Gewerkschaften lehnen Rahmenabkommen mit der EU ohne Lohnschutz ab
Bern – Macht die Schweiz in den Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU beim Lohnschutz und den flankierenden Massnahmen Abstriche, drohen die Gewerkschaften mit dem Referendum. Sie reagieren damit auf Aussagen von Bundesrat Ignazio Cassis.
Der Aussenminister hatte am Mittwoch im Radio SRF verlauten lassen, die Schweiz und die EU müssten bei den Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen über den eigenen Schatten springen und kreative Wege finden.
Die EU kritisiert die flankierenden Massnahmen der Schweiz zum Schutz des Arbeitsmarkts seit rund zehn Jahren. Insbesondere die achttägige Anmeldefrist für EU-Dienstleister in der Schweiz ist ihr ein Dorn im Auge. Sie fordert Entgegenkommen von der Schweiz, etwa die Übernahme der EU-Entsenderichtlinien.
Die Äusserungen Cassis› stellen für die Gewerkschaften eine Infragestellung der flankierenden Massnahmen dar. Damit ist in ihren Augen die rote Linie des Bundesrats für die Verhandlungen überschritten.
An einer gemeinsamen Medienkonferenz erklärten die Dachverbände Schweizerischer Gewerkschaftsbund (SGB) und Travail.Suisse sowie ihre grössten Mitgliedergewerkschaften Unia und Syna am Freitag, vom Erhalt der flankierenden Massnahmen hänge ihre Zustimmung zu einem Rahmenabkommen ab.
Flankierende Massnahmen ausnehmen
Die Acht-Tage-Frist, die Kautionspflicht und die gesamten flankierenden Massnahmen müssten vom Rahmenabkommen ausgenommen bleiben. Cassis habe «den Kopf verloren» und setze die ganzen bilateralen Verträge aufs Spiel, warnte SGB-Präsident und Ständerat Paul Rechsteiner (SP/SG).
Der Aussenminister habe die Löhne und den Arbeitnehmerschutz zur Disposition gestellt. Ausgerechnet in zentralen Punkten für den eigenständigen Schutz der Schweizer Löhne habe Cassis Nachgeben signalisiert. Damit sei der Zug der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen entgleist.
Die flankierenden Massnahmen würden regelmässig angegriffen, etwa von der SVP im Zusammenhang mit ihrer Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit, erklärte Travail.Suisse-Präsident und Nationalrat Adrian Wüthrich (SP/BE). Nun stelle auch Cassis sie in Frage.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hätten bisher nicht von den Wohlstandsgewinnen durch die Personenfreizügigkeit profitiert. Dass sie nun beim Rahmenabkommen Opfer bringen sollten, komme nicht in Frage, sagte Wüthrich.
Zentrale 8-Tage-Frist
SGB-Chefökonom Daniel Lampart erklärte, die Zahl der aus dem Ausland entsandten und selbständigen Arbeitskräfte erreiche in der Schweiz über ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Andere EU-Länder lägen weit hinter diesem Wert zurück. Die flankierenden Massnahmen stellten also keine allzu hohe Hürde für Anbieter aus der EU dar.
Die achttägige Anmeldefrist für EU-Leistungserbringer ist für die Gewerkschaften zentral. Wie Vania Alleva, Präsidentin der Gewerkschaft Unia, sagte, ist ohne die Frist eine wirksame Kontrolle unmöglich.
Die Anmeldungen müssen gemäss Alleva erst an die Kantone und anschliessend an die paritätischen Kontrollstellen geschickt werden. Wenn die Kommissionen nicht rechtzeitig wüssten, wo die Arbeiten stattfinden, könnten keine Kontrollen vornehmen, sagte die Unia-Präsidentin. Die Kautionspflicht ihrerseits schütze korrekte Firmen. (awp/mc/ps)