Schweizer Wirtschaft 2017: Auf dem Weg zu einer neuen Normalität?
Zürich – Die Ökonomen der Credit Suisse belassen ihre Wachstumsprognosen für die Schweizer Wirtschaft für 2017 unverändert bei 1,5%. Sie revidieren aber ihre Prognose für 2016 auf 1,5% (bisher: 1%). Trotz dieser Revision wird das Wachstum weiterhin schwächer sein als vor dem Franken-Schock. Insbesondere der private Konsum dürfte sich gemäss den Ökonomen der Credit Suisse im 2017 nur verhalten entwickeln. Lastete die CHF-Aufwertung bisher vor allem auf den Unternehmensgewinnen, zeigen sich mittlerweile auch Auswirkungen beim Lohnwachstum, das teuerungsbereinigt sogar zum Stillstand kommt. Gleichzeitig schwächt sich die Zuwanderung ab. Modellrechnungen verdeutlichen, dass eine erhöhte Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Arbeitnehmern eine Reduktion der Zuwanderung nur schwerlich kompensieren könnte. Eine Rückkehr zu Wachstumsraten wie vor der Finanzkrise erscheint auch aus diesem Grund unwahrscheinlich.
Der Schweizer Wirtschaft wird auch 2017 nicht richtig auf Touren kommen. Wichtigen Wachstumstreibern fehlt der Schwung, insbesondere der Zuwanderung. Dies ist das Fazit der Ökonomen der Credit Suisse in ihrer jüngsten Ausgabe der Studie „Monitor Schweiz“. In den letzten sieben Jahren habe mehr als ein Viertel des Konsumwachstums auf der Zuwanderung basiert. Zwar ist im kommenden Jahr abermals eine zuwanderungsbedingte Mehrnachfrage zu erwarten, diese dürfte aber beinahe ein Fünftel tiefer sein als im Vorjahr. Gleichzeitig bleibt die Konsumentenstimmung angesichts der negativen Meldungen aus dem In- und Ausland gedrückt. So hat der Unsicherheitsindex, der die Häufigkeit der Nennung von «politischer Unsicherheit» in Medienberichten zählt, in der Zeit um den «Brexit»-Entscheid einen neuen Höchststand erreicht. Immerhin dürften die direkten Auswirkungen des Brexit auf die Schweizer Wirtschaft beschränkt sein, wie die Ökonomen in der Studie ausführen. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass der Finanzplatz Schweiz von einem Brexit mit grosser Wahrscheinlichkeit weniger profitieren würde als gemeinhin erwartet.
Im Investitionsverhalten sind keine grosse Veränderungen absehbar
Gemäss der Herbstprognose der Credit Suisse werden auch die Investitionen im kommenden Jahr dem Wirtschaftswachstum keinen neuen Schwung verleihen: Zwar sprechen der Zwang zur Rationalisierung sowie tiefe Zinsen und hohe Aktienbewertungen für Investitionen in Ausrüstung und Maschinen. Umgekehrt wirken der trübe Ausblick auf die Erlössituation sowie die nach wie vor grossen politischen Unsicherheiten, unter anderem hinsichtlich der Beziehungen der Schweiz zur EU, hemmend.
«Die Schweiz muss den guten Rahmenbedingungen des Standorts Sorge tragen», erklärt Thomas Gottstein, CEO der Swiss Universal Bank bei der Credit Suisse. «Wir hören von Grossunternehmen, dass die Schweiz für sie an Bedeutung verliert. Zudem befürchten die KMU, dass sich die regulatorischen Rahmenbedingungen weiter verschlechtern könnten».
Kein Anstieg der Arbeitslosenquote, aber auch kein Reallohnplus
Konsumentscheide werden primär aufgrund der Arbeitsmarktlage getroffen. Die Ökonomen der Credit Suisse gehen von einer unveränderten Arbeitslosenquote von 3,3% im kommenden Jahr aus. «Angesichts der vergleichsweise soliden Auslastung halten die Unternehmen so weit wie möglich an ihren Personalbeständen fest», erläutert Oliver Adler, Leiter Economic Research der Credit Suisse, «wegen der gesunkenen Margen und Gewinne sind die Unternehmen jedoch bestrebt, ihre Lohnkosten zu reduzieren». Gemäss den Ökonomen der Credit Suisse tun sie dies einerseits über eine vermehrte Nutzung von Teilzeitarbeit, anderseits über die Einschränkung von Vergütungen. Dementsprechend werden die Löhne im Urteil der Ökonomen der Credit Suisse 2017 nur sehr verhalten steigen. In ihrer Prognosen gehen sie von einem Lohnplus von nominal 0,5% aus. Weil gleichzeitig die Teuerung mit einem Wert von 0,5% erstmals seit fünf Jahren wieder positiv sein dürfte, resultiert im kommenden Jahr kein realer Kaufkraftgewinn.
