Nordkorea und USA überziehen sich mit Drohungen
Washington – Nordkoreas Militär hat den Vereinigten Staaten mit einem Raketenangriff auf die US-Pazifikinsel Guam gedroht und damit einen der gefährlichsten Konflikte der Welt weiter angeheizt. Die Streitkräfte zögen eine solche Attacke «ernsthaft in Erwägung», meldete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA am Mittwoch. Zuvor hatten Berichte über grosse Fortschritte des kommunistischen Staats bei seinem Atom- und Raketenprogramm das Ausland beunruhigt. Südkorea will sein Militär nun umfassend reformieren – und schlagkräftiger machen.
Laut einem Sprecher der nordkoreanischen Armee könne der Plan zum Angriff auf Guam «jederzeit» ausgeführt werden, sobald Staatschef Kim Jong Un die Entscheidung dazu treffe. Die USA sollten ihre «rücksichtslosen militärischen Provokationen» unterlassen, sodass man nicht «gezwungen» sei, eine «unvermeidliche militärische Entscheidung» zu treffen, sagte ein Armeesprecher laut KCNA.
«Feuer, Wut und Macht»
Die Stellungnahme aus Pjöngjang kam nur wenige Stunden, nachdem US-Präsident Donald Trump Nordkorea militärische Gewalt angedroht hatte. Wenn Nordkorea seine Drohungen fortsetze, werde diesen «begegnet mit Feuer, Wut und Macht, wie die Welt es so noch nicht gesehen hat», sagte Trump am Dienstag.
President Trump vows America will respond to North Korean threats with «fire & fury» in a warning to the rogue nation pic.twitter.com/UaE2rPkZ6f
— FOX & friends (@foxandfriends) 9. August 2017
Washington distanziert sich von Trumps «Wutgeschrei»
Die politischen Eliten in Washington distanzierten sich von seinem «Wutgeschrei». Der republikanische US-Senator John McCain reagierte irritiert auf Trumps Äusserung. Es sei unwahrscheinlich, dass der Präsident in der Lage sein werde, seinen Worten Taten folgen zu lassen. «Die grossen Führer, die ich kenne, sprechen keine Drohungen aus, solange sie nicht zum Handeln bereit sind. Und ich bin nicht sicher, dass Präsident Trump zum Handeln bereit ist», sagte McCain dem US-Radiosender KTAR. Zugleich warnte er davor, die Äusserung des Präsidenten allzu ernst zu nehmen: «Das ist typisch Trump. Er neigt zu Übertreibungen.»
Auf der Seite der oppositionellen Demokraten gab es weniger Verständnis für Trumps Art der Kommunikation. «Gegenüber Nordkorea müssen wir hart und mit Bedacht vorgehen», sagte Senator Chuck Schumer in einer Stellungnahme. «Unbesonnene Rhetorik ist keine gute Strategie, um die Sicherheit Amerikas zu gewährleisten.» Ähnlich kommentierte laut CNN auch Senatorin Dianne Feinstein die Lage. «Präsident Trump trägt mit seinen bombastischen Äusserungen nicht zur Entspannung der Lage bei», sagte die Senatorin demnach in einer Stellungnahme.
Der Demokrat Eliot Engel, Mitglied im Aussenausschuss des Repräsentantenhauses, sagte laut CNN, Trump verspiele die Glaubwürdigkeit der USA mit seiner unangemessenen Reaktion. «Machen wir uns nichts vor: Nordkorea ist eine reale Bedrohung. Aber die gestörte Reaktion des Präsidenten deutet an, dass er in Erwägung zieht, als Antwort auf die böse Bemerkung eines nordkoreanischen Despoten amerikanische Atomwaffen einzusetzen.» Der ranghöchste Demokrat im Aussenausschuss des Senats, Ben Cardin, verglich Trumps Worte gar mit der Rhetorik aus Pjöngjang: «Wir sollten nicht in dasselbe Wutgeschrei und dieselben Provokationen über einen Atomkrieg einstimmen wie Nordkorea.
