Chinas Konjunkturaussichten verdüstern sich – Neuer Wachstumskurs
Peking – Der wichtigste Wachstumsmotor der Weltwirtschaft kommt zunehmend ins Stottern. Mit dem HSBC-Einkaufmanagerindex fiel ein wichtiger Frühindikator stärker als erwartet. Zudem mehren sich die Zeichen, dass die Regierung um den seit drei Monaten amtierenden Staatspräsidenten Xi Jinping bei der Konjunktur noch stärker das Tempo drosseln will. Dazu soll den Banken offenbar der Geldhahn stärker zugedreht werden, um der Gefahr einer Kreditblase vorzubeugen. «Die neue Führung des Landes hat einen ganz anderen Fokus als die alte», schrieb Goldman-Sachs-Experte Yu Song. Dies könnte zu einem geringeren, aber nachhaltigeren Wachstum führen.
Der Analyst geht nach den jüngsten Daten davon aus, dass der Anstieg des Bruttoinlandprodukts (BIP) im zweiten Quartal weiter zurückgeht und die Wirtschaft nur noch 7,5 Prozent wachsen könnte. Der von der britischen Bank HSBC erhobene Einkaufsmanagerindex deutet auf eine weitere Abkühlung hin. Er sank vorläufigen Daten zufolge von 49,2 Punkten im Mai auf 48,3 Zähler und damit stärker als von Analysten erwartet. Im Mai war der Frühindikator erstmals seit Oktober 2012 unter die Schwelle von 50 Punkten gefallen. Über dieser Grenze zeigt der Index Wachstum an, liegt er darunter, kann von einem schrumpfenden Industriesektor ausgegangen werden.
HSBC: Reformkurs überraschend fest verankert
An den chinesischen Aktienmärkten sorgten die schwachen HSBC-Daten für Ernüchterung. Die Börsen in Schanghai und Hongkong gaben deutlich nach. Neben den HSBC-Daten belasteten zum einen die Aussagen des US-Notenbankchefs Ben Bernanke, der am Mittwochabend ein Ende der Anleihenkäufe in Aussicht gestellt hatte, sowie steigende Zinsen für die Banken Chinas bei kurzfristigen Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank. Die aktuellen Daten und die geringer werdende Liquidität stellen den Reformkurs der Regierung nach Einschätzung der HSBC-Experten von zwei Seiten auf die Nagelprobe.
«Bisher scheint der Reformkurs der Zentralregierung fast schon überraschend fest verankert zu sein», hiess es in einer am Donnerstag veröffentlichten HSBC-Studie. Solange das Wachstumsziel von 7,5 Prozent für das Gesamtjahr nicht gefährdet ist, dürfte die Regierung ihre Rolle als aufmerksamer Zaungast beibehalten. Chinas Ministerpräsident Li Keqiang hatte erst am Mittwoch klargestellt, dass er die Qualität des Wachstums verbessern will. Dazu soll auch aus dem aufgeblasenen Finanzsektor des Landes Luft abgelassen werden.
Keine aufgeblähten Expert-Datem mehr
Der neue Kurs hatte sich vor kurzem auch in den aktuellen Daten zum Export niedergeschlagen. Hier hatte die Regierung unter anderem durch strengere Finanzkontrollen den Aussenhandel belastet. Die Exporte stagnierten im Mai praktisch – wurden aber nicht mehr wie in den Monaten davor von Finanztricks aufgebläht. Investoren hatten über künstlich erhöhte Preise für Exportgüter Kapital in das Land geschleust, um dort höhere Renditen als in den westlichen Staaten zu erzielen. Mit diesem Schritt sollten die strengen Kapitaleinfuhrkontrollen Chinas sowie die Auflagen bei direkten Investitionen umgangen werden.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte Ende Mai die Prognose für das Wachstum in China gesenkt. Die Experten des IWF gehen jetzt von einem Anstieg des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 7,75 Prozent aus. Davor hatten sie noch mit einem Plus von acht Prozent gerechnet. 2012 hatte das Wachstum Chinas bei 7,8 Prozent gelegen – dem schwächsten Jahr seit 1999. Im Vergleich zum minimalen Wachstum in Europa und den USA erscheinen Wachstumszahlen wie in China bemerkenswert, doch sind sie für ein Schwellenland wie China mit seinem Nachholbedarf nicht hoch. (awp/mc/upd/ps)