Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Smarte Performance
Es ist manchmal schon ein bisschen peinlich, wie einfach Märkte bzw. Marktbeobachter, Analysten und Medien ticken und dann noch so wichtig tun. Dabei geht es an den Finanzmärkten um viel Geld und da hört ja eigentlich der Spass auf.
Es sind oft Kleinigkeiten, die die Märkte bewegen. So geschehen beim „kleinen Crash“ der US-Börsen Ende Januar/Anfang Februar dieses Jahres, als Arbeitsmarktdaten in den USA Auslöser für eine völlig übertriebene Kurskorrektur waren, weil nach deren Bekanntwerden plötzlich Zinsängste – was für ein Wort! – aufkamen. Zumindest wurde das von Marktinterpreten und Finanzmedien behauptet. Dabei ist die Mechanik fast immer die gleiche. Die sogenannten „Märkte“ hegen Erwartungen – besser: Spekulationen – und wenn diese nicht erfüllt werden, kommt es zu unberechenbaren Reaktionen. Auch im digitalen Zeitalter ist das nicht anders, sondern eher noch schlimmer. Denn heute kann eigentlich jeder in rasantem Tempo seine Sicht der Dinge in der weltweiten Öffentlichkeit kundtun.
Goldlöckchen-Szenario hin oder her, 2018 will nicht so recht Stimmung aufkommen an den Märkten. Wie in dieser Kolumne schon mal ausgeführt, liegt das wohl auch daran, dass dieses Szenario von den Märkten schon längst eingepreist wurde. 2016 und 2017 war die Performance an den Aktienmärkten entsprechend gut. Jetzt aber, da Goldlöckchen endlich da ist, kommen auch schon wieder Befürchtungen auf. So unbegründet mögen die zwar nicht sein, aber fürs erste sind sie sicherlich mal übertrieben. Doch im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung ist nicht auszuschliessen, dass es letzten Endes wieder enttäuschte, weil zu hoch gesteckte Erwartungen und die darauf folgenden übertriebenen Reaktionen mit entsprechenden Turbulenzen an den Finanzmärkten sein werden, die der Realwirtschaft ähnlich wie 2002 oder 2007 den Wind aus den Segeln nehmen.
Die ersten Skeptiker sind schon unterwegs. Ihre Begründungen sind abenteuerlich bis hanebüchen. Die 3% Zinsmarke etwa für amerikanische Staatsanleihen zehnjähriger Laufzeit gelten plötzlich als potenzieller Genickbrecher. Anders herum deuten viele den Kurs von 1.20 Franken zum Euro als psychologische Marke, der uns Heil verspricht. Dabei ist die Psychologie derer, die solche Marken festsetzen wohl wichtiger als die Marke selbst.
Nicht immer das gleiche Muster
Bekanntlich leben wir in einem Zeitalter mit weltweit historisch tiefen Zinsen – in der Schweiz sogar im Nullzinszeitalter und das faktisch das erste Mal überhaupt in der Wirtschaftsgeschichte. Es gibt keine Erfahrungen an den Märkten damit. Die Wirtschaftstheorie verfügt über kein Modell, das die neuen Phänomene wie QE (für quantitative easing) oder Negativzinsen nach ihrer Wirksamkeit klassifizieren könnte. Und doch holen Markterklärer dieselben Argumente wie in früheren Zyklen aus den Schubladen, wenn es darum geht, das Geschehen an den Märkten zu erläutern. Zinsängste z.B. passen fast immer zur Deutung des Marktgeschehens, wenn man um sonstige Argumente verlegen ist.
Dabei haben doch Zinsängste auch ihre guten Seiten, vorausgesetzt sie sind begründet, aber nicht übertrieben. Denn dies bedeutet, dass die Wirtschaft gut in Fahrt ist. So gut in Fahrt sogar, dass die Güterpreise wieder zulegen und die Inflation sich beschleunigt. Zinsängste sind also eher Ängste vor einer Geldpolitik, die nicht Herr der Lage werden könnte. Entweder weil sie den Aufschwung zu früh abwürgt oder zu spät reagiert und die Inflation dann davon galoppiert. So wie fast immer in der Vergangenheit.
Heute schauen viel Marktteilnehmer mit Skepsis auf die Verflachung der US-Zinskurve und deuten dies als Vorbote einer baldigen Rezession. Die Begründung: das war 2007 schon der Fall und auch anderen Rezessionen war jeweils eine Verflachung der Zinskurve vorangegangen. Einfach gesagt sucht man nach Analogien, um die Unberechenbarkeit zu erläutern, ein wahrlich wenig erfolgsversprechendes Vorgehen. Die Meteorologen haben dasselbe Problem. Immer neue Klimaphänomene lassen sich nun mal nicht mit historischen Analogien erklären, was Prognosen erschwert.
Sex sells
Und doch hängen so viele am Tropf der Prognosen fürs Wetter genauso wie für Einzeltitel oder Märkte. Ein ganz interessantes Phänomen hat nun das Investment Lab Heilbronn in Deutschland aufgezeigt, das übrigens auch mit der ETH forschungsmässig kooperiert. Namentlich besteht gemäss den Autoren einer Studie des Institutes ein unvermutet grosser Zusammenhang zwischen Kursprognosen für einzelne Börsentitel und der Persönlichkeit des Firmenchefs. Charismatische und extrovertierte Manager kommen bei Finanzanalysten viel besser an, als etwas „griesgrämige“ oder eher introvertierte Typen. Sie kommen damit natürlich auch besser weg, sprich die Analystenempfehlung fällt eher wohlwollend aus. Steve Jobs war ein leuchtendes Beispiel dafür, wie sich Erfolg erst richtig verkauft.
Doch damit nicht genug. Bei Titelempfehlungen spielt auch die Persönlichkeit des Analysten eine Rolle. Je näher die Ausprägungen seiner eigenen Persönlichkeit derjenigen des Chefs der zu analysierenden Firma kommen, desto besser fällt auch seine Beurteilung der Perspektiven dieser Firma aus. Ich habe persönlich immer wieder schon beobachtet, mit welcher Begeisterung manch meiner Kollegen von Analysten- oder Bilanzkonferenzen zurückkehrten und von den Voten und der Persönlichkeit des Managements schwärmten. Introversion ist also nichts für Börsianer. Kursprognosen sind ohnehin schon eine Glückssache, und es erstaunt schon genug, dass so viele sich darauf verlassen. Mich wundert daher gar nicht, dass es nun auch noch menschelt. Finanzanalysten sind letztlich Verkäufer und wir alle wissen: Sex sells.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen