Walter Kägi, CEO ATOS Schweiz im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr, Kägi, Cloud und Digitalisierung sind Schlagworte der letzten Jahre. Welchen konkreten Einfluss hatten die beiden Themen für die Atos Schweiz im 2016, welches ist für Sie das wichtigste Digitalisierungsprojekt für 2017?
Walter Kägi: Cloud und Digitalisierung sind mehr als Schlagworte. Die beiden Begriffe stehen für grundlegende Umwälzungen in den Unternehmen, wie Wertschöpfung entsteht und mit dem Kunden interagiert wird. Offene Infrastrukturen und durchgängige, nachvollziehbare Geschäftsprozesse fordern nicht nur die IT-Abteilung, sondern die Unternehmen als Ganzes.
«Cloud und Digitalisierung sind mehr als Schlagworte. Die beiden Begriffe stehen für grundlegende Umwälzungen in den Unternehmen, wie Wertschöpfung entsteht und mit dem Kunden interagiert wird.» Walter Kägi, CEO ATOS Schweiz
Daher sehen wir uns weniger als IT-Dienstleister denn als «Business-Technologen», die mit kombiniertem Fach-, Technologie- und Service-Know-how den digitalen Transformationsprozess begleiten, steuern und optimieren. Da wir uns in sehr vielen verschiedenen Branchen bewegen, gibt es nicht DAS wichtigste Digitalisierungsprojekt. Jede Branche entwickelt sich nach den ihr eigenen Gesetzmässigkeiten und wir haben den Vorteil, dass wir mit unserer vielfältigen Branchenexpertise sehr nahe an den jeweils spezifischen Trends sind.
Nehmen wir die Energiebranche, in der es bei der Digitalisierung um die Einbindung alternativer Energieträger geht. Hier entwickeln wir gerade für Swissgrid ein Self-Service-Portal, das die Abwicklung von Förderanträgen erleichtert. Bei unseren Kunden im Bereich der öffentlichen Hand geht es hingegen darum, sie in ihren hoheitlichen Aufgaben mit Lösungen für weniger Bürokratie und mehr Bürgernnähe zu unterstützen. Das Gever-Projekt, das wir mit der Bundesverwaltung umsetzen, ist ein sehr eindrückliches Beispiel dafür, wie Digitalisierung Verwaltungsaufwand reduziert und Prozesse beschleunigt.
Wie sehr Cloud und Digitalisierung alle Bereiche unseres Leben durchdringt, zeigt besonders bildlich unser Technologiemanagement für die olympischen Spiele, letztmals in Rio und bald wieder in Pyeonchang: Ohne unsere weltweite IT-Infrastruktur für das Suppliermanagement, die Datenauswertung in Echtzeit, den Schutz der kritischen Systeme usw. usf. wäre die Durchführung der Spiele heutzutage gar nicht mehr möglich.
Industrie 4.0 und das Internet der Dinge verändern gerade die Industrie radikal. Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich, gibt es Referenzprojekte mit internationaler Ausstrahlung?
Sie erwähnen eine Branche, in der wir ebenfalls sehr innovativ und kompetent unterwegs sind: Mit 100’000 Business Technologen in 72 Ländern entwickeln wir effektive und zukunftsweisende IT-Lösungen für Smart Factory und intelligent vernetzte Produktionssysteme. Mit dieser Expertise sind wir in der globalen Peak Matrix «Internet of Things Services» der Everest Group als «Leader» aufgeführt. Wir verknüpfen in diesem Bereich Know-how in Big Data Analytics, Cyber-Security, Managed Services, Robotik, Zahlungsverkehr und Finanztransaktionen und können über unsere Atos Industrial IoT-Plattform die Kundenbedürfnisse von A-Z abdecken.
«Die Schweiz mit ihrem hohen Anteil an exportorientierten und global agierenden Industriefirmen nimmt zusammen mit Deutschland eine gewisse Pionierrolle bei der Entwicklung und Implementation von IoT-Lösungen ein.»
