«Tritt aufs Bremspedal»: Quartals-Ausblick von Steen Jakobsen, Chefökonom der Saxo Bank

«Tritt aufs Bremspedal»: Quartals-Ausblick von Steen Jakobsen, Chefökonom der Saxo Bank
Steen Jakobsen, Chief Economist der Saxo Bank. (Foto: Saxo Bank)

Zürich – Nach einer langen Phase geldpolitischer Experimente werden die Kredite von den globalen Märkten wieder abgezogen. Auch wenn dieser Prozess notwendig ist, zeigt ein Blick auf den Kreditimpuls, dass das globale Wachstum als Reaktion auf eine solche Massnahme vermutlich in Richtung einer Rezession ausschlagen wird.

Gelangen die fast zehn Jahre geldpolitischer Experimente nun langsam an ihr Ende? Die Finanzmedien scheinen sich sicher zu sein, wo doch die US-Notenbank Fed unbeirrt auf Zinserhöhungen setzt und andeutet, dass das Tempo noch anziehen könnte. Auch die japanische Notenbank prüft Szenarien, wie sie ihr Programm der quantitativen Lockerung auslaufen lassen könnte, ebenso wie die EZB eine verschärfte Geldpolitik ins Gespräch bringt. Gleichzeitig sinken die Renditen festverzinslicher Papiere (und die Volatilität) weiter. Dies entspricht nicht ganz der Lehrmeinung, es muss also etwas anderes im Gange sein.

Seit der Krise 2008 war Kreditexpansion die Grundprämisse der Wirtschafts- und Geldpolitik, also durch eine Erhöhung der Kreditmenge der Konjunktur auf die Beine zu helfen. Was einst hilfreich war, ist inzwischen zu einer Abhängigkeit geworden – so sehr, dass ein Zudrehen des Kredithahns einen heftigen Kater bewirken dürfte.

Unser Bericht für das dritte Quartal steht deshalb unter dem Motto: Tritt aufs Bremspedal!

Allen Aussagen, die eine Verschärfung der Geldpolitik fordern, zum Trotz bringt bei der Kreditexpansion ein Tritt aufs Bremspedal die Gefahr mit sich, dass die Wachstumsraten bis zum Ende dieses Jahres in den Bereich einer Rezession rutschen könnten – und zwar aus folgenden Gründen:

Wir Ökonomen wissen wenig bis gar nichts über diese Blackbox namens «Wirtschaft»; stattdessen beschäftigen wir uns mit dem, was aus der Box herauskommt – unter anderem Gewinne, Produktivität, Inflation und Arbeitsplätze.

Das Problem dabei ist aber, dass wir den Verlauf der Wirtschaft mithilfe von Datenpunkten vorhersagen wollen, die eben diesen eigentlich nachlaufen. Um diesen Effekt zu mindern, betrachten wir diejenigen Faktoren, die eine Wirtschaft tatsächlich antreiben: den Preis für Geld ebenso wie die Kredit- und Energiemengen.

Der Preis für Geld – der Zinssatz – ist der für uns wichtigste Faktor. Mit der Kreditmenge berechnen wir dann das Tempo und die Geschäftsaktivität. Energie ist letztlich in jeder Aktivität enthalten und somit ein bedeutender Bestandteil und (vor allem) Kostenfaktor der Wirtschaft.

Risiko einer Verlangsamung
Interessant ist aber, dass trotz der derzeit so kraftstrotzenden Schlagzeilen und der hohen Aktienbewertungen durchaus das Risiko einer ernsthaften Verlangsamung besteht. Bei der Verfolgung der Kredite sprechen wir vom «Kreditimpuls» oder der Nettoveränderung der Kredite gemessen am BIP.

Aus dem Diagramm lassen sich zwei Dinge über Kredit ablesen; die linke Seite zeigt den massiven Kreditaufbau mit China (und den Schwellenmärkten) an der Spitze, während rechts hervorgeht, wie die Nettoveränderung des Kreditflusses von 3% des BIP auf fast –1% gesunken ist.

Man kann das Ganze aber auch rückblickend illustrieren. Das erste Quartal 2016 war für die Börsen einer der schlechtesten Jahresbeginne seit Jahrzehnten. Die Notenbanken neigten zur Panik, die US-amerikanische Fed setzte die Zinserhöhungen aus, die EZB gab bei der quantitativen Lockerung richtig Gas, und die japanische Notenbank entschied sich für einen neuen 10-Jahres-Festzins – zusammengenommen führte dies zu einem massiven positiven Kreditimpuls, wie oben zu sehen.

