Thomas Wulf, Generalsekretär European Structured Products Association
Thomas Wulf, Generalsekretär der European Structured Products Association
Von Martin Raab und Daniel Manser, Derivative Partners AG, www.payoff.ch
payoff im Gespräch mit Thomas Wulf, Generalsekretär der European Structured Products Association, gibt aktuelle Einblicke in die europäische Finanzmarktlandschaft, erklärt, was 871M ist, analysiert den EU-Regulierungseifer und verrät, wie Cheflobbyisten den Überblick behalten.
payoff: Herr Wulf, in Europa ist wieder starke Bewegung im Markt für Strukturierte Produkte. Was sind die relevanten Ereignisse und Themen?
Thomas Wulf: Unsere Branche unterliegt in der Tat vielen Hochs und Tiefs. Jüngstes positives Beispiel ist Holland, wo der Markt der klassischen Investmentprodukte gerade wiederbelebt wird. Holländische Anleger haben im Durchschnitt eine sehr viel höhere Kenntnis von einigen Finanzinstrumenten, als dies in einigen anderen Märkten der EU der Fall ist. Ein negatives Beispiel hingegen findet sich beim Nachbarn Belgien: Dort hat die Regierung zum Januar, alle Warnungen in den Wind schlagend, eine 33-prozentige Steuer auf Erlöse eingeführt, die Privatanleger aus dem Verkauf gelisteter Finanzinstrumente, ausser Fonds, innerhalb von sechs Monaten ab Erwerb erzielen. Die fehlende Absetzbarkeit von Verlusten war da nur noch ein weiteres Übel, das niemanden mehr überraschte.
…das scheint den Einbruch der Handelsvolumen an der Euronext Brüssel zu erklären?
Der Effekt war lehrbuchartig zu beobachten. Die Strafsteuer in Belgien auf börsenkotierte Finanzprodukte veranlasste den CEO der Euronext sogar, medienwirksam über die Einstellung der Börsenaktivität in Brüssel und Verlagerung der Orderabwicklung nach Amsterdam und Paris zu spekulieren. Noch bedenklicher: Die vorher in Hebelprodukte investierten Kunden schichteten massiv in hochriskante CFDs um, deren Vertrieb die Finanzaufsicht eigentlich beschränken wollte.
Welche Themen halten Sie aktuell sonst noch auf Trab?
Ein eher übergreifendes Thema ist die US-Dividendenbesteuerung, im Insiderjargon «871m» genannt. Hier gibt es in der Branche länderübergreifend noch grosse Abwicklungsprobleme und viele Fragezeichen. Hintergrund ist die Abführung von 30% Quellensteuer auf US-Dividenden, sofern der Depotinhaber eine Non-US-Person ist und sein Domizilstaat kein Doppelbesteuerungsabkommen für Einkünfte mit den USA hat.
«Die Strafsteuer in Belgien auf börsenkotierte Finanzprodukte beträgt 33%.»
Insbesondere die Sachlage dieser neuen, ab 2017 geltenden Quellensteuer für auf Indizes basierende Finanzprodukte muss jetzt geklärt werden. Hier könnte EUSIPA als zentraler Koordinator agieren.
Nach aktuellem Fahrplan muss per 31. Dezember 2016 jeder Anbieter von Strukturierten Finanzprodukten gegenüber in der EU ansässigen Kunden das dynamische KID anwendungsbereit haben. Halten Sie diese Deadline für realistisch?
Die Deadline ist aus praktischer Sicht unrealistisch, da grosse Teile der Finanzbranche erst jetzt in die Details der Umsetzung einsteigen. Allerdings gibt es derzeit [das Gespräch wurde am 16. Juni geführt Anm. d. Red.] Anzeichen dafür, dass Verbraucherschützer, diesmal verstärkt durch Vertreter der Asset Management- und Versicherungsbranche, versuchen, noch fundamentale Änderungen hineinzubekommen. Sofern das die Kommission zulässt, ist der Termin nicht haltbar.
Worum geht es dabei genau?
