Vom passiven Konsumenten zum nachhaltigen Unternehmer

Vom passiven Konsumenten zum nachhaltigen Unternehmer

Forscher untersuchen Rolle von Nutzern bei nachhaltiger Produktentwicklung.

München – Ob Ökostrom-Tarife oder Car-Sharing: Zahlreiche nachhaltige Produkte und Dienstleistungen wurden zunächst von engagierten Start-ups angeboten. Mehr denn je werden Konsumenten zu Unternehmern, weil sie auf sozial-ökologische Probleme reagieren wollen. Welche Motive sie haben, wie sie die Gründung bewerkstelligen und ob sie Erfolg haben, ist weitgehend unerforscht. Koordiniert an der Technischen Universität München (TUM) untersuchen nun 14 europäische Forschungseinrichtungen, welches Potenzial hier für eine nachhaltige Wirtschaft schlummert – und wie etablierte Firmen Nutzer bei der Entwicklung nachhaltiger Produkte einbeziehen. Das Projekt wird mit 4,7 Millionen Euro von der EU gefördert.

Täglich werden Tonnen von Nahrungsmitteln weggeworfen, manchmal nur weil Obst und Gemüse nicht schön aussehen. Das wollten einige Konsumenten nicht länger mitmachen – und gründeten ein Unternehmen, das Übriggebliebenes zu Marmeladen und Chutneys verarbeitet. Andere Nutzer gründeten die ersten Car-Sharing-Organisationen oder vertreiben nachhaltig produzierte Textilien.

„Diese Menschen setzen nicht auf die Politik oder NGOs, um einen ökologischen oder sozialen Missstand zu beheben. Sie wollen selbst etwas tun – und gehen das Problem unternehmerisch an“, sagt Prof. Frank-Martin Belz, Inhaber der Professur für unternehmerische Nachhaltigkeit der TUM. „Andere sehen den immer grösser werdenden Wunsch nach Nachhaltigkeit und stossen bewusst in die noch bestehenden Marktlücken.“

Auch etablierte Unternehmen wollen von den Ideen für einen nachhaltigen Lebensstil profitieren. In offenen Innovationsprozessen beziehen sie Nutzer bei der Entwicklung neuer Produkte ein: Lebensmittelunternehmen veranstalten Ideenwettbewerbe, Autoproduzenten beteiligen sich an Netz-Communities, in denen neue Ansätze für Elektroautos diskutiert werden. „Viele Konsumenten haben ja nicht nur Erfahrung als Nutzer eines Produktes, sondern auch grosses technisches Wissen“, sagt Belz.

Mit 3D-Druckern zu Hause Prototypen bauen
Durch neue Technologien wie den 3D-Drucker könnten die Möglichkeiten weiter wachsen, Produkte selbst oder in Zusammenarbeit mit Unternehmen zu gestalten. „Damit kann bald jedermann zu Hause einen Prototypen herstellen“, sagt Belz. „Wir sehen hier ein riesiges kreatives, unternehmerisches Potenzial bei der Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaft.“

Wie aber kann dieses Potenzial ausgeschöpft werden? Das untersuchen nun rund 40 Wissenschaftler aus 14 europäischen Forschungseinrichtungen mit Fallstudien, Umfragen und Datenbankauswertungen im EU-geförderten Grossprojekt „Sustainable Lifestyles 2.0: End User Integration, Innovation and Entrepreneurship (EU-InnovatE)“. Mehr als 50 Unternehmen in 15 europäischen Ländern werden die Wissenschaftler unter die Lupe nehmen. Dabei konzentrieren sie sich auf die Branchen Lebensmittel, Bau / Wohnen, Mobilität und Energie.

Zum einen werden die Forscher Start-ups analysieren, die nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen anbieten. Woraus ziehen die Gründer ihre Motivation? Wie war ihr Weg von der Idee bis zur Gründung? Wie finanzieren sie sich? Unter welchen Bedingungen können sie sich am Markt behaupten?

Behindert die Politik offene Innovationsprozesse?
Zum anderen werden die Wissenschaftler die Nutzerintegration in mittelständischen und grossen Unternehmen untersuchen: Warum beziehen die Firmen welche Konsumenten ein? Mit welchen Instrumenten und zu welchen Fragen? Wie organisieren und finanzieren die Unternehmen diese Prozesse? Was sind die Faktoren für Erfolg und Scheitern?

Neben Wirtschaftswissenschaftlern und Soziologen sind auch Politologen, Historiker und Philosophen an dem Projekt beteiligt. Diese untersuchen, wie die nationale und die EU-Politik sozial-ökologisch motivierte Gründungen und offene Innovationsprozesse fördern oder behindern. Zudem betrachten sie, welche Rolle Konsumenten in den vergangenen 100 Jahren gespielt haben.

Ebenso wie die von ihnen untersuchten Unternehmen wollen die Wissenschaftler Nutzer integrieren: Ihre Erkenntnisse wollen sie in Workshops an unternehmerisch interessierte Konsumenten sowie an Firmen weitergeben. (TUM/mc/ps)

Projekt „Sustainable Lifestyles 2.0: End User Integration, Innovation and Entrepreneurship (EU-InnovatE)“:
Das Projekt wird von 2014 bis 2016 mit 4,7 Millionen Euro aus der Sparte Socio-Economic Sciences and Humanities des Forschungsrahmenprogramms der Europäischen Union gefördert. Es ist das erste aus dieser Sparte geförderte Projekt, das an einer bayerischen Universität koordiniert wird, nämlich an der Professur für unternehmerische Nachhaltigkeit – Brau- und Lebensmittelindustrie (Prof. Frank-Martin Belz) der Technischen Universität München. An der TUM sind außerdem die Professuren für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement (Prof. Claudia Peus), Strategie und Organisation (Prof. Isabell Welpe) und Unternehmensführung (Prof. Alwine Mohnen) beteiligt.

Die weiteren Partner sind: Aalto-Korkeakoulusaatio, Aarhus Universitet, Akademia Leona Kozminskiego, Copenhagen Business School, Cranfield University, EABIS – The Academy of Business in Society, Forum for the Future, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Politecnico di Milano, Technische Universiteit Eindhoven, Universidad de Navarra, Università Cattolica del Sacro Cuore, Universiteit van Amsterdam.

Über dieTechnische Universität München
Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 500 Professorinnen und Professoren, 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 35.000 Studierenden eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, ergänzt um Wirtschafts- und Bildungswissenschaft. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit einem Campus in Singapur sowie Niederlassungen in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel und Carl von Linde geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.

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