Kein Schulterschluss beim G8-Gipfel in Camp David
Antrittsbesuch François Hollandes bei Barack Obama.
Camp David / Chicago – Unverbindlichkeit statt Schulterschluss: Die führenden Industrienationen (G8) haben keinen gemeinsamen Weg für den Abbau von Schuldenbergen und für mehr Wachstum gefunden. Beim Gipfel der G8 in Camp David bei Washington verabschiedeten die Staats- und Regierungschef lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung. Deutschland stellte sich ausdrücklich weiter gegen milliardenschwere Konjunkturprogramme auf Pump.
In der Abschlusserklärung betonten die G8 am Samstag (Ortszeit), dass die Ausgangslage ihrer Volkswirtschaften zu unterschiedlich sei. «Unser Gebot ist, Wachstum und Jobs zu schaffen», lautete letztlich der kleinste gemeinsame Nenner. Somit wurde der von Bundeskanzlerin Angela Merkel geforderte Kurs der Haushaltssanierung genauso gewürdigt wie die Möglichkeit, staatliche Programme für mehr Wachstum aufzulegen. Mit dieser Position sympathisieren der im Wahlkampf stehende US-Präsident Barack Obama und der neue französische Präsident François Hollande, der bei seinen Wählern im Wort steht. Die Kanzlerin hatte klargemacht, dass gerade auf Pump gekauftes Wachstum zu der noch immer bedrohlichen Euro-Schuldenkrise geführt habe.
Wachstum und Haushaltssanierung schliessen sich nicht aus
Unter den westlichen Industriestaaten hat Deutschland derzeit beim Wachstum eine Spitzenposition. Die USA und Frankreich beklagen beispielsweise schwache Wachstumsraten und hohe Arbeitslosigkeit, Grossbritannien steckt noch in der Rezession. Zur Gruppe der Acht gehören die USA, Kanada, Japan, Russland, Deutschland, Frankreich und Italien. Auch die Spitze der Europäischen Union sitzt am Verhandlungstisch. Den G8-Vorsitz übernimmt 2013 Grossbritannien. «Wir haben alle zugestimmt, dass Wachstum und Jobs unsere Priorität sind», sagte Obama zum Abschluss des zweitägigen Gipfels. Wachstum und Haushaltssanierung schlössen sich nicht aus: «Wir wissen, dass dies möglich ist.» Obama fürchtet angesichts der mässigen Konjunktur um die Wiederwahl im November. Auch deshalb setzte er sich mit dem Vorschlag durch, im Kampf gegen hohe Ölpreise notfalls strategische Ölreserven freizugeben. In den USA sind die Benzinpreise derzeit relativ hoch.
Absage an Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone
Hollande pochte – wie zuvor im Wahlkampf – auf mehr Wirtschaftswachstum: «Es gibt kein Wachstum ohne Vertrauen und es wird kein Vertrauen ohne Wachstum geben.» Auch wenn der Ölpreis in der vergangenen Woche auf ein Sechs-Monats-Tief gefallen waren, wollten die USA offensichtlich für den Fall eines israelischen Angriffs auf die iranischen Atomanlagen vorsorgen. Dann könnte der Iran die Strasse von Hormus blockieren, eine wichtige Schiffsroute für den Öltransport. Angesichts der Turbulenzen in der europäischen Schuldenkrise lehnte die G8 einen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone ab. «Alle G8-Mitgliedstaaten wollen, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt», sagte Merkel. Voraussetzung sei, dass das Land seine Verpflichtungen einhalte. «Das ist von allen gleichermassen hier so geteilt worden.» Obama sagte: «Die politischen Führer wissen, was auf dem Spiel steht.»
Treffen Merkel – Obama
Hollande machte sich bei seinem ersten Gipfel dafür stark, Griechenland zusätzlich zu unterstützen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Merkel und Obama trafen nach dem G8-Gipfel in Camp David zu einem Gespräch zusammen. Nach Angaben des Weissen Hauses erörterten sie erneut die Eurokrise sowie die Lage der Weltwirtschaft. Der russische Regierungschef Dmitri Medwedew vertrat Russlands Präsident Wladimir Putin, der Obama eine Absage erteilt hatte. Ohne Putin fehlte es dem Gipfel an Schlagkraft. Echte Ergebnisse dürften erst beim Treffen der 20 grössten Volkswirtschaften der Erde erwarten sein, wenn sich in knapp vier Wochen die G20 im mexikanischen Los Cabos treffen.
Bewegung im Atomstreit
In den seit Jahren anhaltenden Atomstreit mit dem Iran ist Bewegung zu kommen. Obama äusserte sich in Camp David demonstrativ optimistisch: «Es ist unsere Hoffnung, dass wir diese Angelegenheit in friedlicher Weise lösen können.» Er rief zugleich dazu auf, den Druck aufrecht zu erhalten. Bereits am Montag will der Chef der Atomenergiebehörde IAEA, Yukiya Amano, mit der Führung in Teheran Gespräche führen. Am Mittwoch werden die UN-Vetomächte sowie Deutschland in Bagdad ebenfalls mit iranischen Vertretern sprechen.
Keine Fortschritte zu Syrien
Weiteres wichtiges Thema war Syrien. Hier wurden keine Fortschritte gemacht. Zwar meinte Obama, alle G8-Staaten strebten politischen Wandel in dem arabischen Land an. Der Friedensplan des UN-Sondergesandten Kofi Annan, der im Kern die Stationierung von Beobachtern vorsieht, müsse umgesetzt werden. Allerdings merkte Russland an, dass ein Regimewechsel in Damaskus erzwungen werden könne. Die Syrier müssten ihre Angelegenheiten selbst lösen, verlautete aus den Gesprächen. Offensichtlich auf Wunsch Russlands wurden auch terroristische Anschläge von Regimegegnern in Syrien erwähnt. «Wir verurteilen streng jüngste Terroranschläge in Syrien.»
Weitere Unterstützung für Afghanistan
Die G8 sagte Afghanistan weitere Unterstützung beim Aufbau eines demokratischen Staates zu. In der Abschlusserklärung wurden – auch mit Blick auf den folgenden Nato-Gipfel in Chicago – allerdings keine Beträge genannt. Darüber soll im Juli bei einer Geberkonferenz in Tokio entschieden werden. Vor dem Nato-Gipfel verschärfte die Polizei nach ersten Protesten in den Vortagen ihre Sicherheitsmassnahmen. Rund 3000 Polizisten waren im Einsatz. Das Konferenzzentrum südlich des Stadtzentrums war weiträumig abgesperrt. Sicherheitskräfte vereitelten nach eigenen Angaben Brandanschläge und ermittelten wegen eines möglichen terroristischen Hintergrunds. (awp/mc/ps)