Furcht vor «hartem» Brexit: Britisches Pfund schwach wie zuletzt 1985

Furcht vor «hartem» Brexit: Britisches Pfund schwach wie zuletzt 1985

Frankfurt / London – An den Finanzmärkten ist die Brexit-Angst zurück: Hinweise der britischen Premierministerin Theresa May zu den anstehenden Verhandlungen um den Austritt des Landes aus der Europäischen Union (EU) haben die Furcht vor einer «harten» Variante des Brexit befeuert. Das britische Pfund geriet dadurch seit dem Wochenbeginn stark unter Druck, war am Dienstag noch schwächer als unmittelbar nach dem Brexit-Votum und erreichte den schwächsten Wert seit 1985. Auch die Kurse der britischen Staatsanleihen gaben nach. In diesem Umfeld bemerkenswert: An der Londoner Börse ging es kräftig bergauf. Ein billiges Pfund könnte der britischen Exportwirtschaft nützen, so die Hoffnung vieler Anleger.

An den Finanzmärkten ist indes die Sorge gewachsen, dass der Brexit schneller kommen und härter werden könnte als von manch einem gedacht. Grund dafür ist eine Rede von Premierministerin May beim Parteitag der Konservativen am Sonntag in Birmingham. Die Brexit-Verhandlungen sollen demnach spätestens im März 2017 beginnen. Mit einem sogenannten Great Repeal Bill (Grosses Abschaffungsgesetz) solle die «Herrschaft des EU-Rechts über Grossbritannien ein Ende nehmen», sagte May. Und: «Wir verlassen die EU nicht, um noch einmal die Kontrolle über die Einwanderung abzugeben.»

Zugang zum Binnemarkt unwahrscheinlicher
Mit dieser Haltung aber dürften die Brexit-Verhandlungen mit den EU-Partnern schwierig werden, meint Esther Reichelt, Devisenmarkt-Expertin bei der Commerzbank . Denn bisher sehe niemand einen Weg, wie May ihre Ziele erreichen könne, ohne deutliche Einbussen beim Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt hinzunehmen. «Solange sich in dieser Frage keine gütliche Einigung abzeichnet, bleibt das Pfund deshalb unter Druck.»

Am Dienstag drückten Spekulationen zusätzlich auf die Stimmung, die britische Führung könnte wenig Rücksicht auf den Finanzsektor nehmen. Das britische Pfund fiel daraufhin im Verhältnis zum US-Dollar und zum Euro jeweils auf den tiefsten Stand seit 1985. Ein Pfund kostete zwischenzeitlich nur noch 1,2737 Dollar beziehungsweise 1,1408 Euro.

Appell an die Finanzindustrie
Mays Parteikollege Steve Baker rief die Finanzindustrie und den Finanzdistrikt «City of London» dazu auf, sich der neuen politischen Realität anzupassen. «Lange Zeit wurde die City als privilegiert angesehen und London wurde zu einer Art Stadtstaat, getrennt vom Rest der Nation», sagte das Mitglied des Haushaltsausschusses im Parlament. Nun gehe es darum, als geeintes Königreich voranzuschreiten.

Sollten sich die Hardliner unter den Konservativen innerhalb ihrer Partei durchsetzen, könnte das Pfund noch weiter geschwächt werden und sich sogar der Marke von 1,265 US-Dollar nähern, meint Eugen Keller, Experte beim Bankhaus Metzler.

Londoner Börse im Aufwind
Doch während es am britischen Devisenmarkt bergab ging, stiegen die Kurse an der Londoner Börse kräftig. Der Leitindex FTSE kletterte erstmals seit 16 Monaten wieder über die Marke von 7000 Punkten. Trotz der gestiegenen Sorgen rund um den Brexit gebe das schwache Pfund den Kursen Auftrieb, hiess es aus dem Handel. Ein schwaches Pfund macht britische Aktien aus Sicht des Auslands erschwinglicher und gibt den Kursen dadurch tendenziell Auftrieb.

Ausserdem kann ein schwaches Pfund die britische Exportindustrie stärken, weil deren Produkte auf dem Weltmarkt billiger und damit wettbewerbsfähiger werden.

Britische Industrie guter Stimmung
Dies ist aus Sicht von Experten auch ein wichtiger Grund dafür, dass das Brexit-Votum die Stimmung in der britischen Industrie bislang nicht nachhaltig schwächen konnte. Im Gegenteil: Im September ist der entsprechende Indikator des Marktforschungsinstitut Markit nach Zahlen vom Montag sogar auf den besten Wert seit Juni 2014 gestiegen. Auch im Bausektor war die Stimmung im September Daten vom Dienstag zufolge besser als unmittelbar vor dem Brexit-Votum.

Positiv dürften an den Börsen zudem Signale von Finanzminister Philip Hammond aufgenommen worden sein, der am Montag ankündigte, die Staatsausgaben zu erhöhen, um die Wirtschaft zu stützen. (awp/mc/upd/ps)

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