Wirtschaft muss sich reformieren, doch niemand wagt den ersten Schritt

Wirtschaft muss sich reformieren, doch niemand wagt den ersten Schritt

Burkhard P. Varnholt, Chief Investment Officer der Bank Sarasin & Cie AG.

Basel – Die Welt steht vor herausfordernden Zeiten. In Gesellschaft, Wirtschaft und Politik sind elementare Experimente zu beobachten. Dr. Burkhard P. Varnholt, Chief Investment Officer der Bank Sarasin & Cie AG, untersucht in der aktuellen Ausgabe von «Standpunkte» drei spezifische Problemstellungen in diesen schwierigen Zeiten: Das dynamische Wachstum privater oder staatlicher Schulden, die präzedenzlosen, globalen demographischen Veränderungen und die heimlichen Defizite der westlichen Sozialversicherungswerke. Für Anleger lautet die einzig sinnvolle Antwort auf diese herausfordernden Aufgaben, einen konsequent nachhaltigen Weg in den Anlageentscheidungen einzuschlagen.

Die westliche Schuldenkrise illustriert eine der offenkundigen Schwächen von Demokratien: Demokratisch gewählte Politiker neigen bekanntlich zu (zu) teuren Wahlversprechen. Und so kann es nicht überraschen, dass die meisten OECD-Staaten seit den frühen 1970er Jahren nie mehr ein ausgeglichenes Staatsbudget ausgewiesen haben. Die Gefahr besteht, dass die Politik der Notwendigkeit einer nachhaltigen Finanzpolitik aus dem Wege geht und gleichzeitig versucht, mit expansiver Geld- oder Fiskalpolitik Zeit und sozialen Frieden zu kaufen. Das wäre eine schlechte, verantwortungslose Politik für Bürger und Gläubiger. Doch es gibt durchaus erfolgreiche Beispiele für das Meistern von Schuldenkrisen. Etwa die Bewältigung der lateinamerikanischen Schuldenkrise Anfang der 1980er Jahre, die Klärung der internationalen Bankenkrise in den späten 1980ern, die Überwindung der Sparkassenkrise in Amerika, die Lösung der skandinavischen Schulden- und Bankenkrise oder die Bezwingung der asiatischen Schuldenkrise.

«In der Vermögensverwaltung könnten sich Indexanlagen oder «Buy-and-Hold»-Ansätze als Holzwege ins kommende Jahrzehnt entpuppen. Das wird einerseits daran liegen, dass vielen Wertpapierindizes die entscheidende Nachhaltigkeitsanalyse noch fehlt, anderseits, dass es in einer derart dynamischen Welt einfach unvernünftig ist, die strategische Vermögensallokation dem «Tempomat» eines «Buy-and-Hold» Ansatz zu überlassen.»
Dr. Burkhard P. Varnholt, Chief Investment Officer der Bank Sarasin & Cie AG

Demographie als grösste Bedrohung für unseren Wohlstand
Neben der medial sehr präsenten europäischen Schuldenproblematik rückt die schwelende Bedrohung durch die demographische Entwicklung in den Hintergrund. Doch Wohlstand und demographische Entwicklung stehen in einem engen Zusammenhang. Unser Humankapital schafft Wohlstand und unser Wohlstand beeinflusst unsere Bereitschaft zur Reproduktion. Kontinuierlich sinken in immer mehr Ländern jedoch die Geburtenraten unter den stabilen Wert von 2,1 Kindern pro Frau, während gleichzeitig die Lebenserwartung zunimmt. Sozialversicherungssysteme sind eine Ursache für weniger Kinder. Bessere Gesundheitssysteme sind eine Hauptursache für längeres Leben. Überall, wo der Staat diese Aufgaben übernommen hat, sind die Geburtenraten gefallen. Zusammen mit höherer Lebenserwartung schafft diese Entwicklung einen Generationenkonflikt, der nur schwer zu entschärfen ist. Kurzum, unser liebgewordener Lebensentwurf, Frühpensionierung mit 58 oder 60 Jahren, Lebenserwartung von 80 oder 90 Jahren, der Verzicht auf demographische Reproduktion und staatliche Sozialversicherungen kann auf Dauer nicht gutgehen.
Sozialversicherungen – die heimlichen Schuldenmacher

