Doppelstrategie der Silberameise gegen den Hitzetod
Silberameise in Abkühlposition. (Bild: Rüdiger Wehner)
Zürich – Als eine der wenigen Tierarten können Silberameisen in der Sahara bei Bodentemperaturen bis zu 70 Grad überleben. Ein Forscherteam der Universität Zürich und der Columbia University hat ihr Geheimnis nun gelüftet: Die Silberameisen besitzen ein spezielles Haarkleid, das eine doppelte thermoregulatorische Funktion erfüllt. Je nach Wellenlänge können die Haare Strahlung reflektieren oder transmittieren. Ihre Erkenntnisse wollen die Forschenden künftig für die Entwicklung von Wärmeschutzfolien anwenden.
In der Sahara kann man zu den heissesten Stunden eines Sommertages, wenn sich alles andere Leben nur noch im Verborgenen abzuspielen scheint, immer wieder silbrig glänzende Ameisen beobachten, die mit Geschwindigkeiten von bis zu 70 Zentimetern pro Sekunde über den Wüstenboden jagen. Ihre höchste Aktivität entfalten sie bei Bodentemperaturen von 50 bis 70 Grad. Sie suchen Insekten, die weniger hitzeresistent und daher den harten klimatischen Wüstenbedingungen zum Opfer gefallen sind.
Der Frage, wie die Silberameisen sich selbst vor der immensen Sonneneinstrahlung und der Infrarot-Rückstrahlung vom Boden schützen können, hat sich ein interdisziplinäres Forschungsteam des Hirnforschungsinstituts der Universität Zürich und des Departments of Applied Physics and Mathematics der Columbia University in New York zugewandt. «Das Geheimnis liegt im Silberglanz ihres Körpers», erklärt Prof. Rüdiger Wehner von der Universität Zürich. Dieser Glanz beruht auf einem Überzug von feinen dreikantigen, nach aussen spitz zulaufenden Haaren. Diese sind mit ihren Dimensionen und Feinstrukturen so beschaffen, dass sie in doppeltem Sinne «gezielt» auf Sonnenlicht reagieren.
In jenem Spektralbereich, in dem die Sonnenstrahlung ihre höchsten Werte erreicht, wird durch die sogenannte Mie-Streuung im Haarinneren und Totalreflexion an den flachen Unterseiten der Haare ein effizienter Strahlungsschutz erreicht und damit die Aufwärmung des Körpers reduziert. Hier dienen die Haare sozusagen als Hitzeschild.
Wärme effizient abstrahlen
Im ferneren Infrarotbereich bewirken die Haare genau das Gegenteil. Hier verringern sie die Reflexion und erhöhen damit die Strahlungstransmission der Körperoberfläche. Dieser auf den ersten Blick paradoxe Befund ist für die Tiere jedoch von lebenserhaltender Bedeutung. Denn einerseits ist die Sonneneinstrahlung in diesem Bereich nur von untergeordneter Bedeutung, so dass sich die erhöhte Transmission des Haarkleids nicht nachteilig auswirken kann. Andererseits ermöglicht die erhöhte Transmission, dass die Tiere aufgenommene Wärme effizienter abstrahlen können, wenn sie sich in kühlere Luftschichten begeben.
Von diesem Abkühlverhalten machen die Silberameisen auf dem Wüstenboden regen Gebrauch. Wenn immer ihre Körpertemperatur das artspezifische «kritische thermische Maximum» von 53 bis 54 Grad erreicht hat, müssen sie zusätzlich aufgenommene Wärme abstrahlen, um nicht selbst dem Hitzetod zu erliegen. Da über dem Wüstenboden ein äusserst steiler Temperaturgradient besteht, können die Tiere auf erhöhten Standpunkten wie Steinen oder Vegetationsresten in kühlere Luftschichten gelangen und Wärmestrahlung durch das in diesem Spektralbereich besonders durchlässige Haarkleid nach aussen abgeben, sich also abkühlen.
Damit wirkt das Silberhaarkleid in doppeltem Sinne als thermoregulatorischer Umhang. Es verringert die Aufwärmung des Körpers durch Strahlungsreflexion in jenem Spektralbereich, in dem die Sonne ihre stärkste Wirkung entfaltet, und erleichtert im Infrarotbereich die Wärmeabgabe in kühlere Umgebung. Diese Doppelfunktion schlägt sich im Verhalten der Tiere nieder: Je höher die Sonne an einem Wüstentag steigt, desto mehr sind die Tiere auf den ständigen Wechsel von Jagen am Boden und kurzfristigem Ersteigen erhöhter Punkte im Gelände angewiesen.
Und wenn es noch eines Beweises für die Doppelfunktion der Haare bedurft hätte: Auf der Unterseite des Körpers, die der Infrarotstrahlung des heissen Wüstenbodens ausgesetzt ist, fehlt das Haarkleid. Das durch die Silberhaare geöffnete Thermofenster für Infrarotstrahlung ist hier also geschlossen.
Die Natur steht Pate
Bei der Entdeckung und biophysikalischen Analyse dieser thermoregulatorischen Doppelfunktion der Silberhaare wirkten Biologen und Physiker verschiedener Couleur zusammen. Über Thermosonden ermittelten sie im Feld und Labor die Körpertemperaturen der Tiere und die kleinräumigen Thermogradienten über dem Boden. Mit Fourier-Transform-Spektrometern vermassen sie die Reflexionsspektren über weite Wellenlängenbereiche. Thermodynamische Experimente führten sie im Vakuum aus und in Luft, um die Anteile von Radiation und Konvektion getrennt zu erfassen. Schliesslich demonstrierten sie mit Hilfe von Simulationen die funktionelle Bedeutung der im Querschnitt dreieckigen Haare auch theoretisch.
Als biomimetische Anwendung planen sie, Folien zur passiven radiativen Kühlung von Objekten zu entwickeln. «Kurzum: Mit dem Silberglanz der Wüstenameisen scheint wieder einmal die Natur Pate für eine technische Entwicklung gestanden zu haben», fasst Prof. Wehner zusammen. (Universität Zürich/mc/pg)