Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Kleine Welt
St. Gallen – Seit 2004 ist die Zahl der Milliardäre weltweit um gut 1’200 Personen gestiegen. Das entspricht einer Verdreifachung in diesem Zeitraum. Gemäss dem Magazin Forbes gab es 2016 weltweit 1‘810 Dollarmilliardäre, 125 % mehr als vor zehn Jahren. Im selben Zeitraum stieg das weltweite Bruttoinlandprodukt um 45%, von 51 Billionen US-Dollar im Jahre 2006 auf geschätzte 74 Billionen USD 2016. Allein dieser einfache Vergleich macht deutlich, dass die Vermögensverteilung weltweit unausgewogener geworden ist.
Nicht dass wir uns falsch verstehen. Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen können. Das kapitalistische System funktioniert am besten, wenn materielle Anreize bestehen, sich ins Zeug zu legen. Dummerweise klappt das aber nicht überall und gleichmässig. Es gibt zu viele Menschen, die im täglichen Kampf ums Überleben Unglaubliches leisten und doch fast nichts dafür bekommen. Gemäss FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, waren 2016 noch immer fast 800 Millionen Menschen unterernährt. Das waren zwar 15% weniger als vor zehn Jahren, aber immer noch entschieden zu viel. Vor allem steht diese Zahl quer zu dem Anstieg Superreicher. Genauso quer wie die Schicht der sogenannten „working poor“, zu denen beispielsweise in den USA neben den wirklich erwerbslosen Armen über 6% aller Haushalte gehören, in Grossbritannien sogar über 10%. Auch denen hilft es wenig, mehr zu leisten. Hier versagt das Anreizsystem klar.
Es ist offensichtlich, dass nicht alle von den offenen Märkten gleichermassen profitieren. Heute Vormittag hörte ich in den Nachrichten, dass Italien in der Landwirtschaft über 400‘000 Billigarbeitskräfte beschäftige, sogenannte Erntehelfer, was auch hierzulande ein Begriff ist. In der italienischen Industrie sieht es nicht besser aus. Auch da arbeiten tausende Saisonarbeiter illegal und man kann sicher sein, dass Italien kein Einzelfall ist und längst nicht die Spitze des Eisberges. Aus verteilungspolitischer Sicht war die Globalisierung bis anhin mehr oder weniger ein Nullsummenspiel. Selbst McKinsey kommt in der Studie „Poorer than their Parents“ zum Schluss, dass die Einkommen in den hochentwickelten Volkswirtschaften seit längerem tendenziell schwächer wachsen und zum Teil sogar fallen. Davon seien 65 bis 70% der dort lebenden Haushalte betroffen. Im Umkehrschluss heisst das: Nicht einmal ein Drittel der Bevölkerung profitierte von der weltweiten Öffnung der Märkte. Das kann man kaum als Erfolgsmodell verkaufen.
Heute besitzen Millionäre, die 0.7% der Menschheit ausmachen, fast die Hälfte der weltweiten Vermögen, 71% der Weltbevölkerung kommt nicht einmal auf ein Vermögen von 10‘000 US-Dollar und vereint damit lächerliche 3% des Weltvermögens auf sich. Das war früher nicht viel besser, aber auch nicht schlechter. Die Globalisierung ist verteilungspolitisch demnach kein Glückstreffer. Die Vermutung, dass nur wenige von der Öffnung der Märkte profitierten, wird immer augenscheinlicher. Es ist daher kein Wunder, dass angesichts solcher Zahlen immer mehr Widerstand gegen Globalisierung und Freihandel aufkommt, das zähe Ringen um CETA, den Freihandelspakt zwischen der EU und Kanada, spricht Bände. Auch dass sich die politischen Fronten in der Mitte aufweichen und am Rand immer stärker werden, ist eine eindeutige Konsequenz der gefühlten Ungerechtigkeit. Dass ausgerechnet in den aufstrebenden Volkswirtschaften die Vermögensverteilung am extremsten auseinander läuft, muss zudem aufhorchen lassen. Dort genügt die traditionelle Politik des „Brot und Spiele“ noch ganz gut. So lange der Hunger gestillt ist, ein Farbfernseher und ein Handy zur Verfügung stehen und eventuell sogar ein Fahrzeug lässt sich das Volk gern abspeisen mit Spielen. Allerdings sitzen nur wenige auf den Ehrenplätzen und das Gedränge auf den Tribünen wird immer grösser. Die in vielen Augen viel zu grosskonzernfreundliche Politik sollte die Zeichen der Zeit ernst nehmen, wenn die Leute gegen Handelsabkommen Sturm laufen. Ansonsten läuft sie Gefahr, die Mehrheit endgültig zu verlieren – am Ende gar noch an Leute wie Trump. (Raiffeisen/mc/ps)