Die (fast) nackte Wahrheit über Schweizer Uniformen
Screenshot EvB-Kampagnen-Video.
Zürich – Schätzungsweise 2 Millionen Personen oder fast jede zweite berufstätige Person in der Schweiz trägt Berufsbekleidung. Ein grosser Teil davon wird von Bund, Kantonen, Gemeinden und Spitälern eingekauft, also mit Steuergeldern bezahlt. Der Berufsbekleidungssektor ist so gross wie verschwiegen. Wo, wie und unter welchen Bedingungen Polizeiuniformen, Spitalkittel oder Tarnanzüge produziert werden, bleibt im Dunkeln. Die Recherchen der EvB zeigen: Ausbeutung geschieht auch vor unserer Haustür.
Gerade mal 122 Franken im Monat oder rund 70 Rappen pro Stunden verdient eine mazedonische Näherin von Berufsbekleidung. Die monatlichen Haushaltausgaben belaufen sich aber laut Statistikamt auf durchschnittlich 600 Franken. Die Diskrepanz zwischen Mindestlohn und Existenzsicherung ist damit in Mazedonien vergleichbar gross wie in Bangladesch. Der gesetzliche Mindestlohn in Mazedonien ist sogar noch tiefer als in China und Indonesien. Mazedonien hat sich wegen der Tiefstlöhne, der gut ausgebildeten Belegschaft und der geografischen Nähe als Produktionsstandort für Schweizer Berufsbekleidung etabliert. „Made in Europe“ ist dabei keine Garantie für bessere Arbeitsbedingungen.
Befragung zeigt dringenden Handlungsbedarf
Bekleidung und Textilien sind Risikobeschaffungsgüter, Missstände kommen weltweit vor. Damit Ausbeutung nicht durch Steuergelder mitfinanziert wird, muss die öffentliche Hand klare Signale setzen, indem sie soziale Verantwortung und Transparenz bei den Lieferanten von Berufsbekleidung einfordert und durchsetzt. In einer rund einjährigen Vorarbeit hat die EvB/CCC zwei breit angelegte Befragungen durchgeführt und 27 Schweizer Berufsbekleidungsfirmen zu den Produktionsbedingungen sowie 27 öffentliche und 10 private Beschaffungsstellen zur Beschaffungspraxis befragt. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Nur wenige Beschaffungsstellen haben bisher soziale Kriterien fest in ihre Beschaffungspraxis integriert, die Offenlegung der Lieferkette wird kaum verlangt und Kontrollen finden -wenn überhaupt– meist nur auf der Basis von Selbstdeklarationen der Lieferanten statt. Auch auf Anbieterseite gibt es viel Nachholbedarf. Nebst wenigen fortschrittlichen Firmen zeigt sich eine Branche, die sich bisher wenig bis gar nicht mit Sozialstandards, Kontrolle und Transparenz auseinandergesetzt hat. Neun der befragten 27 Firmen gaben keinerlei Auskunft, zwei drohten gar mit juristischen Schritten, falls die EvB/CCC ihre Einschätzung zum Unternehmen publiziert.
Gesetzesrevision soll Lücke schliessen
Die heutige Gesetzgebung reicht nicht aus, damit die Schweiz ihren eigenen Vorgaben bezüglich Nachhaltigkeit und Vorbildfunktion als Konsumentin gerecht wird, so wie sie der Bund in der Strategie Nachhaltigkeit 2012 – 2015 festgelegt hat. Das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB 172.056.1) und kantonale Gesetze müssen angepasst werden. Mit der anstehenden Revision des Bundesgesetzes hat es die Schweiz in der Hand, Sozialkriterien klar zu verankern. Bei Mode-, Sport- oder Outdoorbekleidung fragen bereits viele KonsumentInnen nach sozial- und umweltverträglichen Produkten. Der Staat als einer der wichtigsten Kunden im Berufsbekleidungssektor kann und muss das auch tun! Mit dem Sensibilisierungs-Clip „Die (fast) nackte Wahrheit über Schweizer Uniformen“ hat die EvB diese Woche eine Kampagne gestartet und fordert strengere gesetzliche Regulierungen für eine nachhaltige Beschaffung. (EvB/mc/ps)