Pensionskassen: Das bange Warten auf steigende Zinsen
Zürich – Nach einer Dekade mit anhaltend tiefen Zinsen stehen Pensionkassen vor Herausforderungen. Die Ökonomen der Credit Suisse analysieren in einer aktuellen Studie die von den befragten Pensionskassen genannten zentralen Herausforderungen Tiefzinsumfeld, Trend zu Immobilienanlagen, Umverteilung zwischen Aktiven und Rentnern und Strukturreform. Die Umfrage bei über 200 Schweizer Pensionskassen zeigt, dass das Tiefzinsumfeld die grösste Herausforderung für die Kassen darstellt.
Bei 80% der befragten Pensionskassen zählen die anhaltend tiefen Zinsen zu den Top drei Herausforderungen. Anders als in den 1990er-Jahren lässt sich der Mindestzinssatz heute nicht mehr mit einer nahezu risikolosen Anlage wie Schweizer Bundesobligationen erzielen. Der Finanzmarkt fällt als «dritter Beitragszahler» zunehmend aus. Aber auch steigende Zinsen können den Pensionskassen Probleme bereiten, da das Obligationenportfolio dabei an Wert verliert. Obligationen sind mit einem durchschnittlichen Anteil von 35% des Anlagekapitals die wichtigste Anlageklasse der Pensionskassen. Die Reinvestition der Coupons und der Rückzahlungsbeträge der Obligationen zu höheren Zinsen kompensiert aber langfristig den Marktwertverlust.
Die Simulation von drei Zinsszenarien zeigt: Je eher und kräftiger die Zinsen steigen, desto stärker fällt der langfristige Wertanstieg eines durchschnittlichen Obligationenportfolios einer Pensionskasse aus. Steigende Zinsen haben den zusätzlichen Vorteil, dass der Barwert der Rentenverpflichtungen sinkt, was daher langfristig einen positiven Effekt auf den ökonomischen Deckungsgrad hat. 73% der befragten Pensionskassen sehen in steigenden Zinsen denn auch mehrheitlich positive Folgen.
Diversifikation von direkten Immobilienanlagen ist oft ungenügend
Fast die Hälfte der Pensionskassen hat auf die anhaltend tiefen Zinsen mit einer Reduktion ihrer Obligationenquote zugunsten anderer Anlageklassen, hauptsächlich Immobilien, reagiert. Der durchschnittliche Immobilienanteil am Anlagevermögen stieg zwischen 2000 und 2010 von 12,5% auf 16,5% an und nimmt damit im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein. Als Hauptmotiv, vermehrt in Immobilien zu investieren, gaben zwei Drittel der befragten Pensionskassen die höhere Rendite und die geringere Volatilität im Vergleich zu anderen Anlageklassen an. Direkte Immobilienanlagen stellen jedoch die Pensionskassen vor Herausforderungen bezüglich der Diversifikation.
Kleinere Pensionskassen haben kaum Möglichkeiten, ihr direktes Immobilienportfolio über verschiedene Eigenschaften wie Standort, Nutzungsart oder Objektalter zu diversifizieren. 52% der befragten Pensionskassen besitzen beispielsweise weniger als zehn Immobilien. Alternativ können die Pensionskassen die mangelnde Diversifikation bei den direkt gehaltenen Immobilien mit indirekten Anlagen wie Immobilienanlagestiftungen, -fonds oder -aktien kompensieren. Die Umfrage zeigt jedoch, dass viele Pensionskassen, deren direkte Immobilien geografisch schlecht diversifiziert sind, nur einen geringen Anteil an indirekten Immobilienanlagen halten.
