Schweizer Medien: Mehr Relevanz – weniger Hintergrund
Bei Print und Radio schrumpft die Abdeckungsquote der Informationsmedien weiterhin. (Bild: © Ssogras – Fotolia.com)
Bern – Die Informationsmedien von Presse, Radio, Fernsehen und Onlinebereich verzeichnen unter dem Druck krisenhafter Ereignisse im Jahr 2011 mehr Hardnews als im Vorjahr. Das ist die erfreuliche Nachricht des dritten Jahrbuchs Qualität der Medien. Gleichzeitig führt der Aktualitätsdruck dazu, dass 2011 weniger Hintergründe vermittelt werden d.h. die Einordnungsleistung weiter sinkt. Aus einem Langzeitvergleich geht hervor, dass qualitätsniedrige Medien 2011 deutlich häufiger genutzt werden als noch vor zehn Jahren.
Vertiefungsanalysen zeigen zudem:
- dass die Newssites der meisten wichtigen Schweizer Zeitungen qualitativ weit hinter ihren gedruckten Pendants zurückbleiben,
- dass in der Wahlberichterstattung eine Verschiebung der Aufmerksamkeit zugunsten der Bundesrats- auf Kosten der Parlamentswahlen stattgefunden hat,
- dass politische Kampagnen die Kriminalitätsberichterstattung wie auch die Bedrohungswahrnehmung in der Bevölkerung wesentlich prägen und dass die Kriminalitätsberichterstattung gegenüber der Polizeistatistik stark verzerrt ist,
- dass die Medienkritik dank zivilgesellschaftlicher Akteure zwar zugenommen hat, aufgrund ihrer schwachen Resonanz in den Informationsmedien jedoch ein Schattendasein fristet.
Zum dritten Mal hat der fög – Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich die Versorgung der Schweiz durch Informationsmedien, ihre Qualität, ihre Nutzung und ihre Einnahmen untersucht. Unter anderem wird gezeigt, dass die Schweizer Informationsmedien im Krisen- und Umbruchjahr 2011 deutlich mehr relevante Themen aus Politik und Wirtschaft auf ihre Agenda setzen als noch im Vorjahr. Die Kehrseite dieser drängenden, von Weltwirtschaftskrise, Fukushima und dem arabischen Frühling geprägten Welt, ist eine Reduktion der journalistischen Einordnungsleistung. Im Vergleich aller Medientypen sinkt gegenüber dem Vorjahr bei den Abonnementszeitungen der Anteil der einordnenden Berichterstattung am stärksten. Die Kernkompetenz der Abonnementszeitungen, Kontextwissen zu vermitteln, stiess 2011 an Ressourcengrenzen.
Neues Qualitätsscoring
Das neu implementierte Qualitätsscoring erlaubt es, die publizistische Qualität der untersuchten 46 Medientitel der Gattungen Presse, Radio, TV und Online zu hierarchisieren. Während 2011 die Informationssendungen des öffentlichen Radios aus der Deutschschweiz die Qualitätsspitze darstellen, bilden die Gratis- und Boulevardzeitungen on- und offline sowie die Newssites der Abonnementspresse aus der Suisse romande und der Privatrundfunk das untere Ende der Qualitätsbandbreite. Dazwischen streuen die Sonntagszeitungen, die zwei besten Newssites und die Abonnementspresse. Einzelne regionale Abonnementstitel kommen nahe bei den Gratiszeitungen zu liegen.
Steigende Onlinenutzung; sinkende Quoten bei Presse und Rundfunk
In der Presse und im Rundfunk schrumpft die Abdeckungsquote der Informationsmedien weiterhin, d.h., die Auflage- und Nutzungszahlen wachsen nicht parallel zur Bevölkerung bzw. sind sogar rückläufig. Die Nutzung der Online-Newssites nimmt demgegenüber zu. Die Gratiskultur im Internet und die beschleunigte Newsproduktion sowie die Ertragsunsicherheiten im Onlinewerbemarkt durch die wachsende mobile Nutzung wirken aber hemmend auf die Qualitätsentwicklung. Online bleibt zu wenig Zeit und Personal für eine einordnende Berichterstattung. Gleichzeitig führt die Orientierung an Klickraten zu hohen Anteilen an Softnews.