Im dritten und vierten Quartal konzentrierte sich China dann aber darauf, die Geldpolitik wieder anzuziehen und die Endverschuldung zu reduzieren. Wenden wir also die 9-Monats-Regel einmal auf 2016 an: Wenn wir im Mai den grössten Kreditimpuls ansetzen, sollte der Höhepunkt der Aktivitäten im Januar/Februar zu beobachten sein – und genauso war es!

Der bei den Einkaufsmanagerindizes und der Inflation beobachtete Anstieg war somit nicht auf den Wahlsieg von Donald Trump zurückzuführen (auch wenn es entsprechende Erwartungen gab), sondern auf eine gigantische Kreditexpansion.

Jedes Mal, wenn irgendwo auf der Konjunkturautobahn ein Schlagloch zu sehen ist, wird es einfach mit Krediten gestopft. Nun aber stellen die Notenbanken diesen Ansatz offen infrage: Die Fed und die chinesische Notenbank fahren den Impuls bereits deutlich zurück – dies bedeutet, dass ohne neue Reformen oder Steuereinschnitte die US-Wirtschaft ebenso wie die globale Wirtschaft bis zum Ende des Jahres deutlich abkühlen wer-den.

Die Wahrscheinlichkeit hierfür veranschlagen wir mit 60 % (immerhin nicht 100 %). Entscheidend ist aber die Tatsache, dass eine Rezession im derzeitigen Goldlöckchen-Umfeld, in dem Geld mangels Alternative (so Albert Edwards von Société Générale) in Aktien fliesst, das einzig echte Risiko darstellt.

Seit den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts sind bei Rezessionen die Kurse um 25–55% eingebrochen. Durchschnittlich kostet eine Rezession die Anleger 33%. Und eine Rezession ist natürlich genau das ultimative Risiko, dem das Modell einer Kreditexpansion über einen schwachen US-Dollar den Weg bereitet. Genau dies wollen die geldpolitischen Entscheidungsträger verhindern, indem sie versuchen, den Konjunkturzyklus ausser Kraft zu setzen.

Die Wirtschaft läuft – ausschliesslich dank Krediten
Wir wollen jetzt nicht gleich den Weltuntergang beschwören, aber wenn klar ist, dass Kredite die einzige Zutat sind, welche die Wirtschaft in den letzten zehn Jahren am Laufen gehalten haben, dann sollten wir aufmerksam zur Kenntnis nehmen, dass bei den drei Elementen, mit der wir unsere «Blackbox» füttern – dem Preis für Geld sowie Kredit und Energie – gerade deutliche Veränderungen zu beobachten sind.

Im Moment steigt der Preis für Geld (die mittel- und langfristigen Renditen sinken), der Kreditimpuls ist negativ, und die Energiepreise bewegen sich auf einem Jahrestief (deflationär).

Die Notenbanken begehen den klassischen Fehler, auf die nachlaufenden Wirtschaftsdaten zu schauen und zu behaupten, die Verlangsamung bei Inflation und Wirtschaftsaktivitäten sei «vorübergehend». Wir hingegen wollen uns an die Fakten halten und entgegnen deshalb, dass die «ökonomische Schwerkraft» nicht ausser Kraft gesetzt werden kann – zwar lässt sich der Kreditimpuls ignorieren, dann aber auf eigenes Risiko.

Wir sehen die niedrigere Inflation und gehen davon aus, dass der Zyklus der Zinserhöhungen vor seinem Ende steht, so wie die generelle Stimmung einer geldpolitischen Verschärfung. Aus diesem Grund dürften festverzinsliche Papiere und Gold unserer Meinung nach höhere Renditen bringen, während bei Aktien Risiken bestehen.

Sowohl der Konsens als auch die Investoren scheinen davon auszugehen, dass für einen Kurswechsel reichlich Zeit bleibt. Aber die Zeit schlägt uns allen immer wieder ein Schnippchen, insbesondere denjenigen, bei denen der Wunsch Vater des Gedankens ist …

«Nach meiner Weise ist’s so spät,
dass wir bald früh es nennen können.»
– William Shakespeare, Romeo und Julia

(Saxo Bank/mc/ps)

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