Wenn wir über IoT sprechen, sprechen wir vor allem über globale Vernetzung; hier hilft unsere internationale Expertise: Wir sind in Frankreich eine Partnerschaft mit dem Digital Centre der HEC Paris für die Ausbildung von künftigen Industrie 4.0-Führungskräften eingegangen; in Deutschland partnern wir unter anderem mit Siemens, um unseren gemeinsamen Kunden beispielsweise durchgängige Industrial-Security-Lösungen bereitzustellen. Und mit dem Institut für Advanced Engineering Technologies der FH Technikum Wien experimentieren wir im Bereich der intelligenten Vernetzung von Industrierobotern und -maschinen. Die Schweiz mit ihrem hohen Anteil an exportorientierten und global agierenden Industriefirmen nimmt zusammen mit Deutschland eine gewisse Pionierrolle bei der Entwicklung und Implementation von IoT-Lösungen ein.
Die «Atos Scientific Community» wagt mit der Publikation «Journey 2020» einen Blick in die Zukunft. Unter anderem wird Blockchain als vertragliche Basis für intelligente und vernetzte Unternehmen gesehen. Was braucht es noch, dass Blockchain diese Erwartungen erfüllen kann, welche Rolle können Schweizer Unternehmen spielen?
Um Blockchain herrscht derzeit ein regelrechter Hype und viele Erwartungen werden an die Technologie sowie die zugrunde liegende dezentrale Organisationsstruktur geknüpft. Getrieben wird dies zunächst durch die Finanzindustrie mit Fokus auf die Krypto-Währungen wie Bitcoin sowie durch die aktuelle Debatte im Schweizer Parlament, die Regulierung im Fintech-Bereich so anzupassen, dass die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle erleichtert wird.
«Blockchain wird die althergebrachte Art und Weise verändern, wie sich ökonomische Ecosysteme bilden und Vertrauen zwischen den verschiedenen Akteuren geschaffen werden kann.»
Allerdings sollte Blockchain keinesfalls nur mit der Finanzindustrie assoziiert werden. Denn Blockchain wird die althergebrachte Art und Weise verändern, wie sich ökonomische Ecosysteme bilden und Vertrauen zwischen den verschiedenen Akteuren geschaffen werden kann. Dies kann künftig dazu führen, dass neue Unternehmensnetzwerke entstehen, in denen Blockchain-basierte Plattformen das Rückgrat für sichere Geschäftstransaktionen darstellen. Damit wird diese Technologie zu einer tragenden Säule für digitale Wertschöpfung.
Angesichts der Innovationskraft der Schweiz, neue Businessmodelle pragmatisch und effizienzgetrieben zu implementieren, kann sich die hiesige Fertigungs- und Dienstleistungsindustrie eine Marktposition sichern, die auf Patenten, IP, datengetriebenen Prozessen und Algorithmen basiert.
Der Arbeitsplatz der Zukunft wird gemäss dem «Journey 2020» virtuell, kollaborativ und flexibel sein. Schon heute sieht man in entwickelten Industrien eine Tendenz zum Abbau traditioneller Arbeitsverhältnisse und damit verbundener sozialer Errungenschaften. Was bedeutet Digitalisierung für den Arbeitsmarkt der Zukunft?
Digitalisierung verspricht einen grossen Produktivitätsschub, indem Automatisierung und Rentabilisierung von Arbeiten und Prozessen mit niedrigerer Wertschöpfung ersetzt und Arbeitskraft in Richtung höherer Entscheidungsfindung, Kreativität und Verantwortung verlagert werden kann. Technologien wie Augmented Reality, Computer Vision oder Drohnen ersetzen heutzutage bereits Jobs unter heiklen oder gefährlichen Bedingungen und tragen so zu mehr Sicherheit am Arbeitsplatz bei. Unter Gesichtspunkten wie diesen verbessert Digitalisierung eindeutig die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsplatzqualität.
Doch in diesem Zusammenhang sind wir auch mit Herausforderungen konfrontiert: Arbeitsplätze verschwinden, sei es dass sie durch Technologie ersetzt oder schlichtweg durch die Produktivitätsschübe entbehrlich werden. Oder, paradoxerweise, dass Stellen nicht besetzt werden können, weil es die erforderliche Fachkompetenz nicht in ausreichendem Masse gibt, und das ökonomische Wachstum von vielen Unternehmen so wieder ausgebremst wird. Hier sind Politik und Gesellschaft gefordert, soziale, steuerliche und bildungspolitische Rahmenbedingungen zu schaffen, die der Innovation durch Technologie förderlich sind, Wandel und Dynamik ermöglichen und weniger auf Gefahren als vielmehr auf Chancen fokussieren.
