Globale Pharma-Industrie steckt in strategischer Krise
Zürich – Zunehmender Preis- und Kostendruck, regulatorische Veränderungen und auslaufende Patente führen zu sinkenden Margen in der Pharmaindustrie. Fast drei Viertel der Unternehmen sehen die Branche in einer strategischen Krise, so das Ergebnis der neuen Studie «Pharma’s fight for profitability» von Roland Berger Strategy Consultants.
78 Prozent der Studienteilnehmer sind daher der Meinung, dass Pharmakonzerne ihre Geschäftsmodelle an die neuen Marktanforderungen anpassen sollten. Dabei sollten die wachstumsstarken Schwellenländer den Investitionsfokus darstellen, denn diese werden bis 2016 für fast 40 Prozent des globalen Pharmamarktes verantwortlich sein. Eine Perspektive, die schon viele Pharmaunternehmen teilen: Fast die Hälfte der befragten Konzerne sind bereit ihre administrativen Tätigkeiten, Forschungsaktivitäten und Vertrieb in Richtung Schwellenländer zu verschieben.
«Die globale Pharmabranche steht vor einem wesentlichen Strukturwandel. Denn obwohl die weltweiten Umsätze der Pharmaindustrie in den vergangenen Jahren gestiegen sind, sind die Gewinnmargen deutlich gesunken», sagt Michael Dohrmann, Partner von Roland Berger Strategy Consultants. Eine Neuausrichtung der Geschäftsmodelle auf verschiedene Produkt-Markt-Konstellationen und deren Anforderungen ist daher sehr wichtig für den Unternehmenserfolg. «Für die in der Schweiz ansässigen Pharmaunternehmen ergeben sich dadurch erhebliche Herausforderungen in den kommenden Jahren», ergänzt Andreas Vogt, Principal von Roland Berger Strategy Consultants Schweiz.
Strategische Krise belastet die Pharmabranche
Obwohl die Top-10-Pharmakonzerne zwischen 2009 und 2010 ihre Umsätze um rund 13 Prozent steigern konnten, fiel die EBIT-Marge im gleichen Zeitraum um fast vier Prozent. Das entspricht einem Gewinnverlust von 34 Milliarden Dollar. Die Gründe dafür liegen in der Entwicklung der reifen Märkte: «Pharmamärkte wie Europa oder die USA erleben eine Stagnation aufgrund des zunehmenden Preisdrucks, der regulatorischen Veränderungen im Gesundheitssystem und der schärferen Zulassungsbedingungen für neue Wirkstoffe», erklärt Roland Berger-Stratege Martin Erharter. „Auf der anderen Seite erleben wir ein starkes Wachstum in den Schwellenländern, das allerdings geringere Margen abwirft und sehr stark durch nicht patentgeschützte Produkte getrieben ist.»
So sind die Kosten für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in den vergangenen zehn Jahren weltweit um mehr als 80 Prozent gestiegen. Auf der anderen Seite hat die Zahl der Produktneueinführungen um 43 Prozent abgenommen. Fast die Hälfte der befragten Unternehmen ist daher der Meinung, dass der Return on Investment (ROI) im F&E-Bereich eher negativ ist. Eine höhere Effizienz in den Forschungsbemühungen und stärkere Kooperationen mit Drittanbietern werden in Zukunft immer wichtiger.
Schwellenländer bieten Wachstumsmöglichkeiten
Einen Ausweg aus dieser schwierigen Lage können die wachstumsstarken Schwellenländer bieten. Denn sie werden in den kommenden Jahren zum Wachstum des globalen Pharmamarktes massgeblich beitragen. Wird der globale Markt für pharmazeutische Produkte bis 2016 durchschnittlich um nur 4,5 Prozent pro Jahr wachsen, so wird er in den Schwellenländern jährlich um fast 12 Prozent zunehmen. Vor allem China, Brasilien, Indien und Russland wachsen überdurchschnittlich stark. Insgesamt erwarten die Roland Berger-Experten, dass die Schwellenländer bis 2016 einen Anteil von knapp 40 Prozent am globalen Markt für pharmazeutische Lösungen erreichen werden.
