Ukraine-Krise: EU kritisiert russisches Einfuhrverbot für West-Produkte

Ukraine-Krise: EU kritisiert russisches Einfuhrverbot für West-Produkte

Das Angebot an Früchten und Gemüse aus Europa auf den Märkten Russlands fällt bis auf Weiteres geringer aus. 

Brüssel – Die EU hat das von Russland verhängte einjährige Einfuhrverbot für Agrarprodukte aus dem Westen kritisiert. «Diese Ankündigung ist ganz klar politisch motiviert», sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Donnerstag in Brüssel. Die EU behalte sich eine Antwort vor. Ausmass und Folgen für die europäischen Exporte müssten nun analysiert werden. Die EU habe im Jahr 2013 Obst und Gemüse im Wert von 11,9 Milliarden Euro nach Russland exportiert.

Der Sprecher verteidigte die zuvor von der EU beschlossenen Sanktionen gegen Russland und sagte: «Die von der EU verhängten restriktiven Massnahmen sind eine direkte Folge der illegalen Annexion der Krim und der Destabilisierung in der Ukraine.» Die EU bemühe sich weiter um eine Entspannung im Ukraine-Konflikt. «Alle sollten diese Anstrengung unterstützen.»

Ob EU-Staaten aus Brüssel Entschädigung für Verluste aus dem Geschäft mit Russland erhalten könnten, sei noch offen. «Dafür benötigen wir mehr Details», so der Sprecher. Er sagte auf Nachfrage auch nicht, welche EU-Staaten besonders betroffen seien.

Der von Präsident Wladimir Putin verkündete einjährige Boykott umfasst Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Obst und Gemüse. Eine Liste wurde am Donnerstag veröffentlicht. Betroffen sind demnach die USA und alle EU-Staaten, ausserdem Kanada, Australien und Norwegen.

Gigantischer Markt
Das grösste Land der Erde gilt als gigantischer Markt, ist für westliche Lebensmittelhersteller aber nun dicht. Dies könne die deutsche Wirtschaft empfindlich schmerzen, so der Exportverband BGA. Denn insbesondere für hochwertig verarbeitete Lebensmittel sei Russland wichtiger Abnehmer. Leidtragende seien auch die russischen Verbraucher. Sie müssten wohl die Zeche in Form höherer Preise, schlechterer Qualität und geringerer Vielfalt bezahlen, meinte der Verband.

Nach Einschätzung des Deutschen Bauernverbands hingegen wird der Boykott die deutsche Landwirtschaft nur begrenzt zusätzlich treffen. Bereits seit dem Herbst/Winter 2013 gebe es Einfuhrsperren für Schweinefleisch aus der EU und für Käse aus Deutschland. Produkte wie Obst und Gemüse sowie Geflügel- und Rindfleisch hätten für den deutschen Export nach Russland nur eine geringe Bedeutung.

Russische Experten gehen davon aus, dass der Importstopp «äusserst schmerzhaft» für beide Seiten wird. Die EU verliere viele Milliarden Euro aus dem Obst- und Gemüsehandel mit Russland, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Sergej Sutyrin von der Universität St. Petersburg. Zudem müssten die USA auf einen lukrativen Markt für Rindfleisch und Geflügel verzichten.

Medwedew: «Wir mussten antworten»
Russland habe sehr lange gar nicht geantwortet auf die Sanktionen des Westens, sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedew der Agentur Interfax zufolge. Das Land habe bis zuletzt gehofft, der Westen werde begreifen, dass seine Politik in die Sackgasse führe. «Wir mussten antworten.» Der Importstopp werde streng überwacht, kündigte Medwedew an. Zudem solle durch Kontrollen verhindert werden, dass für die verkauften Waren die Preise steigen.

Medwedew sieht nun auch eine Chance für die heimische Industrie. «Die Gegenmassnahmen, die wir ergreifen, machen praktisch Platz in den Geschäftsregalen für die Waren unserer Hersteller.» Das gehöre zur Strategie. Die Regierung sagte der russischen Landwirtschaft 50 Milliarden Rubel (gut eine Milliarde Euro) Subventionen zu. Nach Einschätzung von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) ist Russland jedoch auf Lebensmittelimporte aus der EU angewiesen. Eine autarke Lebensmittelversorgung schaffe man nicht «mit einem Fingerschnippen».

Gegen die Ukraine erliess die russische Regierung ein Überflugverbot. Ukrainische Airlines können nun nicht mehr auf dem kürzesten Weg zum Beispiel in die Türkei oder in den Südkaukasus fliegen. «Ich schliesse nicht aus, dass dieses Verbot auf West-Gesellschaften ausgeweitet werden könnte», sagte Medwedew.

Gefechte in der Ostukraine halten an
Unterdessen dauerten in der Ostukraine die erbitterten Gefechte zwischen Armee und Aufständischen an. In der Separatistenhochburg Donezk wurden mindestens drei Zivilisten getötet und fünf verletzt. Im benachbarten Lugansk waren weiter Hunderttausende Einwohner ohne Strom. Die Lage sei «katastrophal», teilten die Behörden mit. Vor Lastwagen zur Brotverteilung bildeten sich lange Schlangen. Seit Beginn der «Anti-Terror-Operation» der Armee im April seien allein im Gebiet Lugansk rund 1500 Menschen ums Leben gekommen, sagte Bürgermeisterin Irina Werigina. Die Opferzahlen gelten aber nicht als gesichert.

Inmitten des schweren Konflikts reichte der Chef des Sicherheitsrates in Kiew, Andrej Parubij, seinen Rücktritt ein, Präsident Petro Poroschenko nahm das Gesuch des 43-Jährigen an. Zuvor hatte es Spekulationen über Unstimmigkeiten zwischen beiden gegeben. Die Armee soll bei Kämpfen mit den prorussischen Separatisten grössere Verluste erlitten haben als zugegeben.

Auf dem seit Monaten von Demonstranten besetzten Unabhängigkeitsplatz in Kiew – dem Maidan – kam es erneut zu Zusammenstössen. Etwa 300 städtische Mitarbeiter versuchten, die seit Dezember bestehenden Barrikaden zu räumen. Die Bewohner des dortigen Zeltlagers zündeten aus Protest Reifen an und warfen Brandsätze. Mehrere Mitarbeiter wurden den Behörden zufolge verletzt.

Die EU und die USA werfen Russland vor, nichts zur Entspannung der Lage in der Ukraine zu unternehmen. Sie hatten deshalb vor kurzem ganze russische Wirtschaftszweige mit Sanktionen belegt. Betroffen sind der Finanz-, Energie- und der Militärsektor. (awp/mc/upd/ps

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