EU-Gipfel drängt Cameron zur Eile

EU-Gipfel drängt Cameron zur Eile

Grossbritanniens Premier David Cameron. (Foto: EU)

Brüssel – Die EU-Partner haben den britischen Premier David Cameron aufgefordert, so schnell wie möglich Klarheit über den Austritt seines Landes aus der Europäischen Union zu schaffen. «Wir haben nicht Monate Zeit zum Nachdenken», sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am späten Dienstagabend beim EU-Gipfel. Bevor London seinen Austrittswunsch nicht offiziell in Brüssel mitteile, werde es keine Verhandlungen geben. EZB-Chef Mario Draghi warnte unterdessen vor den wirtschaftlichen Folgen des Brexit.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel machte deutlich, dass sie das britische Votum für unumstösslich hält. «Ich sehe keinen Weg, das wieder umzukehren», sagte die Kanzlerin nach mehrstündigen Beratungen mit Cameron. Dies sei nicht die Stunde von «wishful thinking» – von Wunschdenken. «Das Referendum steht da als Realität», sagte Merkel. Sie begrüsste, dass es schon im September einen neuen informellen Gipfel der 27 ohne Grossbritannien geben soll. «Das ist ein guter nächster Schritt.»

Merkel: Konsequenzen müssen gezogen werden
Am Mittwoch wollen die 27 EU-Chefs erstmals in diesem neuen Format tagen. Thema für dieses Treffen ohne Grossbritannien ist vor allem die Zukunft Europas. Zu dem Gespräch mit Cameron sagte Merkel: «Die Atmosphäre war ernsthaft, kameradschaftlich und von dem Bewusstsein getragen, dass das ein eher trauriger Anlass ist, aber dass es eine Realität ist.» Daraus müssten nun Konsequenzen gezogen werden.

Bei der Brexit-Abstimmung in der vergangenen Woche hatten 51,9 Prozent der Wähler für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU gestimmt. Der konservative Cameron hatte daraufhin seinen Rücktritt für den Herbst angekündigt. Er selbst sprach von einem «positiven, konstruktiven, ruhigen und zielgerichteten Treffen» mit den EU-Partnern. «Es gab viele Zusicherungen, dass Grossbritannien bis zu seinem Austritt ein volles, zahlendes Mitglied dieser Organisation ist (…)». Der EU-Vertrag setzt für Austrittsverhandlungen einen Rahmen von zwei Jahren.

EZB-Chef rechnet mit niedrigerem Wachstum
EU-Gipfelchef Donald Tusk sagte, die EU-Chefs wollten Einzelheiten über die Absichten der britischen Regierung wissen. Cameron habe deutlich gemacht, dass die Entscheidung über den Austrittsantrag von der neuen Führung in seinem Land gefällt werden solle – das bedeutet also frühestens im Herbst, falls es beim Londoner Zeitplan bleiben sollte. Die Chefs hätten Verständnis dafür, «dass einige Zeit nötig ist, damit sich der Staub im Vereinigten Königreich legen kann», sagte Tusk.

Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, warnte in der Spitzenrunde vor den wirtschaflichen Folgen eines Brexits. Das Wachstum in der Eurozone könne in den nächsten drei Jahren um insgesamt 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte geringer ausfallen als bisher angenommen, sagte der mächtige Notenbanker laut Diplomaten. Ein geringeres Wachstum in Grossbritannien werde Auswirkungen auf die Eurozone als wichtigsten Handelspartner der Briten haben.

Flüchtlingskrise eher ein Randthema
Merkel machte in Berlin in einer Sondersitzung des Bundestags deutlich, dass sie Grossbritannien keine Sonderrolle zugestehen will. «Wir werden sicherstellen, dass die Verhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt werden», sagte sie in ihrer Regierungserklärung. Ähnlich äusserte sich auch SPD-Chef Sigmar Gabriel bei einem Treffen seiner europäischen Parteienfamilie in Brüssel.

Der Gipfel befasste sich neben der Brexit-Krise auch mit dem Dauerthema Flüchtlingskrise. Die EU will erreichen, dass weniger Migranten vor allem aus Afrika über das zentrale Mittelmeer nach Europa kommen. Dazu setzt sie auf stärkere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern, die Migranten zurücknehmen oder aufhalten sollen. Bis Jahresende sollen erste Vereinbarungen abgeschlossen sein, hiess es in der Gipfel-Erklärung. (awp/mc/pg)

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