Immobilienmarkt: Die Vertreibung aus dem Paradies
Credit Suisse veröffentlicht ihre Studie zum Schweizer Immobilienmarkt 2016. (Bild: Eisenhans – Fotolia)
Zürich – Die Negativzinsen haben letztes Jahr den Immobilienanlegern hohe Wertänderungsgewinne beschert. Auf den Nutzermärkten sind dagegen wachsende Vermarktungsschwierigkeiten zu beobachten. Davon zeugen steigende Leerstände, rekordhohe Angebotsquoten und längere Insertionsdauern. Das Angebot an Mietwohnungen und Gewerbeflächen dürfte der Nachfrage im Jahr 2016 davoneilen, wozu die tiefen Zinsen kräftig beitragen. Denn angesichts der vergleichsweise hohen Immobilienrenditen fliesst viel Kapital in die Immobilienentwicklung. Die resultierenden Bestandesausweitungen scheinen die Flächennachfrage zunehmend zu überfordern. Die Nachfrage nach Mietwohnungen kann 2016 dank der Zusatznachfrage seitens der Flüchtlinge zwar zahlenmässig an das letzte Jahr anknüpfen, doch die Ertragsaussichten dürften sich im Zuge eines sinkenden Zustroms von Arbeitsmigranten eintrüben. Eine schwächere Nachfrage prognostizieren die Ökonomen der Credit Suisse auch auf den Geschäftsflächenmärkten. Dazu tragen nicht zuletzt tiefgreifende Veränderungen aufgrund der digitalen Revolution bei. Einzig auf dem Wohneigentumsmarkt bleiben Angebot und Nachfrage weitgehend im Gleichgewicht. Für Stress könnten nur steigende Zinsen oder demografische Effekte in einigen Jahren sorgen.
Über zehn Jahre lang haben an den Schweizer Immobilienmärkten schon fast paradiesische Zustände geherrscht: kontinuierlich steigende Preise und Mieten, eine boomende Nachfrage und geringe Leerstände im Umfeld tiefer Zinsen. Seit einigen Jahren verdichten sich aber die Anzeichen, dass andere, weniger positive Zeiten anbrechen. Denn die Renditen fallen den Immobilieninvestoren nicht mehr so einfach in den Schoss. Seitens der Zinsen ist kaum noch mit weiterer Unterstützung zu rechnen. Daher werden in Zukunft vermehrt Eigenleistungen gefordert sein, um auf dem Immobilienmarkt die erhofften Renditen zu erzielen.
Die tiefen Zinsen tragen den Keim des Abschwungs bereits in sich
Die Negativzinsen haben den Bewertungen von Immobilien 2015 nochmals und möglicherweise ein letztes Mal einen kräftigen Schub verliehen. Aufgrund der tiefen Zinsen konnten die Diskontsätze nochmals um 20-30 Basispunkte gesenkt werden, was den Investoren hohe Neubewertungsgewinne bescherte. Je heller der Blick in den Rückspiegel aber ausfällt, umso herausfordernder präsentiert sich der Ausblick auf den Immobilienmarkt. Die glänzenden Resultate auf dem Anlagemarkt kontrastieren mit Signalen wachsender Ungleichgewichte auf den Nutzermärkten. Auf dem Mietwohnungsmarkt etwa steigen die Leerstände trotz robuster Nachfrage seit 2014 um mehr als 4000 Wohnungen pro Jahr. Die Vermarktung gestaltet sich zunehmend schwieriger, was an einer um 4 Tage auf 28 Tage angestiegenen Insertionsdauer von Mietwohnungen sichtbar wird. Trotzdem lösen die im Vergleich zu alternativen Anlagen hohen Immobilienrenditen eine starke Investitionstätigkeit aus. Entsprechend entwickelt sich die Ausweitung der Nutzflächen weitgehend ungebremst. Im laufenden Jahr dürften gemäss Einschätzung der Ökonomen der Credit Suisse erneut 24’000 Mietwohnungen fertiggestellt werden. Ein Abebben der Bautätigkeit ist mit Blick auf die ungebrochene Dynamik bei den Baugesuchen so rasch nicht zu erwarten. Die hohe geplante Ausweitung von Mietwohnungen wird auch 2016 die Zahl leerstehender Wohnungen um über 4000 erhöhen. Der Mietpreisauftrieb in der Schweiz dürfte folglich 2016 fast vollständig zum Erliegen kommen.
