Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Freitag der Experten

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Freitag der Experten
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen. (Foto: Raiffeisen)

Am Freitag ist wieder mal Expertise gefragt. Das lateinische Wort „expertus“ lässt sich am besten mit erfahren oder sachkundig übersetzen. Ein Experte ist folglich ein Spezialist, der auf einem soliden theoretischen Unterbau viel Erfahrung gesammelt hat und sich damit als kompetenter Ansprechpartner für spezifische Anliegen in einem Gebiet anbietet.

Der Begriff des Experten ist nicht geschützt. Vielleicht ist er gerade deshalb im gemeinen Sprachgebrauch fast überall heimisch. Im Grunde kann sich jeder als Experte in einem Gebiet bezeichnen, man spricht dann von den selbsternannten Experten. An Glaubwürdigkeit gewinnt der Expertenstatus hingegen, wenn er von Dritten verliehen wird. Besonders erstaunt, dass es dort am meisten Experten gibt, wo nicht genau geprüft werden kann, ob denn tatsächlich eine Expertise vorliegt, zum Beispiel in der Wirtschaft.

Die höchste Steigerungsform des Expertentums
In Deutschland gibt es nicht nur Experten, dort werden die Mitglieder des sogenannten Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung umgangssprachlich sogar als die fünf Wirtschaftsweisen bezeichnet. Das ist die höchste Steigerungsform des Expertentums oder einfach Anmassung. Denn das Expertentum der Wirtschaft ist bekanntlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Und doch hängen viele an den Lippen von Experten.

Das wird auch am Freitag wieder so sein, wenn das Staatssekretariat für Wirtschaft die Schweizer BIP-Zahlen für das erste Quartal vorlegen wird. Natürlich sind auch wir gespannt, wie es der Schweizer Wirtschaft in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres ergangen ist. Denn mit dem Wegfall der Wechselkursbindung des Frankens zum Euro ist die Unsicherheit gross hierzulande und wir lechzen förmlich danach, schwarz auf weiss zu sehen, wie sich der Entscheid vom 15. Januar auf unsere Wirtschaft ausgewirkt hat. Doch wissen wir wirklich mehr am Freitag? Ich behaupte nein und empfehle schon jetzt die Zahlen nicht auf die Waagschale zu legen.

Völlig widersprüchliche Ergebnisse
Das wenige, was wir am Freitag erfahren werden, ist, welcher Experte die beste Schätzung für das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2015 abgegeben hat. Wie weit da die Meinungen auseinander gehen, zeigt die Umfrage von Bloomberg unter 16 Researchern, die sich mehr oder weniger intensiv mit der Schweizer Wirtschaft befassen. Die tiefste Schätzung liegt bei einer Quartalswachstumsrate von minus 0.8%. die höchste bei plus 0.3%. Die Bandbreite der Expertenmeinungen erstreckt sich demnach von einem tiefen Fall in die Rezession bis hin zu einem moderaten Wachstum. Das sind völlig widersprüchliche Ergebnisse. Trotz identischer Grundlagen kommen 16 Experten zu teils sehr abweichenden Meinungen und nur wenige, vielleicht auch nur einer, dürfte am Freitag schliesslich Recht behalten. Und auch das ist nur ein kurzer Erfolgsmoment für den Prognostiker, denn schon drei Monate später stehen Revisionen der Zahlen an, die das Bild auf den Kopf stellen können.

Es wäre nicht das erste Mal, dass in einer Nachkalkulation sogar das Vorzeichen wechselt. Allerdings interessiert das in drei Monaten niemanden mehr. Dabei liegen die revidierten Schätzungen stets ein gehöriges Stück näher an der Realität als die ersten. Doch nur die ersten Schätzungen interessieren und werden am Freitag für Schlagzeilen sorgen. Und „quick and dirty“ für Fehlinterpretationen. Ich höre schon die Meldungen der Radiostationen, wenn das Vorzeichen negativ sein sollte. Das Wort Rezession wird dominant und danach in aller Munde sein. Fakt ist aber: wir erhalten am Freitag lediglich eine erste (vage) Schätzung der Wirtschaftsleitung des ersten Quartals 2015, welche den Wechselkurseffekt nicht einmal annähernd abbilden dürfte. Falls am Freitag das „R“-Wort kursieren sollte, dann sollten Sie sich davon nicht das Wochenende verderben lassen. Denn es ist fürs erste nicht viel mehr als eine Vermutung, genauso wie die Meinungen der Experten. (Raiffeisen/mc/ps)

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