Neben der bedenklichen demographischen Entwicklung kommen neben den hohen expliziten OECD-Staatschulden in Zukunft auch noch die impliziten Verbindlichkeiten der Staaten hinzu, die aus unterfinanzierten Sozialversprechungen, Systemfehlern und demographischen Veränderungen resultieren werden. Drei Gründe sprechen gar für eine zunehmende Geschwindigkeit dieser Problematik in den nächsten Jahren. Erstens überfordern die steigenden Altersquotienten die heute vorherrschenden Umlagesysteme. Zweitens überschätzen die meisten Sozialversicherungswerke ihre Vermögenslage mit zu optimistischen Annahmen über die zu erwartenden Zins- und Kapitalerträge. Und drittens ist für die grosse Mehrheit der Sozialversicherungswerke die mathematisch verfügbare Risikokapazität mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft.
Eine politische Wunschliste

Nachstehend ist eine kurze Vier-Punkte-Wunschliste zu den erwähnten Herausforderungen skizziert. Es sind keineswegs revolutionäre Ideen, die eigentlich einen politischen Konsens finden sollten.

  1. Schuldenbremsen können erfolgreich funktionieren, falls sie in der rechtlichen Hierarchie hochrangig sind. Auch die Schweiz profitiert von einer wirkungsvollen Schuldenbremse, weil sie bereits auf kommunaler Ebene greift und von dort in den zentralen Finanzhaushalt des Bundes wirkt.
  2. Eine einheitliche Einlagengarantie ist in der Eurozone mittlerweile eine Notwendigkeit, um die sich häufenden Bankenstürme endgültig zu beenden. Dies kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn man nach marktwirtschaftlichen Kriterien eine konsequente Bilanzschrumpfung oder Schliessung von insolventen Finanzinstituten, ohne nationale Unterschiede, vornimmt.
  3. Die meisten staatlichen Sozialversicherungssysteme leiden unter systembedingter Intransparenz. Das führt dazu, dass die absehbaren Kostensteigerungen ebenso konsequent ausgeblendet werden, wie die schon heute zunehmende, finanzielle Fragilität. Gefordert ist eine radikale Transparenz.
  4. Eine ausgeglichene, demographische Entwicklung bildet einen der wertvollsten Beiträge für die Zukunftsfähigkeit der Sozialversicherungswerke. Gesteht man sich ein, dass zukünftige Generationen wahrscheinlich tiefere Renten bei steigender Lebenserwartung erwarten sollten, dann wird der Kinderwunsch wieder zunehmen.

Langfristige Konsequenzen für Anleger
In einem ersten Schritt sollten Anleger sämtliche Anlagen systematisch daraufhin beurteilen, ob diese direkt oder indirekt gegenüber wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder ökologischen Nachhaltigkeitsrisiken exponiert sind. Diese konsequente Analyse bildet das Herzstück einer nachhaltigen und zeitgemässen Vermögensverwaltung. Zweitens muss die Frage nach der ultimativ «sicheren» Anlage radikal neu gestellt werden. Bis anhin galten Staatsanleihen als absolut sicherer Hafen. Aber ohne eine unbestritten sichere Anlage funktioniert unsere moderne Portfoliotheorie nicht. Und drittens könnten sich Indexanlagen oder «Buy-and-Hold»-Ansätze in der Vermögensverwaltung als Holzwege ins kommende Jahrzehnt entpuppen. Das wird einerseits daran liegen, dass vielen Wertpapierindizes die entscheidende Nachhaltigkeitsanalyse noch fehlt, anderseits es in einer derart dynamischen Welt einfach unvernünftig ist, die strategische Vermögensallokation dem «Tempomat» eines «Buy-and-Hold» Ansatz zu überlassen. Was bleibt, ist die zwingende Einsicht, dass die Zukunftsfähigkeit der verwalteten Vermögen gesichert werden muss. Das ist das Mindeste, was zukünftige Generationen von Vermögensverwaltern unserer Zeit erwarten dürfen. (Sarasin/mc/ps)

 

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