Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Kehrseite der guten Konjunkturdaten

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Kehrseite der guten Konjunkturdaten
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Die Schweizer Wirtschaft scheint weiter gut in Fahrt. Der Taucher im Sommer mit einigen enttäuschenden Konjunkturindikatoren wie ein fast stagnierender Einkaufsmanagerindex und durchzogene Daten des Gastgewerbes wurden vergangenen Donnerstag durch die Meldung relativiert, wonach das Bruttoinlandprodukt der Schweiz im 3. Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0.6% gestiegen sei. Im Vorjahresvergleich, also gegenüber dem dritten Quartal 2013 resultierte ein Plus von 1.9%. Von solchen Wachstumsraten können Deutschland, Frankreich und die Eurozone sowieso nur träumen. Die liegen dort so nahe bei null, dass niemand gross einen Unterschied spürt. Europa stagniert und die Schweiz wächst.

Das Wachstum verwendungsseitig getrieben haben die Warenexporte, die im dritten Quartal um fast drei Prozent (2.8%) angestiegen sind. Allen voran waren es wieder die Pharmazeutische und die Chemische Industrie, welche überdurchschnittlich zulegten, gefolgt von der Präzisionsindustrie und Schmuck sowie Uhren. Ein Plus meldeten auch die nach der Krise besonders arg gebeutelten Industriezweige Maschinen und Metall. In diesen Zahlen kommt die Robustheit unserer Exportwirtschaft gut drei Jahre nach Einführung der Wechselkursuntergrenze klar zum Ausdruck. Trotz Flaute in Europa und einem vermeintlich viel zu starken Franken, können sich die hiesigen Exporteure offenbar recht gut behaupten. Ein sicherer Wert waren auch die privaten Konsumausgaben, die wieder im Gleichschritt mit dem Bruttoinlandprodukt zulegten.

Landwirtschaft schlägt Banking
Wer die Zahlen von der Entstehungsseite des Bruttoinlandproduktes her betrachtet, stellt fest, dass neben der Industrie und der Landwirtschaft vor allem der Staat und «übrige» zulegten. Der Handel, das Transport- und Gastgewerbe, die Kommunikationsbranche und die Finanzdienstleister wurden von ihnen klar distanziert. Die Finanzindustrie bleibt somit ein Sorgenkind der Schweizer Wirtschaft. In der Finanzindustrie ist die Strukturanpassung noch nicht sehr weit fortgeschritten und es steht die Altlastenbereinigung im Vordergrund. Trotz boomender Finanzmärkte ist die Profitabilität eher bescheiden. Die Löhne sind der Haupttreiber der Wertschöpfung im Banking, aber auch Kostenblock Nummer eins.

Wenn nun die Erträge wegschmelzen, müsste man sehr viel Personal abbauen, um die Profitabilität wenigstens annähernd halten zu können, doch das können viele Finanzinstitute nicht, weil sie auf der anderen Seite in Folge der neuen Regulierungen immer mehr Spezialisten anheuern müssen. Auch 2015 wird unter einem solchen Stern stehen  und daher kaum das Jahr sein, an dem sich die Finanzindustrie an der Wachstumsspitze der Schweiz zurückmeldet. Zumal die Finanzmärkte nun schon bald sechs Jahre einen Lauf hinlegen, der immer schwerer aufrecht zu erhalten sein wird.

Die EZB gibt den Takt an
Neben der Tatsache, dass ein solider privater Konsum, steigende Exporte und eine brummende Bauwirtschaft der Schweiz viel Wachstum beschert haben, darf nicht ausgeblendet werden, dass nun seit mehr als drei Jahren auch in der Schweiz die Geldpolitik massgeblich in den Verlauf der Wirtschaft eingreift. Mit der Quasifixierung des Wechselkurses im September 2011 beschert sie den vom ausländischen Markt abhängigen Wirtschaftszweigen ein stabiles Kalkulationspolster und eliminiert für die Exporteure das Wechselkursrisiko in ihrem Hauptmarkt Europa. Dafür hat die Schweizerische Nationalbank allerdings inzwischen ihre Bilanz so stark ausgeweitet wie keine andere Zentralbank in den grossen und teils noch immer krisengeplagten Volkswirtschaften. Und das in mehr oder weniger paradiesischen Verhältnissen verglichen mit dem überschuldeten Gros der Industrienationen.

Die Fixierung unserer Währung an den Euro hat seinen Preis und stiftet erst noch willkommenen konjunkturellen Nutzen. Dafür fängt sich die SNB weit mehr Lob ein als Tadel für eine immense Ausweitung der Geldmenge und sieht daher kaum Grund, an ihrer Politik etwas zu ändern. Erst recht nicht, da ja jetzt die Europäische Zentralbank (EZB) und eigentlich gar nicht mehr die SNB selbst den Takt angibt und sagt, wann es in der Schweiz jemals wieder höhere Zinsen am kurzen Ende gibt. Das ist die Kehrseite der auf den ersten Blick guten Konjunkturdaten, aber auch etwas, das in der Schweiz ziemlich tabuisiert ist. Die Geldpolitik ist ohnehin schon wie ein heiliger Gral, die Schweizerische Nationalbank ganz zuoberst eine Institution absolut seriöser Professionalität. Und nun hängt diese integre Institution am Tropf der EZB? Das ist der Preis für gute Konjunkturdaten. (Raiffeisen/mc/ps)

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