Michael Rasch, Mitautor von «Die heimliche Enteignung»
Michael Rasch, Leiter Börsen und Märkte bei der NZZ (Foto: NZZ).
Von Thomas Trauth
Moneycab: Herr Rasch, Sie sprechen in ihrem Buch von der heimlichen Enteignung durch Inflation. Im Moment lesen wir jedoch viel von einem deflatorischen Umfeld. Warum schreiben Sie gerade heute über die Gefahr der Inflation?
Michael Rasch: Mit heimlicher Enteignung bezeichnen wir den schleichenden Kaufkraftverlust der Sparer. Dazu muss es keine exorbitant hohe Inflation geben. In Zeiten, in denen das Zinsniveau in den westlichen Volkswirtschaften bei fast null liegt, reicht auch eine «normale» Inflation von 2% bis 3%, um Sparer heimlich zu enteignen. Daraus ergeben sich negative reale Zinsen von -2% bis -3%. Das trifft viele Menschen, denn die allermeisten Kleinanleger halten ihr Geld in äusserst niedrig verzinsten Anlageprodukten wie Sparbüchern oder Geldmarktkonten.
«In Grossbritannien sehen wir auch künftig die grösste Inflationsgefahr.» Michael Rasch, Leiter Börsen und Märkte bei der NZZ
In welchen Ländern sehen Sie die grösste Inflationsgefahr? Was heisst dies für die Schweiz?
Ein abschreckendes Beispiel ist Grossbritannien. Dort überschritt die Inflation gemessen an den Konsumentenpreisen in den vergangenen Jahren schon zweimal die Schwelle von 5 %. Entsprechend mussten die Bürger auf der Insel bisher auch die grösste finanzielle Repression ertragen, die gemessen an den Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen bei fast -3% und gemessen an zweijährigen fast -5% erreichte. In Grossbritannien sehen wir auch künftig die grösste Inflationsgefahr.
In der Schweiz sieht es noch etwas besser aus. Im Jahr 2012 waren die realen Zinsen durchweg positiv. Doch auch die Schweizer erhalten kaum noch Rendite für ihr Erspartes – das trifft Kleinanleger und künftige Pensionäre.
Verspielt die SNB durch die eingeführte Untergrenze des EUR-CHF Wechselkurses des Schweizers höchstes Gut – ein stabile und verlässliche Währung?
Die Schweizer Währungshüter haben die Untergrenze sicher nach bestem Wissen und Gewissen eingeführt, um die hiesige Volkswirtschaft vor externen Schocks zu schützen. Von der Massnahme profitieren tendenziell allerdings Exporteure sowie die heimische Tourismusbranche, Leidtragende sind hingegen Importeure und Konsumenten. Zudem schafft die Schweizerische Nationalbank wie auch andere Notenbanken neues Geld aus dem Nichts – und zwar in einem in den vergangenen Jahrzehnten kaum je gesehenen Ausmass.
«Die extrem expansive Geldpolitik ist ein gigantisches geldpolitisches Experiment, dessen Ausgang niemand kennt, weil es in der Historie dafür keine Beispiele gibt.»
Und weshalb ist das problematisch?
Es besteht die Gefahr, dass der Ausstieg aus dieser ultra-expansiven Geldpolitik zu spät geschieht und wir auch in der Eidgenossenschaft in einigen Jahren von höheren Inflationsraten betroffen sein werden.
Ist die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken als Hüter der Geldwertstabilität in Gefahr?
Die extrem expansive Geldpolitik in den USA, in Grossbritannien sowie auch im Euro-Raum und der Schweiz ist ein gigantisches geldpolitisches Experiment, dessen Ausgang niemand kennt, weil es in der Historie dafür keine Beispiele gibt. Die Notenbanken wollen mit dem Anwerfen der Geldpresse durch Fluten von Liquidität die Solvenzprobleme von Staaten und Finanzinstituten lösen. Dieses Vorgehen könnte jedoch das staatliche Papiergeldsystem ins Wanken bringen. Damit würden letztlich auch die Notenbanken ihren Ruf zerstören und vielleicht sogar ihre Existenz aufs Spiel setzen.
Sie beschreiben Inflation als ein Drohszenario. Ist Inflation denn wirklich so schlecht?