«Die zunehmende Kaufkraft der Bevölkerung in diesen Regionen, die wachsende Mittelschicht sowie ein verbessertes Gesundheitssystem führen zu einer höheren Nachfrage nach Medikamenten», sagt Roland Berger-Partner und Co-Autor der Studie, Moris Hosseini. «Da wundert es nicht, dass viele Pharmakonzerne ihren Fokus zunehmend in Richtung Schwellenländer verschieben, um das erhebliche Wachstumspotenzial dieser Regionen besser nutzen zu können.» So ergibt die neue Roland Berger-Umfrage, dass immer mehr Pharmakonzerne bereits planen, ihre Verwaltung (44%), ihre F&E-Aktivitäten (43%) und ihren Vertrieb (51%) in diese wachstumsstarken Länder zu verschieben.
Vier Strategien für den Erfolg
Um erfolgreich auf dem umkämpften Markt zu agieren, müssen Pharmaunternehmen jedoch ihre Strategien überdenken. «Eine allgemein gültige Strategie gibt es nicht», warnt Michael Dohrmann. «Vielmehr müssen Unternehmen in verschiedenen Dimensionen strategisch denken und planen. Da spielt es eine wesentliche Rolle, ob das Unternehmen auf einem reifen oder einem aufstrebenden Markt agiert und mit welchen Produkten es dort vertreten ist.»
Die Roland Berger-Experten identifizieren daher vier mögliche strategische Ansätze, die der Pharmabranche dabei helfen können, sich auf verschiedenen Märkten und mit unterschiedlichen Lösungen optimal zu positionieren.
1. Neue Produkte in reifen Märkten
In der Vergangenheit waren Marketing- und Vertriebsaktivitäten ausschlaggebend für ein dauerhaftes Umsatzwachstum durch innovative Lösungen. Die restriktivere Gesundheitspolitik vieler Länder und die steigenden Ansprüche der Patienten zwingen Pharmaunternehmen nun dazu, sich auf die Entwicklung innovativer Produkte mit einem grossen Mehrwert für Patienten zu fokussieren. Die Meinung von Experten aus dem klinischen Bereich sowie Medical Affairs-Aktivitäten sind für den Produkterfolg entscheidend.
2. Etablierte Produkte in reifen Märkten
Durch den starken Wettbewerb und die hohe Preissensitivität der Kunden in diesem Segment, müssen Pharmakonzerne ihre Produkte kosteneffizient herstellen, um profitabel zu bleiben. Dafür können Firmen bestimmte Funktionen komplett auslagern oder in Niedrigkostenländer verlagern. Erfolgreich sind Unternehmen, die hochwertige Produkte zu günstigen Preisen anbieten können. Dies verlangt effiziente Verwaltungs-, Marketing- und Vertriebsmodelle.
3. Neue Produkte in Schwellenländern
Die wachsende Mittelschicht, die verbesserte Gesundheitsversorgung und das steigende Einkommensniveau in den Schwellenländern führen zu einer erhöhten Nachfrage auch nach hochpreisigen Medikamenten. Die Entwicklung neuer, innovativer Produkte bietet hier grosses Wachstumspotenzial. Allerdings ist ein erfolgreicher Marktzugang nur möglich, wenn die Produkte den speziellen Marktgegebenheiten und Patientenanforderungen entsprechen. Dafür sollten Unternehmen ihre Medical Affairs- sowie F&E-Aktivitäten vor Ort betreiben. Um einen effektiven Zugang zu den Patienten mit hoher Zuzahlungsbereitschaft zu bekommen, benötigen sie ausserdem einen starken lokalen Vertrieb sowie Kooperationen mit Unternehmen aus der Region.
4. Etablierte Produkte in Schwellenländern
Mit etablierten Produkten können Pharmakonzerne Skaleneffekte in neuen Märkten erzielen und ihren Bekanntheitsgrad erhöhen. Allerdings sollten Firmen die Anforderungen sowie die Wettbewerbssituation der einzelnen Märkte im Vorfeld genau analysieren: Märkte wie China sind stark regional geprägt und setzen landesspezifische Strategien voraus. Generell sollten Pharmaunternehmen durch effiziente Produktions- und Vertriebsinitiativen ihr Umsatz- und Ertragswachstum gleichermassen vorantreiben. Hierfür bieten sich vor allem Kooperationen mit lokalen Partnern an. (Roland Berger/mc/pg)