Wachstum bei den Bauinvestitionen begrenzt
Die Bauinvestitionen dürften sich gemäss den Ökonomen der Credit Suisse zwar kurzfristig beschleunigen, doch ist dies primär dem Wohnungsbau zu verdanken, der durch das Negativzinsumfeld weiteren Rückenwind erhält. Gemäss Prognosen der Credit Suisse wird aber die Nachfrage nach Mietwohnungen und Bürogebäuden aufgrund des schwächeren Bevölkerungs- und Beschäftigungswachstums eher abnehmen und die Leerstände werden steigen. Dies dürfte das Wachstum der Bauinvestitionen im kommenden Jahr begrenzen, obwohl die Schweizerische Nationalbank (SNB) laut den Ökonomen der Credit Suisse noch bis mindestens Ende 2017 an ihren Negativzinsen festhalten wird.
Reale Exportvolumen dürften sich weiter erholen
Die Situation für die Exporteure sollte sich derweil gemäss Ökonomen der Credit Suisse weiter entspannen. Dank der Kombination von Negativzinsen und Fremdwährungskäufen der SNB und unter der Annahme keiner grösseren Verwerfungen an den internationalen Finanzmärken dürfte der Franken im Jahresverlauf in ihrer Prognose leicht abwerten. Gleichzeitig deutet der Exportbarometer der Credit Suisse, der die ausländische Nachfrage nach Schweizer Waren approximiert, darauf hin, dass sich das Exportwachstum in den kommenden Monaten fortsetzen sollte. Die Unterschiede zwischen den Branchen sind aber enorm, wie im Branchenteil der Studie gezeigt wird.
Wachstum braucht Zuwanderung
Eine Rückkehr zu stärkerem Wirtschaftswachstum könnte auf zwei Wegen erzielt werden: entweder durch ein höheres Produktivitätswachstum oder eine Zunahme der Erwerbsbevölkerung. Die Entwicklung der Erwerbsbevölkerung wird stark durch die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative geprägt werden, denn zurzeit trägt die Migration mehr als 80% zum Bevölkerungswachstum bei. Um eine Vorstellung zu bekommen, wie sich eine wie auch immer ausgestaltete Einschränkung der Zuwanderung auf die Erwerbsbevölkerung der Schweiz auswirken würde, haben die Ökonomen der Credit Suisse Modellrechnungen in Abhängigkeit unterschiedlicher Migrationsannahmen durchgeführt. In allen fünf gerechneten Szenarien wird sich das Wachstum der Erwerbsbevölkerung in den kommenden Jahren primär aus demographischen Gründen verlangsamen. Bereits unter der Annahme einer nicht allzu starken Einschränkung der Migration wird es im Jahr 2020 zum Stillstand kommen. Wird unterstellt, dass sich der Migrationssaldo ab 2030 bei 40’000 Personen pro Jahr stabilisiert, was dem langjährigen Durchschnitt der letzten 35 Jahre entspricht, wird die Erwerbsbevölkerung spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wachsen. Ein naheliegendes Rezept, um eine Wachstumsverlangsamung oder sogar einen Rückgang der Erwerbsbevölkerung abzuwenden, ist die Steigerung der Erwerbsbeteiligung, insbesondere derjenigen der Frauen und älteren Arbeitnehmer. Gemäss Berechnungen von Credit Suisse müsste die Erwerbsquote der Schweizer Bevölkerung von bereits hohem Niveau deutlich zunehmen, um den Wachstumspfad beizubehalten. Eine Kompensation des Migrationsrückgangs erscheint eher unrealistisch.
Übersicht der weiteren Inhalte der jüngsten Studie «Monitor Schweiz»
SNB-Bilanz und Regulierung
Die Bilanzsumme der SNB von derzeit CHF 690 Mrd. dürfte nicht so rasch abnehmen. Neue Vorschriften bezüglich der Liquiditätshaltung von Banken werden gemäss Ökonomen der Credit Suisse dazu führen, dass die SNB wie auch andere Notenbanken viel umfangreichere Bilanzen halten als vor der Finanzkrise.
Divergierende Exportentwicklung
Die Ökonomen der Credit Suisse haben eine neuen Indikator entwickeln, um besser prognostizieren zu können, welche Branchen Schwung gewinnen oder verlieren. Dieses «Exportmomentum» ist aktuell in der Uhrenindustrie stark negativ.
Brexit-Entscheid: Blick ins Ungewisse für die Schweiz
Für die Schweiz bleiben die mittel- und langfristigen Folgen der Brexit-Abstimmung ungewiss. Die Verhandlungen mit der EU dürften sich kurzfristig sogar schwieriger gestalten. Die Schweizer Bevölkerung sieht für Wirtschaft und Politik eher Vorteile.
Standortqualität: Basel-Stadt wird den Kanton Zürich überholen
Mit der Unternehmenssteuerreform III steht ein Umbau des Schweizer Steuersystems an. Die Attraktivität der einzelnen Kantone wird künftig vermehrt durch ihre ordentlichen Gewinnsteuersätze bestimmt werden. Basel-Stadt, Waadt und Genf rollen das Feld bezüglich ihrer Attraktivität von hinten auf.
Marktberuhigung bei Wohneigentum hält an
Das Preiswachstum bei Wohneigentum in der Schweiz schwächt sich im Trend weiter ab. Zunehmend zeigen sich dabei Unterschiede zwischen Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern.
Die Publikation «Monitor Schweiz» wird quartalsweise publiziert und ist in Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch verfügbar. Die nächste Ausgabe erscheint am 15. Dezember 2016. (Credit Suisse/mc/ps)