2010: Umverteilung zwischen Aktiven und Rentnern von 3,5 Mrd Franken
Die steigende Lebenserwartung, die schwachen Finanzmarktrenditen und die politischen Rahmenbedingungen führen dazu, dass in der zweiten Säule systemfremde Umverteilungsmechanismen Einzug gehalten haben. Am bedeutendsten ist die schleichende Umverteilung von Aktiven zu Rentnern. Die Ökonomen der Credit Suisse schätzen diese Umverteilung aufgrund der Umfragedaten auf rund CHF 3,5 Mia. für das gesamte Schweizer Pensionskassensystem im Stichjahr 2010. Dies entspricht rund 0,6% der Bilanzsumme der Schweizer Pensionskassen. Problematisch dabei ist, dass, sofern nicht entsprechende Anpassungen der relevanten versicherungstechnischen Parameter getätigt werden, diese Umverteilung Jahr für Jahr anfällt.
Die Umverteilung speist sich hauptsächlich aus zwei Quellen. Wendet die Pensionskasse bei Neurenten zu hohe Umwandlungssätze an, dann fallen Pensionierungsverluste an, die letztlich die aktiven Versicherten oder die Arbeitgeber tragen müssen. Die Umfrage zeigt, dass 64 der 68 befragten Pensionskassen über zu hohe Umwandlungssätze verfügen. Die Pensionierungsverluste summierten sich so in der Schweiz 2010 auf geschätzte 1 Mrd Franken. Bei den laufenden Renten kommt es zu einer Umverteilung von Aktiven zu Rentnern, wenn der technische Zins zu hoch angesetzt ist und das Vorsorgekapital der Rentner deshalb über längere Zeit höher verzinst wird als die Altersguthaben der Aktiven. Die Umfrage zeigt, dass im Jahr 2010 die durchschnittliche Pensionskasse den Rentnern einen technischen Zins von 3,5% «zahlte», während die aktiven Versicherten aufgrund der schwachen Finanzmarktentwicklung nur 2% erhielten. Die Umverteilung, die sich aufgrund der unterschiedlichen Verzinsung des Vorsorgekapitals der Aktiven und der Rentner ergibt, belief sich 2010 gesamtschweizerisch auf rund 2,5 Mrd Franken.
Pensionskassen stehen Strukturreform erstaunlich positiv gegenüber
Der Gesetzgeber verabschiedete 2010 die Strukturreform in der beruflichen Vorsorge, um das Vertrauen der Versicherten in die zweite Säule zu stärken. Entgegen der vielen negativen Wortmeldungen im Vorfeld der Strukturreform zeigt die Umfrage der Credit Suisse, dass die überwiegende Mehrheit der Pensionskassenvertreter die meisten Aspekte der Strukturreform positiv wahrnimmt. Am meisten Kritik bringen die Pensionskassen der Reorganisation der Aufsicht, speziell der neu gegründeten Oberaufsicht, entgegen. Die Pensionskassen befürchten aufgrund der Strukturreform insbesondere steigende Verwaltungskosten, einen stärkeren Kostendruck sowie die Schwierigkeit, Stiftungsräte zu finden. Gleichzeitig erhoffen sich viele der befragten Pensionskassen von der Strukturreform eine höhere Transparenz und eine positivere Wahrnehmung der Pensionskassen. Ein Ziel der Strukturreform war die Verbesserung der Governance.
Die Einflussmöglichkeiten der Versicherten sind aber sehr gering geblieben und beschränken sich hauptsächlich auf die Wahl ihres Stiftungsratsvertreters. Ein Ansatz zur Verbesserung wäre beispielsweise ein Ausbau der individuellen Wahlmöglichkeiten im Vorsorgeplan. Ein solcher Ausbau der individuellen Spielräume, was einem deutlichen Schritt in Richtung eines wettbewerblichen Systems gleichkommen würde, hat jedoch für die befragten Pensionskassen zurzeit nicht Priorität. Die Stärkung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Versicherten könnte eine Alternative zu zusätzlichen Wahlfreiheiten darstellen. Denkbar wären neben der Stärkung der Bedeutung der Stiftungsratswahlen zum Beispiel Konsultativabstimmungen oder Versammlungen. Den grössten politischen Handlungsbedarf sehen die Pensionskassen aber nicht in der Governance, sondern in der Möglichkeit, laufende Renten anzupassen, sowie in der Abschaffung des Mindestzins- und Mindestumwandlungssatzes. (CS/mc/pg)