Nationalratskommission will automatische Erhöhung des Rentenalters
Bern – Das Rentenalter 67 kommt auf die politische Tagesordnung. Bei der Reform der Altersvorsorge schlägt die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Nationalrats eine automatische Erhöhung des Rentenalters vor, falls die AHV in finanzielle Schieflage gerät. Die Idee stammt von den grossen Wirtschaftsverbänden: In einem ersten Schritt soll das Rentenalter der Frauen wie vom Bundesrat vorgeschlagen auf 65 Jahre angehoben werden. 0,6 Mehrwertsteuer-Prozente sollen die AHV zusätzlich stabilisieren.
Reicht das nicht aus, werden weitere Schritte fällig: Sobald der AHV-Fonds unter 100% einer Jahresausgabe sinkt, muss der Bundesrat dem Parlament Korrekturmassnahmen vorschlagen.
Mit bloss 0,6 zusätzlichen Mehrwertsteuerprozenten ist das unvermeidlich. Die Kommission sei sich bewusst, dass spätestens 2018 eine neue Reform nötig sein, sagte SGK-Vizepräsident Thomas de Courten (SVP/BL) am Freitag vor den Medien in Bern.
Automatismus ab 2035
Werden keine Massnahmen ergriffen oder reichen diese nicht aus, greift der Automatismus: Sobald der AHV-Fonds unter 80% fällt, wird das Rentenalter um bis zu zwei Jahre auf 67 Jahre erhöht, und zwar schrittweise um maximal 4 Monate pro Jahr. Die Mehrwertsteuer würde parallel dazu um 0,4% angehoben. Nach den Prognosen der Kommission könnte der Mechanismus 2035 wirksam werden.
Findet dieser Kommissionsentscheid im Parlament eine Mehrheit, ist die Reform der Altersvorsorge akut gefährdet. Sowohl die Erhöhung der Mehrwertsteuer als auch das höhere Rentenalter machen eine Verfassungsänderung nötig. Es gilt als unwahrscheinlich, dass ein höheres Rentenalter und tiefere Renten eine Volksabstimmung überstehen.
Gegen AHV-Zuschlag
Darauf laufen die Beschlüsse der SGK hinaus. Ersatzlos strich sie den Zuschlag zu den AHV-Renten von 70 CHF, den der Ständerat nicht zuletzt aus abstimmungstaktischen Gründen beschlossen hat. Damit erübrigt sich der Lohnabzug von 0,3%, der zur Finanzierung des Zuschlags nötig gewesen wäre.
Zugestimmt hat die SGK dem flexiblen Altersrücktritt zwischen 62 und 70 Jahren, der Senkung des BVG-Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6% und dem Zuschuss für Arbeitnehmende ab 50 Jahren, die zu wenig Zeit haben, zusätzliches Alterskapital anzusparen.
Für Teilzeitbeschäftigte hat die SGK sogar eine Verbesserung beschlossen: Der Koordinationsabzug soll entsprechend dem Beschäftigungsgrad reduziert werden, was mit 750 Mio CHF zu Buche schlägt.
Zustupf für Frauen
Die AHV-Rente der Frauen wird erhöht, um die nicht erklärbare Differenz zwischen Frauen- und Männerlöhnen auszugleichen. Die Kommission hat dafür 260 Mio CHF budgetiert. Die Höhe des Zuschlags würde der Bundesrat festlegen.
Viele andere Massnahmen lehnte die SGK ab. Keine Mehrheit fand der erleichterten Altersrücktritt für Arbeitnehmende, die schon früh ins Arbeitsleben eingestiegen sind. Kinderrenten würden abgeschafft. Witwen oder Witwer sollen nur dann eine Rente erhalten, wenn sie ein Kind unterstützen. Die Renten dafür werden gekürzt, ebenso jene für Waisen.
Für Pflegekinder werden keine AHV-Waisenrenten oder Kinderrenten der AHV und IV ins Ausland ausbezahlt. Der Ständerat hatte auf Massnahmen in dem Bereich verzichtet, um die Vorlage nicht zu gefährden.
Auch die Selbständigerwerbenden müssten künftig tiefer in die Tasche greifen. Nach dem Willen der SGK werden sie künftig nicht mehr privilegiert. Heute zahlen sie 7,8% AHV-Beiträge, wobei die Beiträge mit dem Einkommen sinken. Künftig sollen auch Selbständigerwerbende die 8,4% einzahlen, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam leisten.
Für die berufliche Vorsorge soll nicht erst ab 24 Jahren gespart werden wie heute, sondern schon ab 18 Jahren. Bis zum Alter von 44 Jahren sollen die Altersgutschriftensätze angehoben werden, danach aber nicht mehr steigen. Dadurch will die Kommission ältere Arbeitnehmende für Arbeitgeber attraktiv machen. Wie der Ständerat will sie den Koordinationsabzug nicht abschaffen, sondern nur leicht reduzieren.
Knappe Mehrheiten
Finanziell fällt die von der SGK vorgeschlagene Reform für die AHV ungünstig aus. 2030 läge das Umlageergebnis schon 2,6 Mrd CHF im Minus, der Fonds enthielte noch 99% einer Jahresausgabe. Mit dem Beschluss des Ständerats wären es 111%, trotz des Zuschusses von 70 CHF.
Der Nationalrat behandelt die Vorlage in der letzten Woche der Herbstsession. Der Ausgang der Debatte ist ungewiss, sind doch viele Abstimmungen in der Kommission knapp ausgefallen. Die wiederholten Voten mit 13 zu 12 Stimmen lassen vermuten, dass die Vertreter von SVP, FDP und BDP regelmässig die Mehrheit stellten.
Am Wochenende vor der Debatte im Nationalrat stimmen Volk und Stände über die Initiative «AHVplus» des Gewerkschaftsbunds ab, die 10% höhere AHV-Renten verlangt. Wird die Initiative angenommen, muss die Reform der Altersvorsorge neu aufgegleist werden. (awp/mc/upd/ps)