Der Horror von Paris – Mindestens 132 Tote bei sechs Anschlägen
Polizeikräfte, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter in der Umgebung der «Bataclan»-Konzerthalle frühen Samstagmorgen.
Paris – Zehn Monate nach «Charlie Hebdo» ist Paris erneut Ziel einer Terrorattacke. An mehreren Orten gleichzeitig fallen Schüsse, sind Explosionen zu hören. In einem Konzertsaal richten Unbekannte ein Massaker an. Die Zahl der Toten und Verletzten ist riesig.
Die französischen Zeitungen titeln «Horror» und «Krieg in Paris». Der Terror hat Paris zehn Monate nach dem Anschlag auf die Satirezeitung «Charlie Hebdo» erneut ins Mark getroffen. Und der Schrecken erreicht ein neues Mass: Die Attentäter ziehen mit Sprengstoffgürteln los, an mindestens sechs Orten schlagen sie zu. Mindestens 132 Menschen sterben und über 350 werden verletzt. Präsident François Hollande spricht von «Barbarei».
Im Visier stehen ein beliebtes Ausgehviertel im Osten der Stadt sowie das Stadion, in dem am Abend die deutsche Fussballnationalmannschaft aufgelaufen ist. Ein Massaker richten die Angreifer im Musikclub «Bataclan» an. Nach Berichten von Augenzeugen schiessen Terroristen dort wild um sich, nehmen Geiseln. Rund hundert Menschen sterben. Die beliebte Konzerthalle mit etwa 1500 Plätzen ist für ein Konzert der US-Band «Eagles of Death Metal» ausverkauft. Mehrere Angreifer sprengen sich später selbst in die Luft.
«Mitten im Konzert sind Männer reingekommen, sie haben im Bereich des Eingangs zu schiessen begonnen», sagt Konzertbesucher Louis dem Sender France Info. Sie hätten in die Menge geschossen und dabei «Allahu akbar» gerufen – «Allah ist gross». Eine offizielle Bestätigung für ein islamistisches Motiv der Anschläge gibt es zunächst nicht.
Von der Galerie gefeuert
Der Journalist Julien Pearce vom Radiosender Europe 1, der selbst im Saal war, berichtet: «Es waren zwei oder drei Leute, die nicht maskiert waren. Sie hatten Maschinengewehre wie Kalaschnikows dabei und haben sofort angefangen, wild um sich zu schiessen.» Er fügt an: «Das hat 10, 15 Minuten gedauert. Das war von extremer Gewalt. Es gab Panik. Alle sind Richtung Bühne gerannt. Die Attentäter hatten Zeit, mindestens drei Mal nachzuladen. Sie waren nicht maskiert. Sie traten sehr beherrscht auf. Sie waren sehr jung.» Augenzeuge Marc Coupris berichtet dem britischen «Guardian», Angreifer feuerten auch von der Galerie herunter.
Gleichzeitig spielen die Fussballnationalmannschaften von Frankreich und Deutschland vor knapp 80’000 Menschen im Stade de France, nördlich von Paris. Da sind plötzlich aus der Umgebung mehrere Explosionen zu hören. Als es das zweite Mal knallt, schaut Frankreichs ballführender Verteidiger Patrice Evra verstört nach oben. Das Spiel läuft weiter, schnell verbreiten sich aber unter den Zuschauern Gerüchte.
Doch eine Panik bricht nicht aus. Weitgehend geordnet verlassen die Zuschauer das Stadion, in dem am 10. Juni die EM eröffnet und am 10. Juli 2016 beendet wird. Einige zieht es zum Ort der schrecklichen Geschehnisse mit zwei Bombenexplosionen. Einen Blick darauf lässt die Polizei aber nicht zu.
Andere denken zunächst an Feuerwerk, als in einem anderen Stadtteil Schüsse fallen. Auch Ein asiatisches Restaurant und eine Bar werden attackiert. Florence, die «eine Minute später» mit dem Motorroller am Tatort eintraf, sieht die Menschen am Boden liegen. «Das war surreal», sagt sie.
«Niemand hat sich im Restaurant Petit Cambodge gerührt und alle Leute in der Bar Carillon waren am Boden. Es war sehr ruhig, die Leute verstanden nicht, was passierte», sagt sie. «Ein Mädchen wurde von einem Mann in den Armen getragen. Sie sah wie tot aus.» Ein Mann erzählt von Salven über «zwei, drei Minuten». Er habe «mehrere blutüberströmte Körper am Boden gesehen».
Just vor der Klimakonferenz
Noch sind viele Fragen offen, doch klar ist: Dieser blutige Freitag der 13. ist für Frankreich der traurige Tiefpunkt eines Jahres, in dem quasi im Monatstakt vereitelte oder erfolgreiche Anschlagspläne für Schlagzeilen sorgten. Tausende Soldaten sind zum Schutz gefährdeter Orte im Einsatz, das Parlament hat den Geheimdiensten neue Kompetenzen eingeräumt. Dass trotzdem acht Attentäter in einer derart konzertierten Aktion zuschlagen konnten, dürfte noch für Diskussionen sorgen – zumal in zwei Wochen mehr als 100 Staats- und Regierungschefs zur UNO-Klimakonferenz in Paris erwartet werden.
Die Regierung verhängt den Ausnahmezustand, und genau so fühlt sich die Lage in Teilen der Hauptstadt auch an. Strassen sind weiträumig abgesperrt, Menschen müssen Regionalbahnen und Metros räumen, auch Taxis sind schwer mehr zu bekommen. «Alles ist blockiert», sagt eine junge Frau. Mit Handys am Ohr versuchen viele, irgendwie nach Hause zu kommen. Rettungswagen sind unterwegs, die Spitäler haben einen Notplan eingesetzt. Sirenen tönen, sonst herrscht teils fast schon beängstigende Stille. Über dem Gebiet des Stadions und der Stadt kreisen Helikopter. Fassungslos weinen Menschen.
Bei der Polizei ist die Stimmung in der Nacht angespannt. Während die Geiselnahme im «Bataclan» noch läuft, winken in der Nähe am Platz der Republik schwer bewaffnete Polizisten nervös jedes Fahrzeug weg, das sich ihrer Absperrung nähert. «Das ist schlimmer als Charlie Hebdo», sagt ein Mitglied der Sicherheitskräfte.
An der Statue auf dem Platz sind noch Überreste der Solidaritäts-Bekundungen zu lesen, mit denen die Menschen nach «Charlie» gegen den Terror protestiert hatten. Jetzt ist der Platz abgesperrt und verwaist. (awp/mc/upd/ps)