Ökonomen: Eurozone steuert auf lange Stagnation zu
DIW-Präsident Marcel Fratzscher.
Berlin – Angesichts der Wachstumsschwäche der beiden Euro-Schwergewichte Italien und Frankreich wächst unter Ökonomen der Konjunkturpessimismus für die Eurozone. «Ich befürchte, vor Europa liegt eine längere Phase aus Stagnation, Deflation und hoher Arbeitslosigkeit», sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der Zeitung «Welt am Sonntag».
Skeptisch zeigte sich auch der Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, Guntram Wolff: «Die europäische Konjunktur ist unglaublich schwach.» Beide Ökonomen sprechen sich deshalb für weitere Massnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) aus, um die Wirtschaft in der Währungsunion zu stützen. «Die Geldpolitik der EZB muss noch stärker gelockert werden», fordert Wolff. «Die EZB hat nicht die Option, nichts zu tun», befindet Fratzscher. Der EZB-Rat trifft sich am Donnerstag zu seiner nächsten Zinssitzung.
Im Streit der EU-Länder um eine Lockerung der Sparpolitik spricht sich Fratzscher für eine volle Nutzung der bei den Haushaltsregeln eingebauten Flexibilität aus. Staaten wie Frankreich oder Italien sollten zwar mehr Zeit beim Defizitabbau erhalten, jedoch ohne die langfristigen Budgetvorgaben zu brechen, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) der dpa. Im Gegenzug müssten Strukturreformen vorangetrieben werden. «Die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes dürfen nicht verletzt werden.»
Fiskalregeln so flexibel wie möglich anwenden
«Die Fiskalregeln sollten so flexibel wie möglich angewandt werden», sagte Fratzscher. Mehr Spielraum sei möglich bei der Beurteilung des Potenzialwachstums eines Landes oder des strukturellen Defizits. Die EU-Kommission, die für die Überwachung der Fiskalregeln zuständig ist, müsse eine zentrale Rolle spielen: «Die Auslegung der Regeln darf nicht in der Verantwortung der Mitgliedsländer liegen.»
Vor allem Italien und Frankreich pochen seit längerem auf eine Lockerung der Sparvorgaben. Auch der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hatte sich dafür ausgesprochen, dass die Finanzpolitik angesichts nachlassender Konjunktur eine grössere Rolle übernehmen sollte. Dies sieht auch Fratzscher so.
Mehr Staatsausgaben allein seien aber nicht die Lösung, betonte der DIW-Chef zugleich. «Das ist eine Illusion.» Entscheidend seien Strukturreformen – auch, um mehr Privatinvestitionen anzustossen. «Wir müssen an eine Art Paket denken», sagte Fratzscher. Die Geldpolitik habe bisher das meiste getan, um die Euro-Krise zu bewältigen. Die Fiskalpolitik könne nur begrenzt agieren: «Daher müssen jetzt strukturelle Reformen beherzter angegangen werden.» (awp/mc/ps)