn irgend möglich».
«Politische Erklärung» oder chaotischer Bruch?
Zweiter Knackpunkt für die nächsten Tage ist die geplante «politische Erklärung» mit Eckpunkten der künftigen Beziehungen Grossbritanniens zur EU. Sie soll das Austrittsabkommen begleiten. Wird man sich über beides einig, kommt unmittelbar nach dem Brexit am 29. März 2019 eine knapp zweijährige Übergangsfrist, in der sich fast nichts ändert. Dann könnte man Details in Ruhe aushandeln. Scheitern indes die Verhandlungen, käme es in knapp einem halben Jahr wohl zu einem chaotischen Bruch, was der Wirtschaft zunehmend Sorge bereitet.
May will mehr als «Kanada-plus-plus-plus»
Tusk sagte, die EU stehe zum Angebot eines «Kanada-plus-plus-plus»-Abkommens. Gemeint ist ein Pakt wie das EU-Kanada-Abkommen Ceta, nur wesentlich umfassender und enger. «Der EU ist es ernst damit, das bestmögliche Abkommen zu erreichen», sagte Tusk.
May will allerdings noch mehr: Ihr sogenannter Chequers-Plan läuft im Warenverkehr auf eine Anbindung Grossbritanniens an den EU-Binnenmarkt hinaus. Das lehnt die EU ab, weil London nicht mehr alle Regeln des gemeinsamen Marktes einhalten will, vor allem nicht die Vorgabe, dass EU-Bürger überall leben und arbeiten dürfen. May hatte beim Parteitag in Birmingham ihren Kurs bekräftigt und ihre Partei zur Einigkeit aufgerufen. Grossbritannien stehe nach dem EU-Austritt eine rosige Zukunft bevor. An die Adresse der EU sagte May: «Ich habe die EU mit nichts anderem als Respekt behandelt – und Grossbritannien erwartet das gleiche.»
Tusk griff dies am Donnerstag auf und sagte, er vertrete die Position der EU immer ehrlich und ohne drumherum zu reden: «Die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie schwierig und unangenehm ist, ist der beste Weg, Partnern Respekt zu zeigen.» Gleichzeitig verwahrte sich Tusk mit scharfen Worten gegen Äusserungen des britischen Aussenministers Jeremy Hunt, der die EU in einem Atemzug mit der Sowjetunion genannt hatte. Ein solcher Vergleich sei töricht und beleidigend, sagte Tusk. «Inakzeptable Bemerkungen, die die Temperatur hochtreiben, bringen nichts, ausser noch mehr Zeit zu verschwenden.» (awp/mc/pg)