Flüchtlinge stützen die Wohnungsnachfrage – aber nur im untersten Preissegment
Verantwortlich für den erwarteten Stopp des Mietpreiswachstums ist der Rückgang der Zuwanderung von Arbeitsmigranten auf der Nachfrageseite. Nachdem deren Zahl schon 2015 um rund 10% abgenommen hat, rechnen die Ökonomen der Credit Suisse 2016 mit einem noch grösseren Rückgang des Zustroms von Erwerbstätigen, denn das Beschäftigungswachstum dürfte im laufenden Jahr einbrechen. Rein zahlenmässig dürfte der Rückgang an Arbeitskräften allerdings durch den Zustrom von Flüchtlingen mehr als kompensiert werden. Letztere tauchen in den offiziellen Daten der ständigen Wohnbevölkerung entweder nur partiell (nur anerkannte Flüchtlinge, gemäss Staatsekretariat für Migration) oder erst mit einjähriger Verzögerung (gemäss Bundesamt für Statistik) auf. Das Plus von 17’000 Flüchtlingen im Jahr 2015 gemäss Staatsekretariat für Migration und ein nicht minder grosser, erwarteter Zustrom im Jahr 2016 werden folglich nur unscharf bzw. zeitlich verzögert wahrgenommen. Die Zusatznachfrage nach Mietwohnungen von Flüchtlingen wird hauptsächlich im untersten Preissegment, das bereits umkämpft ist, zu einer wachsenden Anspannung führen.
Geschäftsflächenmärkte im Zeichen der digitalen Veränderung
Auf dem Büroflächenmarkt erwarten die Ökonomen der Credit Suisse für 2016 ein Nullwachstum der Bürobeschäftigung und damit eine äusserst schwache Flächennachfrage. Während wichtige Akteure wie die Finanzdienstleister mit einem Strukturwandel kämpfen, sieht sich der gesamte Dienstleistungssektor aufgrund der digitalen Revolution neuen Herausforderungen ausgesetzt. Die Verlagerung administrativer Supportfunktionen in Niedriglohnländer (Offshoring) ist dank der Digitalisierung heute einfacher. Grossunternehmen haben bereits Zehntausende von Stellen ausgelagert. Das Offshoring dürfte aufgrund der Frankenstärke vermehrt auch bei Mittel- und Kleinbetrieben Schule machen, was die Nachfrage nach Büroflächen in der Schweiz senkt. Ein Bedarf, der bereits durch die Flexibilisierung der Arbeit (Desksharing, Home office, Third places) geringer ausfällt. Die Digitalisierung bietet indes auch Potenzial für neue Büroarbeitsplätze und sie verändert die Nachfragebedürfnisse. Die von Negativzinsen gebeutelten Investoren planen daher weitere Büroflächen. Sie verlagern ihre Investitionen verstärkt in die mittelgrossen Zentren (wie z.B. Zug, Aarau, St. Gallen und Lugano), wo noch tiefere Angebotsquoten vorherrschen. Nach einer Stabilisierung des Überangebotes im letzten Jahr dürfte eine über das historische Mittel gestiegene geplante Flächenausweitung die Ungleichgewichte auf dem Büroflächenmarkt 2016 fraglos wieder verschärfen. Weder bei den steigenden Leerständen noch den sinkenden Mieten ist daher in den kommenden Quartalen mit einer Trendwende zu rechnen.