Bedeutungszunahme qualitätsniedriger Medien
Die langfristigen Nutzungsverschiebungen zwischen den Mediengattungen führen dazu, dass die Schweizer Bevölkerung im Jahr 2011 mit niedrigerer publizistischer Qualität versorgt wird als noch vor 10 Jahren: Die Bevölkerung wird weniger durch qualitativ bessere Titel erreicht. Es ergibt sich das Bild einer Qualitätspyramide mit einer erodierenden Spitze, einem bröckelnden mittleren Segment und einer wesentlich breiter gewordenen Basis qualitätsniedriger Medien.
Mit Blick auf die 46 inhaltlich untersuchten Medien haben in der Deutschschweiz und stärker noch in der Suisse romande qualitätsniedrige Titel in den letzten Jahren an Verbreitung gewonnen. Die qualitätsniedrigen Titel vom Typ Boulevard- und Gratiszeitung sowie der ebenfalls qualitätsniedrige private Rundfunk erreichen in der französischen Schweiz im Jahr 2011 mit 45% den anteilmässig grössten Teil der Bevölkerung. In der Deutschschweiz decken Medientitel von niedriger Qualität 37% der Bevölkerung ab. In der Svizzera italiana ist die Abdeckung der Bevölkerung durch qualitätsniedrige Medientitel aktuell noch geringer. Allerdings ist seit der Lancierung von 20 minuti im Herbst 2011 die Situation im Fluss.
Hohe Medienkonzentration und eingeschränkter Wettbewerb
Im Presse- und Onlinebereich zeigt sich eine hohe Medienkonzentration. Das Medienunternehmen Tamedia AG besitzt gesamtschweizerisch im Pressesektor mittlerweile einen Marktanteil von über 40%. Diese Marktstellung im Pressesektor und die Konvergenz mit dem Onlinesektor schränken den Wettbewerb durch Grössen- und Verbundeffekte ein.
In der Suisse romande ist die Situation im Pressemarkt besonders ausgeprägt. Die Tamedia verfügt hier über einen Marktanteil von 68%. Auch im Onlinesegment ist die Konzentration fortgeschritten. Nach der Integration der ehemaligen Edipresse-Newssites ins neue Newsnet hat die Tamedia AG ihre Anteile in dieser Sprachregion auf 28% gesteigert.
Problematische Entwicklung der Erlöse
Im Langzeitvergleich können im Pressebereich nur die Gratiszeitungen von steigenden Werbeeinnahmen profitieren. Die Gratistitel 20 Minuten, 20 minutes und Blick am Abend schöpften im Jahr 2011 nicht weniger als 31% des Bruttowerbeerlöses aller 46 untersuchten Pressetitel der Schweiz ab. Gesamthaft verliert die Presse seit dem Jahr 2000 einen Drittel ihrer kommerziellen Werbeerträge. Zusätzlich sinkt die Zahlungsbereitschaft des Publikums weiter.
Der Onlinewerbemarkt kann diese Situation nicht auffangen. Er weist zwar anhaltend zweistellige Wachstumsraten auf, generiert aber mit Bruttowerbeerträgen von 521 Mio. Franken erst einen Bruchteil der entsprechenden Erlöse des Printmedienmarktes (Nettoumsatz Pressemarkt 2011: rund 2 Mrd. Franken). Der Werbemarkt von Radio und Fernsehen ist stabiler. Allerdings schöpfen die ausländischen privaten Fernsehveranstalter nicht weniger als 37% vom Schweizer Fernsehwerbemarkt ab, ohne einen relevanten Beitrag zum Informationsjournalismus zu leisten. Der Vergleich der untersuchten privaten Rundfunkprogramme zeigt zudem, dass weder höhere Werbeerlöse also finanzielle Ressourcen, noch eine Konzessionsverpflichtung die Qualität erhöhen. Ausschlaggebend ist auch der Wille zum Service public.