Stand früher bei der IT die Entwicklung der eigenen Abteilung im Vordergrund, suchen die Unternehmen heute vermehrt Lösungen im Outsourcing-Bereich und lagern auch nicht kundennahe Geschäftsbereiche aus (BPO). Welche grössten Chancen und Risiken sind damit verbunden, was heisst das für die Rolle des IT-Leiters?
Im 2013 hat Atos diese Entwicklung mit dem Konzept der «Liquid IT» antizipiert und beschrieben. Die IT und das Business werden nahtlos ineinander integriert, so dass die Fachabteilungen perfekt massgeschneiderte Lösungen erhalten, die ihre Time-to-Market beschleunigen, einfach zu nutzen und auf maximalen Kundennutzen ausgerichtet sind. Ziel ist es, die Agilität des Unternehmens in der Reaktion auf Markterfordernisse zu steigern und Kosten zu senken.
«Es geht nicht mehr primär darum, Plattformen neu zu entwickeln und aufzubauen, sondern Technologien so zu verknüpfen, dass sie modular bei Bedarf abrufbar sind und rasch skaliert werden können.»
«Liquid IT» ist mittlerweile Realität und allgemein als «Digital IT» im Einsatz. Es geht nicht mehr primär darum, Plattformen neu zu entwickeln und aufzubauen, sondern Technologien so zu verknüpfen, dass sie modular bei Bedarf abrufbar sind und rasch skaliert werden können. Investitions- wandeln sich in Betriebskosten; die technologische Infrastruktur ist immer up-to-date und verlagert sich mehr und mehr in einen umfassenden Cloud-Marktplatz, der für jede Aufgabe die beste spezifische Lösung bereitstellt. Die Rolle des CIO wandelt sich: weniger technisch, mehr Business- und Transformations-orientiert. Der CIO der Zukunft muss die Erfordernisse der klassischen IT beherrschen. Doch darüber hinaus braucht es eine neue «Denke», die sich aus Elementen wie Open Innovation oder aus einer Startup-Mentalität speist. Denn letzten Endes geht es nicht um Technologie und Prozesse, sondern darum, Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen im Markt zu erzielen.
Das Unternehmen:
Atos SE (Societas Europaea) ist ein führender Anbieter von digitalen Services mit einem Pro-forma-Jahresumsatz von rund 12 Milliarden Euro und circa 100.000 Mitarbeitern in 72 Ländern. Atos unterstützt Unternehmen weltweit mit Beratungsleistungen und Systemintegration, Managed Services & Business Process Outsourcing (BPO) sowie Cloud-, Big-Data- und Sicherheitslösungen. Hinzu kommen Services von der Tochtergesellschaft Worldline, dem europäischen Marktführer für Zahlungs- und Transaktionsdienste. Mit seiner umfassenden Technologie-Expertise und tiefgreifendem Branchenwissen arbeitet Atos mit Kunden in unterschiedlichen Marktsegmenten zusammen: Banken, Bildung, Chemie, Energie und Versorgung, Gesundheit, Handel, Medien und Verlage, Öffentlicher Sektor, Produktion, Telekommunikation, Transport und Logistik, Versicherungen und Verteidigung. Die Atos Gruppe verbindet Unternehmensstrategie, Informationstechnologie und Prozesse miteinander und hilft Kunden so, ihr Geschäft nachhaltig weiterzuentwickeln.
Der Konzern ist der weltweite IT-Partner der Olympischen und Paralympischen Spiele und an der Pariser Börse Euronext notiert. Atos firmiert unter Atos, Atos Consulting, Atos Worldgrid, Bull, Canopy, Unify und Worldline. Die Schweizer Atos AG bietet mit rund 800 Spezialisten professionelle IT-Lösungen und -Services über die ganze Prozesskette an – vom Consulting über Systemintegrationen bis zum Management komplexer IT-Infrastrukturen.
Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit dem SwissIT Sourcing Forum.