Klares Ja zur Ernährungssicherheit trotz unklarer Folgen

Klares Ja zur Ernährungssicherheit trotz unklarer Folgen
(© Christian Schwier - Fotolia.com)

Bern – Die Bundesverfassung enthält neu einen Artikel zur Ernährungssicherheit. 78,7% der Stimmenden und sämtliche Stände haben am Sonntag Ja gesagt. Ändern wird sich zumindest kurzfristig aber nichts.

Insgesamt haben rund 1’942’900 Personen dem neuen Verfassungsartikel zugestimmt, rund 524’900 Personen haben diesen abgelehnt. Am deutlichsten fiel die Zustimmung in den Westschweizer Kantonen aus. Im Kanton Waadt sagten ganze 92% Ja.

An zweiter Stelle lag der Kanton Jura mit 89,8%, gefolgt von Genf mit 88,3, Neuenburg mit 88,1, Tessin mit 87,7, Freiburg mit 85,2 und Wallis mit 84,3%. Die niedrigste Zustimmung verzeichneten die Kantone Schwyz und Glarus mit immer noch über 69% Ja-Stimmen.

Wenig Gegenwind
Das Ja ist keine Überraschung, fiel aber deutlicher aus als erwartet: In den Umfragen hatten sich zwischen 67 und 69% für den neuen Verfassungsartikel ausgesprochen. Das deutliche Resultat hat wohl damit zu tun, dass es wenig Widerstand gab gegen den vage formulierten Artikel – und dass das Ja kaum Folgen haben dürfte.

Laut Landwirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sind in den nächsten Jahren keine Gesetzesänderungen auf Basis der Bestimmungen vorgesehen. Aus Sicht des Bundesrates bestärkt der neue Verfassungsartikel vielmehr die Politik des Bundes.

Auf Druck des Bauernverbands
Der Artikel beauftragt den Bund, Voraussetzungen zu schaffen, um die Versorgung der Schweiz mit Lebensmitteln sicherzustellen. Zustande kam er auf Druck des Bauernverbandes. Die Bauern befürchteten, dass die Agrarpolitik 2014-2017 die einheimische Produktion schwächen würde. Mit einer Volksinitiative wollten sie den Bund daher verpflichten, diese zu stärken.

Dem Bundesrat und der Mehrheit des Parlaments ging das zu weit. Die Gegner warnten vor einer rückwärtsgewandten Agrarpolitik mit mehr Subventionen, mehr Abschottung vom Ausland und intensiver Produktion auf Kosten der Umwelt. Das Parlament arbeitete aber einen Gegenvorschlag aus, der auch Anliegen anderer hängiger Volksinitiativen erwähnt. Der Bauernverband war damit zufrieden und zog seine Initiative zurück.

Für jeden Geschmack
Im neuen Verfassungsartikel ist für jeden Geschmack etwas dabei. Erwähnt werden neben der standortangepassten Produktion die Sicherung des Kulturlandes und ein ressourcenschonender Umgang mit Lebensmitteln, was ökologischen Kreisen gefällt.

Gleichzeitig soll die Land- und Ernährungswirtschaft aber auf den Markt ausgerichtet sein. Erwähnt werden auch die grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen, wobei diese zur nachhaltigen Entwicklung beitragen sollen.

Auslegung umstritten
Welche dieser Aspekte im Vordergrund stehen und was das genau bedeutet, ist umstritten. Aus diesem Grund gab es mehrere Ja-Komitees. Manche Befürworter sehen im Verfassungsartikel eine Absage an Protektionismus und eine Grundlage für mehr Freihandel, unter ihnen die FDP und die GLP.

Der Bauernverband wünscht sich das Gegenteil. Er beruft sich – wie SP, Grüne und Umweltorganisationen – auf die Erwähnung der Nachhaltigkeit und fordert, dass bei Freihandelsabkommen künftig ökologische und soziale Standards berücksichtigt werden. Verbandspräsident Markus Ritter sieht das Ja als Auftrag an den Bundesrat, entsprechend zu verhandeln.

Vereinzelte Nein-Parolen
Die Deutungshoheit kann niemand für sich beanspruchen. Dass der Verfassungsartikel unterschiedlich interpretiert wird, deutet aber darauf hin, dass er in künftigen Diskussionen über Marktöffnung und Wettbewerb keine zentrale Rolle spielt.

Dennoch hatten einige Organisationen für ein Nein geworben: die Kleinpartei EDU, der Gewerbeverband, die Jungfreisinnigen sowie einzelne FDP-Kantonalparteien. Für ein Nein setzte sich zudem eine Allianz aus landwirtschaftlichen, kirchlichen und sozialen Organisationen ein. Diese befürchten, dass der Bundesrat auf Basis des Artikels die Marktöffnung vorantreiben könnte.

Landwirtschaft bleibt Thema
So oder so wird weiter über Landwirtschaft diskutiert. Gleich am Dienstag berät der Nationalrat die Fair-Food-Initiative, die ökologische und soziale Standards für Importprodukte fordert. Vergangene Woche befasste sich der Ständerat mit der Hornkuh-Initiative.

Ebenfalls hängig ist die Initiative «Für Ernährungssouveränität» der Bauerngewerkschaft Uniterre. In dieser geht es um den Schutz des Kulturlandes. Die Initianten fordern aber auch, dass der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft erhöht wird. Zudem sollen Importe von Nahrungsmitteln, die nicht dem Schweizer Nachhaltigkeitsstandard entsprechen, mit zusätzlichen Zöllen belegt werden. (awp/mc/ps)

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