Guam – «Ausgangspunkt für eine Invasion in Nordkorea»
Die von KCNA zitierten nordkoreanischen Drohungen nehmen direkt Bezug auf die US-Luftwaffenbasis Anderson auf Guam, von der die Vereinigten Staaten immer wieder strategische Bomber des Typs B-1 zu Militärmanövern in Richtung koreanische Halbinsel entsendet haben. Erwogen wird demnach ein Angriff mit ballistischen Raketen des Typs Hwasong-12, um die US-Streitkräfte auf Guam und ihre dort stationierten Bomber in Schach zu halten – schliesslich sei die Insel der potenzielle «Ausgangspunkt für eine Invasion in Nordkorea».
Pjöngjang rechtfertigte dies mit einer Mobilisierung des US-Atomwaffenarsenals sowie jüngsten US-Raketentests und Übungen mit Langstreckenbombern über Südkorea. «Solche Militärmanöver der USA könnten in der momentan extrem heiklen Situation auf der koreanischen Halbinsel einen gefährlichen Konflikt provozieren», hiess es.
Nordkorea habe für die Entwicklung seiner strategischen Waffen «alles riskiert» und nutze sie «weder als Faustpfand, um Anerkennung von Dritten zu bekommen, noch für irgendeinen Tauschhandel». Vielmehr seien sie «ein wichtiges militärisches Mittel, um entschlossen den politischen und wirtschaftlichen Druck der USA sowie ihre militärischen Drohungen zu kontern». Die Frage sei, «ob nur die USA die Option eines von ihnen so genannten «Präventivkriegs» haben».
«Grenzenloser Krieg»
In einer weiteren Stellungnahme kündigte ein nordkoreanischer Militärsprecher laut KCNA an, auf einen möglichen «Präventivkrieg» der US-Streitkräfte mit einem «grenzenlosen Krieg» zu reagieren, der «sämtliche Stützpunkte des Gegners ausrotten wird, auch auf dem US-Festland».
Atomprogramm offenbar weiter als bisher angenommen
Inzwischen ist Nordkorea nach Erkenntnissen der USA und Japans in der Lage, Raketen mit Miniatur-Atomsprengköpfen zu bestücken – auch Interkontinentalraketen. Wie die «Washington Post» am Dienstag unter Berufung auf Geheimdienstquellen berichtete, habe Nordkorea nach Einschätzung des Geheimdienstes DIA (Defence Intelligence Agency) bei seinem Atom- und Raketenprogramm viel schnellere Fortschritte gemacht als bisher angenommen. Nordkorea habe einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur vollwertigen Atommacht getan, berichtete die Zeitung. Ein in Tokio veröffentlichtes Weissbuch des japanischen Verteidigungsministeriums kommt zu dem gleichen Schluss.
Der Konflikt mit dem kommunistisch regierten Land gilt als der derzeit gefährlichste der Welt. Japan und Südkorea sind Verbündete der USA, dem Erzfeind der Führung in Pjöngjang. Beide Länder fühlen sich durch das Atom- und Raketenprogramm Nordkoreas zunehmend bedroht.
In Seoul hat das konkrete Folgen: Unter dem Eindruck der Gefahr aus dem Norden rief Südkoreas Präsident Moon Jae zu einer tiefgreifenden Reform der eigenen Streitkräfte auf. «Ich glaube, wir brauchen eine vollständige Verteidigungsreform im Sinne einer Wiedergeburt, anstatt nur einige Modifizierungen oder Verbesserungen durchzuführen», sagte Moon am Mittwoch laut der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap bei einer Besprechung mit sechs Spitzenbefehlshabern seines Militärs. Demnach will Südkorea unter anderem Raketen mit höherer Sprengkraft anschaffen, um unterirdische Bunker zerstören zu können.
Australiens Premierminister Malcolm Turnbull warnte eindringlich vor einer kriegerischen Eskalation der Lage. «Ein Konflikt wäre vernichtend», sagte Turnbull vor Journalisten in Canberra. «Er hätte katastrophale Konsequenzen. Das ist uns allen klar.»
Trotz Verboten des UN-Sicherheitsrates und Warnungen aus dem Ausland hatte Nordkorea am 28. Juli eine Interkontinentalrakete getestet. Diese hatte nach Berechnungen von Experten eine theoretische Reichweite von rund 10’000 Kilometern. Nordkoreas Staatschef Kim sagte nach dem Test, das Festland der USA sei jetzt in Reichweite. Als Reaktion auf den Raketentest verhängte der UN-Sicherheitsrat die bislang schärfsten Wirtschaftssanktionen gegen Nordkorea. (awp/mc/pg)