BAFU: Renaturierungen und Landwirtschaft nicht gegeneinander ausspielen
Von Franziska Schwarz, Vizedirektorin des Bundesamtes für Umwelt (BAFU).
Bern – Interessenvertreter der Landwirtschaft beklagen den fortschreitenden Kulturlandverlust und machen dabei den Gewässerschutz als neuen Sündenbock aus. Tatsache ist, dass die geplanten Bach- und Flussaufweitungen bis gegen Ende des Jahrhunderts nicht mehr als 2000 Hektaren erfordern – dies im Vergleich zu 3000 Hektaren, die jährlich überbaut werden.
Das revidierte Gewässerschutzgesetz steht seitens der Landwirtschaft unter erheblichem Druck. So kritisieren bäuerliche Kreise etwa, die geplanten Revitalisierungen von Flüssen und Bächen sowie die Sicherung des Gewässerraums entlang von Fliessgewässern seien eine wesentliche Ursache für den Verlust an landwirtschaftlich genutzten Böden. Diese Argumentation hält einer Prüfung der Fakten jedoch nicht Stand.
Allein in den letzten 20 Jahren hat die Landwirtschaft durch die Ausdehnung der Siedlungsflächen schweizweit mehr als 60‘000 ha Kulturland verloren. Im Vergleich dazu erfordern die in der revidierten Gewässerschutzgesetzgebung vorgesehenen Aufweitungen von stark eingeengten Bächen und Flüssen bis gegen Ende des 21. Jahrhunderts einen zusätzlichen Raumbedarf von insgesamt rund 2000 ha – das heisst verteilt über einen Zeitraum von drei Generationen. Bei durchschnittlichen Bodenverlusten von jährlich über 3000 ha durch das Wachstum von Industriearealen, Wohnsiedlungen und Verkehrsanlagen macht der gemittelte Flächenbedarf für Gewässerrevitalisierungen somit weniger als 1 % aus.
Ein politischer Kompromiss wird in Frage gestellt
Die geplanten Bach- und Flussaufweitungen umfassen Gewässerabschnitte mit einer Gesamtlänge von etwa 4000 km, die in den kommenden 80 Jahren revitalisiert werden sollen. Der Schweizerische Fischerei-Verband (SFV) wollte mit seiner Volksinitiative «Lebendiges Wasser» ursprünglich alle stark beeinträchtigten, naturfremden und eingedolten Gewässerläufe revitalisieren. Dies hätte 14‘000 km Fliessgewässer betroffen – ein Grossteil davon im Mittelland.
Bei der seit Anfang 2011 gültigen Revision des Gewässerschutzgesetzes handelt es sich also um einen politischen Kompromiss mit Zustimmung des eidgenössischen Parlaments. Das teilweise Entgegenkommen bewog den SFV Ende 2009 denn auch, sein mit über 160‘000 Unterschriften eingereichtes Volksbegehren zurückzuziehen und stattdessen auf den Gegenvorschlag des Bundes zu setzen.
Die Bereitschaft der Fischereikreise, auf einen Teil der Gewässeraufweitungen zu verzichten, honorierte das Parlament im Gegenzug mit seiner Zustimmung zur Sicherung des Gewässerraums entlang von Flüssen und Bächen. Damit will man die Längsvernetzung der renaturierten Abschnitte sowie den Hochwasserschutz langfristig gewährleisten. So verpflichtet das Gesetz die Kantone, in ihrer Richt- und Nutzungsplanung ausreichende Gewässerräume vorzusehen, damit die Fliessgewässer Hochwasserspitzen, Geschiebe und Schwemmholz schadlos ableiten und Siedlungsgebiete sowie das Kulturland entwässern können, was auch der Landwirtschaft zugutekommt.
Es geht folglich keineswegs darum, frühere Entwicklungen der Landgewinnung in ehemaligen Überschwemmungsgebieten wieder rückgängig zu machen. Das Ziel besteht vielmehr darin, den Fliessgewässern wieder einen minimalen Raum und eine gewisse Eigendynamik zu gewähren, um auf diese Weise bestehende Überschwemmungsrisiken und ökologische Defizite zu beheben.
Dadurch können Flüsse und Bäche auch ihre wichtige Funktion als Lebensraum einer charakteristischen Tier- und Pflanzenwelt im biologisch vielfältigen Übergangsbereich von Wasser und Land besser wahrnehmen. Als willkommener Nebeneffekt entstehen zudem prägende Landschaftselemente, die von zahlreichen Menschen als attraktive Naherholungsgebiete geschätzt werden. Wie beliebt naturnahe Gewässer bei der breiten Bevölkerung sind, zeigt sich etwa an schönen Tagen an der Vielzahl der Erholungssuchenden.
Gewässerraum bleibt der Landwirtschaft erhalten
Auch wenn das revidierte Gewässerschutzgesetz den vielerorts eingeengten, kanalisierten und hart verbauten Fliessgewässern künftig wieder mehr Platz einräumt, werden sie im Mittelland und in den grossen Alpentälern immer ein Teil der Kulturlandschaft bleiben. Der Gewässerraum ist für die Landwirtschaft also nicht verloren, sondern kann von ihr auch in Zukunft genutzt werden – zwar nicht für den Ackerbau, aber zum Beispiel in Form von extensiv bewirtschafteten Wiesen und Weiden im Sinn von ökologischen Ausgleichflächen.
Um die entsprechenden Ertragseinbussen der Landwirtschaft zu entschädigen, hat das Parlament die jährlichen Direktzahlungen um 20 Millionen Franken aufgestockt, was pro Hektare Gewässerraum 1000 Franken im Jahr entspricht. Laut Berechnungen des Bundes müssen beidseits der Ufer von Bächen und Flüssen künftig landesweit rund 20’000 ha ohne Dünger und Pflanzenschutzmittel bewirtschaftet werden.
An kleineren Fliessgewässern wirken sich die neuen Vorschriften kaum auf die bisherige Bewirtschaftung aus, weil der Dünger- und Pestizideinsatz hier seit längerem durch die Direktzahlungsverordnung (DZV) und die Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung (ChemRRV) eingeschränkt wird. Wäre die Versorgungssicherheit des Landes mit Nahrungsmitteln irgendwann gefährdet, könnten diese Böden zudem erneut konventionell bewirtschaftet werden.
Miteinander statt gegeneinander
Die Konferenz der kantonalen Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren, die Landwirtschaftsdirektorenkonferenz sowie die beteiligten Bundesstellen konkretisieren den möglichst einheitlichen Vollzug der neuen Vorschriften gegenwärtig in einem Merkblatt, das auch die landwirtschaftlichen Anliegen flexibel berücksichtigt.
Es geht deshalb nicht an, einen über Jahre ausgehandelten politischen Kompromiss für die nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen mit unlauteren Argumenten zu torpedieren. Wie zahllose revitalisierte Gewässerabschnitte im Land dokumentieren, deren Uferbereiche erfolgreich von Bauern gepflegt und bewirtschaftet werden, funktioniert die angestrebte Kooperation von Landwirtschaft und Gewässerschutz in der Praxis nämlich sehr wohl. (BAFU/mc/ps)