Entgegen dem bisherigen Entwurf, der für die Darstellung der Verlaufswahrscheinlichkeiten eine zeitlich nach vorn gerichtete Prognose basierend auf Monte-Carlo-Berechnungen vorschreibt, sollen zusätzlich, vielleicht sogar ersatzweise, Informationen über historische Kurse verlangt werden. Dies würde dann der geltenden UCITs-Regelung entsprechen. Es würde aber die Vergleichbarkeit der KIDs zunichtemachen, da es für neu aufgelegte Produkte, wie Zertifikate, solche historische Szenarien nicht gibt. Ich halte es für zweifelhaft, dass sich die EU-Institutionen dieser Idee anschliessen, zumal PRIIPs für UCITS-Fonds erst ab 2019 gelten soll.
Sind sich die Verantwortlichen in der EU-Kommission und der ESMA der de facto «Verkomplexierung» der Produktdokumente eigentlich bewusst?
Den Eindruck hat man leider nicht. Das eigentliche Ziel der Verbraucheraufklärung ist schon lange aus dem Blick geraten. Ohnehin ist der Einzelanleger doch in den meisten EU-Ländern letztlich auch durch die mit MIFID2, PRIIPs und dem Prospektrecht einhergehenden Warn-, Aufklärungs-, Aktualisierung- und Informationspflichten stark verunsichert.
Was gibt es aus den nationalen Verbänden an jüngsten Entwicklungen?
Wir freuen uns, dass vor einigen Monaten unsere Kollegen aus UK und Belgien Vollmitglieder geworden sind. Beide Verbände sind sehr aktiv, auch im Dialog mit den Aufsichtsbehörden und den Anlegern selbst. So plant der belgische Bankenverband – allen Steuerschikanen zum Trotz – die Schulung von Filialmitarbeitern im Verkauf Strukturierter Produkte. In Grossbritannien gibt es ein ähnliches Projekt. In Schweden wiederum arbeiten wir verstärkt mit der Swedish Securities Dealers Association zusammen, die traditionellerweise die Interessen der Zertifikate-Emittenten vertritt, während unser lokales Mitglied SETIPA vor allem den Hebelproduktbereich abdeckt.
Entstehen in Europa weitere nationale Strukturierte-Produkte-Verbände?
In zwei kleineren Märkten, die stark im Export von Finanzdienstleistungen sind, entwickeln sich interessante Dinge. Näheres kann ich aber noch nicht verraten.
Wie ist die Aussenwahrnehmung des Schweizer Markts für Strukturierte Produkte?
Die Schweiz ist nach wie vor der vom Volumen her in Europa größte Markt, der auch, was Innovationszyklen, Preistransparenz und Produktqualität anlangt, eine hochentwickelte Struktur aufweist.
«In zwei kleineren Märkten entwickeln möglicherweise jeweils neue Derivat-Verbände.»
Dies liegt vor allem daran, dass zum direkten Vertrieb an Privatkunden traditionell schon immer das Vermögensverwaltungsgeschäft getreten ist, das stets einen hohen Qualitätsdruck auf die Emittenten nach sich zieht. Vielleicht liegt in diesem Schweizer Mix und der Stärkung der Vermögensberatung im Niedrigbereich für andere Märkte die Zukunft.
Abschliessend: Wie behält man als EU-Cheflobbyist der Strukturierte-Produkte-Industrie in der täglichen Flut aus News, Richtlinienentwürfen und Konsultationen noch den Überblick?
Kurz gesagt muss man schnell lesen und am besten noch schneller schreiben können. Da hat man als Jurist natürlich schon einen Vorteil. Unerlässliche Voraussetzung ist aber immer die Beratung mit den fachlich versierten Kollegen aus den Häusern unserer Mitglieder. Die Arbeit, die hier von einigen Bankmitarbeitern nebenher zu ihrem Tagesjob geleistet wird, kann man gar nicht hoch genug anerkennen.
Herzlichen Dank für das Interview.
Der Gesprächspartner:
Thomas Wulf ist seit Januar 2012 EUSIPA-Generalsekretär und war zuvor sieben Jahre für die internationale Anwaltskanzlei Linklaters tätig. Zuletzt war er dort von Brüssel aus für Geschäftsentwicklung und Marketing in Westeuropa zuständig und leitete zuvor das Marketingteam der belgischen Büros der Kanzlei. Wulf ist Jurist und war von 2002 bis Anfang 2005 Mitarbeiter im EU-Verbindungsbüro der Commerzbank AG. Bereits im Referendariat hatte er beim Bundesverband der Deutschen Industrie in Brüssel die Gelegenheit, die europäischen Institutionen und den Gesetzgebungsprozess aus der Nähe kennenzulernen. Der verheiratete Familienvater lebt in Brüssel.