Umbruch im Verkaufsflächenmarkt hat erst begonnen
Fest im Griff der Digitalisierung befindet sich auch der vom Onlinehandel bedrängte Verkaufsflächenmarkt. Dessen Umbruch scheint erst begonnen zu haben, denn im Vergleich zum Ausland steckt der Onlinehandel hierzulande mit einem Marktanteil von knapp 6% noch in einer frühen Entwicklungsphase. Ein schrittweises Angleichen an Marktanteile um 10%, wie sie in Ländern mit ähnlicher Internetinfrastruktur üblich sind, dürfte die Flächenproduktivität im stationären Handel noch mehr unter Druck setzten und die Flächennachfrage reduzieren. Bereits heute signalisieren steigende Leerstände, ein rekordhohes Flächenangebot und sinkende Mieten eine grosse Zurückhaltung auf Mieterseite. Wie gross die Verunsicherung über die Rolle des stationären Handels in der digitalen Welt ist, zeigt eine trotz des tiefen Zinsniveaus weit unterdurchschnittliche Planung neuer Verkaufsflächen. Einer der wenigen Lichtblicke sind die Nachfrageimpulse, die sich aufgrund des anhaltend robusten Bevölkerungswachstums bei den Food-/Near-Food-Detaillisten einstellen. Abgesehen davon fokussiert sich die Nachfrage auf die besten Lagen an hochfrequentierten Einkaufsstrassen und gut geführten Einkaufszentren. Dort vermag sich der stationäre Handel am besten gegenüber der Onlinekonkurrenz zu behaupten. Abgesehen von diesen Lagen gestaltet sich jedoch die Flächenvermarktung schwierig. Die Ökonomen der Credit Suisse erwarten daher für die nächsten Jahre keine Veränderung des Trends anhaltender Ladenschliessungen, steigender Leerstände und sinkender Mieten.
Wachsender Generationengraben im Wohneigentum
Tiefe Zinsen und ein moderates reales Einkommensplus bilden 2016 gemäss Ökonomen der Credit Suisse eine grundsätzlich positive Ausgangslage für die Nachfrage nach Wohneigentum. Hinzu kommt, dass das Streben nach Wohneigentum der in den letzten Jahren Zugewanderten die Nachfrage ebenfalls stützt. Eine stark dämpfende Wirkung üben dagegen die (Selbst-)Regulierungsmassnahmen und die damit einhergehenden höheren finanziellen Anforderungen für den Erwerb von Wohneigentum aus. Die Ökonomen rechnen für 2016 mit einer fortgesetzten Beruhigung des Wohneigentumsmarktes. Diese dürfte sich landesweit in einem zwar positiven, aber nur noch schwachen Preiswachstum von weniger als 1% äussern. Die Preiskorrektur in der Westschweiz wird sich fortsetzen, allerdings nach Einschätzung der Ökonomen nicht weiter verschärfen, sind doch die Rahmenbedingungen für Wohneigentum immer noch attraktiv. Die Nachfrage wird jedoch immer stärker von Personen getragen, die sich in der zweiten Lebenshälfte befinden, wie eine Strukturanalyse zeigt. Wohneigentümer sind heute im Durchschnitt bereits 57 Jahre alt. Mit dem Älterwerden der finanziell gut situierten Babyboomer-Generation und deren längerer Lebensdauer dominieren immer mehr ältere Haushalte das Wohneigentum. Junge Haushalte dagegen verharren auch aufgrund der hohen Eigentumspreise und der verschärften Regulierung länger in den Mietwohnungen. Zwischen den Generationen tut sich folglich ein wachsender Graben auf. Als Folge davon wird spätestens, wenn hinter den Babyboomern die geburtenarmen Jahrgänge folgen, der Wohneigentumsmarkt einem Stresstest unterzogen. Ab 2018 rechnen die Ökonomen der Credit Suisse mit einer demografiebedingt schwächeren Nachfrage, die nach einigen Jahren um bis zu einem Drittel tiefer ausfallen könnte als heute. (CS/mc/ps)
Die vollständige Studie «Schweizer Immobilienmarkt 2016 – Vertreibung aus dem Paradies» finden Sie im Internet unter:
www.credit-suisse.com/immobilienstudie