IWF senkt Ausblick für Weltwirtschaft – «Risiken gestiegen»
IWF-Chefökonom Maurice Obstfeld. (Foto: IWF / Flickr)
Washington / Frankfurt – Der Internationale Währungsfonds (IWF) blickt pessimistischer als zuletzt auf die Entwicklung der Weltwirtschaft. IWF-Ökonomen korrigierten ihre Wachstumsprognose gegenüber der jüngsten Schätzung vom Januar um 0,2 Prozentpunkte auf 3,2 Prozent nach unten. Die Risiken seien gestiegen, heisst es in dem am Dienstag veröffentlichten Wirtschaftsausblick. Für Deutschland und andere wichtige Industrieländer haben sich die Aussichten eingetrübt. Unter den Schwellenländern sieht es für Russland und Brasilien besonders schlecht aus. Einzig China wird positiver gesehen. Chefökonom Maurice Obstfeld appellierte an die Staaten, gegenzusteuern.
«Abgeschwächtes Wachstum bedeutet weniger Spielraum für Verfehlungen», warnte Obstfeld anlässlich der Veröffentlichung an die Adresse der Staaten. Für 2017 rechnen die Experten nur noch mit einem Wachstum der Weltwirtschaft um 3,5 Prozent, nachdem sie bislang von 3,6 Prozent ausgegangen waren. Das Wachstum setzte sich «immer langsamer» fort, heisst es in dem Bericht.
Deutschland und die Eurozone schwächer
Die Wirtschaftskraft in den Industrieländern werde demnach nur «bescheiden» zulegen. Eine schwächelnde Nachfrage, ungelöste Probleme im Umgang mit den Folgen der Finanzkrise, eine ungünstige demographische Entwicklung und niedriges Produktivitätswachstum wirkten hemmend, so die Ökonomen. Davon bleibe auch Deutschland nicht verschont. Die Wachstumsprognose für dieses Jahr sank von 1,7 auf 1,5 Prozent und für 2017 von 1,7 auf 1,6 Prozent. Auch für Frankreich und Italien hat sich der Ausblick eingetrübt.
Die Erwartung für die Eurozone insgesamt ging für dieses Jahr von 1,7 auf 1,5 Prozent zurück und für 2017 von 1,7 auf 1,6 Prozent. Dies sei auf schwache Investitionen und eine hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen, heisst es in dem Bericht. Auch für Grossbritannien sieht der Ausblick für 2016 schlechter aus. Die Experten verwiesen auf Risiken angesichts eines drohenden Austritt des Landes aus der Europäischen Union.
Japan steuert auf Schrumpfung zu
Für die USA haben sich die Erwartungen ebenfalls verschlechtert. Die Prognose für dieses Jahr wurde von 2,6 auf 2,4 nach unten korrigiert und für 2017 um 0,1 Prozentpunkt auf 2,5 Prozent.
Unter den Industrieländern sieht es für Japan besonders mau aus. Die Wachstumsprognose hat sich für 2016 von 1,0 auf 0,5 Prozent halbiert. Für 2017 rechnen die Ökonomen jetzt sogar mit einer Schrumpfung um 0,1 Prozent. Zuletzt waren sie noch von einem Wachstum um 0,3 Prozent ausgegangen. Japan leide vor allem unter einem stark gesunkenen Konsum, so die Experten.
China überrascht positiv
Dem Bericht zufolge tragen nach wie vor die Entwicklungs- und Schwellenländer «den Löwenanteil» zum globalen Wachstum bei. Hier fallen die Entwicklungen allerdings sehr unterschiedlich aus. Positive Nachrichten gibt es zu China. Die Ökonomen rechnen in diesem Jahr mit einem Wachstum um 6,5 Prozent nach bisher 6,3 Prozent und für kommendes Jahr mit 6,2 statt 6,0 Prozent. Ausserdem bleibe Indien mit starkem Wachstum und steigenden Realeinkommen ein Hoffnungsträger.
Dagegen leiden insbesondere Ölförderländer unter den niedrigen Ölpreisen. Besonders schlecht stehe es um Russland und Brasilien, so die Experten. Es sei mit einer starken Verschärfung der Rezession in Russland zu rechnen bei einer Schrumpfung um 1,8 Prozent statt, wie bislang angenommen, nur um 1,0 Prozent. Allerdings rechnen die Ökonomen weiterhin damit, dass Russland im kommenden Jahr den Weg aus der Rezession schaffen wird. Für Brasilien gehen sie von einer weiteren Verschlechterung um 0,3 Prozentpunkte in diesem Jahr aus. Demnach dürfte Brasiliens Wirtschaft um 3,8 Prozent schrumpfen.
«Brexit» als signifikantes Risiko für Weltwirtschaft
Der IWF hat einen möglichen Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union als signifikantes Risiko für die Weltwirtschaft bezeichnet. «Es ist schwer zu erkennen, wie das positiv werden könnte», sagte Obstfeld: «Ein «Brexit» könnte regional und global schweren Schaden anrichten, weil er etablierte Handelsbeziehungen unterbrechen würde.»
Im Falle eines Austritts-Votums beim Referendum der Briten am 23. Juni würde sich ein zwei Jahre langer Neuverhandlungs-Marathon anschliessen. Der seit Beginn der 1970er Jahre andauernde Trend, dass Grossbritannien mehr und mehr mit den anderen europäischen Ländern kooperiere, würde gestoppt. Es wäre überraschend, wenn die Reduzierung europäischer Integration zu neuem Wachstum führen würde, sagte Obstfeld.
IWF: Politik und Notenbanken sind gefragt
Insgesamt seien die Unsicherheiten für die Weltwirtschaft gestiegen, so die IWF-Experten. Die wichtigsten Risiken seien weitere Finanzmarktturbulenzen, dauerhaft niedrige Ölpreise, eine harte Landung in China sowie nicht-ökonomische Schocks wie geopolitische Konflikte, Terrorismus, Flüchtlingsbewegungen oder globale Epidemien. Den niedrigen Ölpreis werten die Ökonomen als Hindernis für die Weltwirtschaft, weil die positiven Effekte für die Importländer die negative Wirkung auf die Exportländer nicht kompensieren könne.
Das schwache Wachstum erfordere eine sofortige Reaktion, sagte Chefökonom Obstfeld. Gefragt sei ein Mix aus Strukturreformen sowie fiskalische und geldpolitische Massnahmen. Dabei sollten die Staaten kooperieren. Obstfeld plädierte unter anderem für Arbeitsmarktreformen und für mehr staatliche Investitionen in die Infrastruktur sowie in Forschung und Entwicklung. «Länder mit fiskalischem Spielraum sollten nicht zögern, ihn zu nutzen», sagte Obstfeld. Zudem seien die Notenbanker gefordert, ihre lockere Geldpolitik fortzusetzen, um Deflationsrisiken zu begegnen. Hierzu seien wenn nötig auch zusätzliche unkonventionelle Massnahmen zu ergreifen. (awp/mc/ps)