Untersuchungsanlage und Methodik
Diese Untersuchung der Qualität der Medien vollzieht sich auf zwei Stufen. Erstens wird die publizistische Versorgung – d.h. die Auflage bzw. die Nutzung, die Einnahmen und die Besitzverhältnisse der Informationsmedien in der Schweiz – untersucht. Im Jahre 2011 handelte es sich um 146 Medientitel, die die erforderliche Abdeckungsrate von 0.5% der sprachregionalen Wohnbevölkerung erreichen. Zweitens werden unter diesen Titeln die 46 bedeutendsten Titel aller Mediengattungen (Presse, Radio, Fernsehen, Online-Newssites) in den drei grossen Sprachregionen der Schweiz einer inhaltlichen Validierung auf der Basis der Qualitätsmerkmale Vielfalt, Relevanz, Aktualität und Professionalität unterzogen (Weiterführende Informationen auf: www.qualitaet-der-medien.ch).
Jahrbuch 2012: Qualität der Medien – Schweiz Suisse Svizzera
Wozu dieses Jahrbuch? Das Ziel dieses Jahrbuchs ist die Stärkung des Qualitätsbewusstseins bei den Medienmachern wie beim Publikum. Das Jahrbuch bildet eine Quelle für Medienschaffende, Akteure aus Politik und Wirtschaft, die Wissenschaft und für alle Interessierte, die sich mit der Entwicklung der Medien und ihren Inhalten auseinandersetzen wollen. Anstoss für das Jahrbuch bildet die Einsicht, dass die Qualität der Demokratie von der Qualität der medienvermittelten Kommunikation abhängt. Das Jahrbuch will einen Beitrag dazu leisten, dass die Qualität der Medien ein wichtiges Thema öffentlicher Kommunikation ist.
Wer zeichnet für dieses Jahrbuch verantwortlich? Das Jahrbuch wird herausgegeben durch den fög – Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich (www.foeg.uzh.ch). Folgende Autoren sind am Jahrbuch 2012 beteiligt (in alphabetischer Reihenfolge): Urs Christen, Mark Eisenegger, Patrik Ettinger, Angelo Gisler, Lucie Hauser, Florent Heyworth, Kurt Imhof, Esther Kamber, Jens Lucht, Johannes Raabe, Mario Schranz, Peter Studer (Gastautor), Linards Udris, sowie Vinzenz Wyss mit Michael Schanne und Annina Stoffel (Gastautoren).
Wer finanziert und unterstützt dieses Jahrbuch? Die Finanzierung für das Jahrbuch wird durch die gemeinnützige Stiftung Öffentlichkeit und Gesellschaft (www.oeffentlichkeit.ch) eingebracht. Der Stiftungsrat setzt sich zusammen aus: Christine Egerszegi-Obrist, Kurt Imhof, Yves Kugelmann und Oswald Sigg.
Die Stiftung verdankt die Mittel für das Projekt den folgenden Donatoren: Adolf und Mary Mil Stiftung, Allianz Suisse, Allreal Holding AG, Anne Frank Fonds Basel, Bank Julius Bär, Credit Suisse Foundation, Hotel Bellevue Palace Bern; Paul Schiller Stiftung, Prof. Otto Beisheim Stiftung, Partner Reinsurance Europe Limited (PartnerRe), Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG, Schweizerische Post, Stiftung für Gesellschaft, Kultur und Presse – Schweiz, Stiftung Qualitätsjournalismus Ostschweiz, Swiss Re, Vontobel-Stiftung, Zürcher Kantonalbank und verschiedenen Einzeldonatoren.
Wo erscheint das Jahrbuch? Das Jahrbuch erscheint im Schwabe Verlag in gedruckter Form (ISBN 978-3-7965-2776-0) und als Online Ausgabe (ISBN 978-3-7965-2856-9). Ausgewählte Befunde sowie die Zusammenfassungen können im Internet abgerufen werden (www.qualitaet-der-medien.ch). (fög/mc/ps)
- fög – Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft / Universität Zürich