Ein bisschen Inflation ist nicht schlecht, genauso wenig, wie ein bisschen Deflation nicht schlecht ist. Hohe Inflation wirkt sich aber schädlich auf die Wachstumsaussichten einer Volkswirtschaft aus und führt tendenziell zu einer Umverteilung zwischen den Bevölkerungsschichten. Vor allem ärmere Teile der Bevölkerung sowie die Mittelschicht leiden sehr stark unter hoher Inflation, da ihre Ersparnisse und ihre Löhne an Kaufkraft verlieren. Schuldner gehören dagegen tendenziell zu den Gewinnern einer solchen Entwicklung, wenngleich man immer auf den Einzelfall schauen muss.
Müssen wir uns nun auf eine galoppierende Inflation einstellen?
Nein, mit einer Hyperinflation oder einer galoppierenden Inflation muss man auf absehbare Zeit sicherlich nicht rechnen. Wie sie eingangs gesagt haben, befinden wir uns derzeit ja noch in einem eher deflatorischen Umfeld. Sollte die Wirtschaft allerdings anspringen und sollten die Notenbanken wie schon in der Vergangenheit zu spät mit einem Zinserhöhungszyklus beginnen, drohen in Europa durchaus Inflationsraten von 5% bis 6%. Hält eine derartig hohe Inflation über mehrere Jahre an, reduziert sich die Kaufkraft des Ersparten rapide.
Bei der von ihnen beschrieben Inflationsgefahr, welche Preise werden steigen und welche eventuell nicht?
Das ist schwierig vorherzusagen, daher würde ich mich daher lieber mit einer Prognose zurückhalten.
«Vor allem ärmere Teile der Bevölkerung sowie die Mittelschicht leiden sehr stark unter hoher Inflation, da ihre Ersparnisse und ihr Lohn an Kaufkraft verlieren.»
Muss man aus Ihrer Sicht zwischen Güterpreis- und Vermögenspreisinflation unterscheiden?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man dies tun muss. So gab es beispielsweise in den USA in den vergangenen 20 Jahren keine übermässige Inflation gemessen an den Konsumentenpreisen. Allerdings hatte sich am Aktienmarkt im Rahmen des New-Economy-Booms um die Jahrhundertwende eine grosse Blase entwickelt, vor allem bei den Technologie-Werten. Später entstand dann – unter anderem aufgrund der lange Zeit zu expansiven Geldpolitik der US-Notenbank – am amerikanischen Immobilienmarkt eine riesige Blase. Bei beiden Phänomenen handelte es sich um eine starke Inflation von Vermögenspreisen.
Was heisst das für unsere aktuelle Situation?
Das Platzen dieser Blasen hatte schmerzliche volkswirtschaftliche Konsequenzen, die wir ja immer noch spüren. Insofern klammert die gängige Messung der Inflation mit Hilfe eines bestimmten Warenkorbs andere Arten der Inflation aus, nämlich die Teuerung der Vermögenspreise. Das ist längst nicht mehr zeitgemäss, was inzwischen auch viele Notenbanker erkannt haben, besonders auch jene der Europäischen Zentralbank.
Was kann ein Kleinanleger tun, um sich vor Inflation zu schützen? Was ein kleineres oder mittleres Unternehmen?
Für Anleger ist es auch in der heutigen Zeit sehr wichtig, das Vermögen diversifiziert zu investieren. Erwarten Investoren für die kommenden Jahre steigende Inflationsraten, so sollten sie stark auf Sachwerte wie Immobilien, Edelmetalle und auch Aktien setzen. Obligationen wären dann sehr unattraktiv. Viele Finanzexperten sprechen von einer «Anleihen-Blase» die sich nach dem dreissigjährigen Boom der Anlageklasse gebildet habe. Zwar liess sich 2012 mit Anleihen erneut Geld verdienen, doch lange dürfte das nicht mehr weitergehen.
Der Gesprächspartner:
Michael Rasch, Leiter Börsen und Märkte NZZ, kam am 23. Oktober 1970 in Kassel auf die Welt. An der dortigen Universität studierte er Wirtschaftswissenschaften und legte die Prüfung zum Qualitätsmanager ab. Während der Endphase seines Studiums schrieb er als freier Mitarbeiter für die Ressorts Lokales und Sport der «Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen». Nach dem Diplom absolvierte er in Düsseldorf die Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten der Verlagsgruppe Handelsblatt. Von dort folgte Anfang 2002 der Wechsel zur Wirtschaftsredaktion der NZZ, wo er im Jahr 2001 schon ein Praktikum absolviert hatte. In Zürich leitet Rasch seit 2006 das Team «Börsen und Märkte» und schreibt über Aktien, Derivate, Hedge-Funds, Finanzmarktregulierung und Börsenbetreiber sowie generell über Themen der Automobilbranche.