Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Geldpolitischer Kauderwelsch
Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)
Wäre, könnte, sollte, alles nur bloss keinen Indikativ gebrauchen, anders lässt sich die historische Verklärung der Geldpolitik durch ihre Hauptexponenten kaum mehr festmachen. Eventualversprechungen und Ankündigungen hypothetischer Wirkungsketten hören wir von den verschiedenen Zentralbankvorsitzenden nun schon seit 2008. Und eine Masse von Analysten vornehmlich aus Finanzkreisen, die genau diese Botschaften im gleichlautenden Konjunktiv wiederkäuen, ebenso.
Dabei ist der Leistungsausweis der Notenbankpolitik eher dürftig. Beanspruchen können die Zentralbanken eigentlich nur, dass sie in den letzten Jahren jeweils rechtzeitig zur Stelle waren, wenn die Finanzmärkte zu hyperventilieren drohten, um denen dann Trost in Form komplexer Massnahmen auszusprechen. Diese Feuerwehrübungen lösten 2009 einen historischen (!) Börsenboom aus, der erst richtig zum Stillstand kam, seit die Geldpolitik hinterfragt wird. Was die Notenbankchefs ferner ins Feld führen ist, dass nur dank ihrem beherzten Einschreiten bei Ausbruch der Finanzkrise ein megabrutaler Kollaps vermieden worden sei. Zum Glück hätten sie die Fehler, die seinerzeit die grosse Depression „auslösten“, nicht wiederholt. Damals agierten die Notenbanken nach allgemeinem Dafürhalten zu zögerlich und zu moderat. Das sei heute glücklicherweise nicht der Fall (gewesen). Aber wissen wir das oder sie? Wäre es wirklich noch zu einem grösseren Crash der Realwirtschaft gekommen? Das mit dem beherzten Eingreifen ist wohl schöngefärbt und überinterpretiert. Oder dominiert(e) tatsächlich Herz den Verstand und was genau hat die Geldflut eigentlich seit dem bewirkt?
Sieben Jahre Spesen
Siebeneinhalb Jahre nach der Finanzkrise hat sich die Weltwirtschaft bestenfalls stabilisiert. In Amerika, wo die Geldpolitik besonders unglimpflich einschritt, fasste die Konjunktur zwar zuerst wieder Tritt, doch richtig auf Touren kommt die US-Wirtschaft seitdem nicht. Der Aufschwung dümpelt eher dahin als dass er brummt. Europa wurde zwar auch wegen der Eurokrise zurückgeworfen, doch die verkrusteten Strukturen im alten Kontinent wurden mit der Therapie der Geldhüter verfestigt und der Druck zu Reformen so von den Regierungen genommen. Letztere sind nun in der Problemzone und versteifen sich auf Lippenbekenntnisse zum Euro ohne etwas für dessen Stabilität zu tun. Denn sie haben schliesslich unendlich Rückendeckung von Mario Draghi, der den Euro ebenfalls um jeden Preis retten möchte und dafür schon auch mal die Bazooka rausnimmt. Dass wir uns mittlerweile in einem veritablen Dilemma der Geldpolitik befinden, weiss eigentlich jeder. Ihre vermeintliche Unantastbarkeit und die Komplexität ihrer Aufgaben schützte die Geldpolitik bislang aber vor stärkerer Kritik. Kritik vertragen die Geldhüter traditionell nicht gut. Und wenn natürlich fast alle Notenbanken dasselbe tun, dann muss das ja richtig sein. Doch bei richtig heftigem Gegenwind kippt auch mal die eine oder andere Notenbank um, so wie die SNB bei ihrem Loslassen des Wechselkurses über Nacht zu Beginn des vergangenen Jahres. Die Wechselkursober-grenze zum Euro geriet mehr und mehr unter Beschuss und schon wurde sie leichtfertig über Bord geworfen. Auch wenn viele anderes behaupten, lässt sich der Erfolg der Geldpolitik kaum quantifizieren, geschweige denn qualifizieren. Fest steht aber, dass sie hohe Kosten er-zeugt, was sich in einem exorbitanten Bilanzwachstum der Notenbanken niederschlägt. Doch misst dieses Bilanzwachstum eher Aktivität und weniger den Erfolg oder einfacher: die Spesen und nicht den Ertrag.
Unheimliche Expansion
Notenbankbilanzen, Index (Aug. 2008 = 100)
Der Wind hat gedreht, Herr Draghi
Man muss sich das nochmals vor Augen führen. Die ganze Finanzmarktcommunity ist ob der Eurokrise in Angst und Schrecken versetzt und dann genügt ein „whatever it takes“ seitens Mario Draghi, um diese Schlacht um den Euro zu beenden. Klingt ganz nach Geheimwaffe, das kann es aber schlichtweg nicht sein. Was, wenn das alles nur ein Märchen ist und die sich mehrenden Zweifel an der Geldpolitik plötzlich ins Gegenteil umschlagen? Einen Vorgeschmack dafür bekam Mario Draghi im Dezember, als es ihm nicht mehr gelang, mit einem Mehr des selben den beliebten Applaus zu generieren. Selbst die Deflationshysterie nimmt man der EZB und ihrem Chef nicht mehr ab. Denn im Grunde weiss man, dass das ganze Geld sowieso im Finanzsektor kleben bleibt, die Deflation in Wirklichkeit eine eher „harmlose“ Konsequenz der Produktionslücke ist und eigentlich nur als Alibi dafür dient, nichts an der aktuellen Politik zu ändern und schon gar nicht weiter Zweifel an ihr aufkommen zu lassen. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise bekam die Welt neue Helden. Längst nicht mehr sind es die Investmentbanker, die Magier von Verbriefungen und jeder Art komplexer Finanzprodukte, sondern deren Retter, Staaten aber vor allem Zentralbanken. Nun aber dreht der Wind, wie damals an der Wall Street. Bedingungslos will kaum jemand mehr glauben, dass Yellen, Draghi und Co den Dampfer gut durch den Sturm bringen. Denn der Wind hat gedreht und der Deflationssturm im Wasserglas hat sich gelegt. Es wäre daher an der Zeit, das Ruder abzugeben, doch welcher Kapitän tut dies schon gern. Selbst Francesco Schettino tat das seinerzeit nur ungern, wähnte er sich zunächst doch als Held, fast wie ein Brandstifter, der das eigene Feuer zu löschen hilft. Wehe jemand kommt dem auf die Schliche. (Raiffeisen/mc/ps)