China: Konsum statt Krise
Shopping-Meile in Shanghai.
Pekings Zentralregierung forciert ein landesweites Stimulus-Programm. Damit soll der Binnenkonsum und die Urbanisierung weiterhin in Schwung bleiben. Für Anleger bieten sich jetzt attraktive Chancen.
von Martin Raab & Dieter Haas, derivative Partners Media AG, www.payoff.ch
Luxussorgen quälen derzeit Ma Jiantang, Sprecher des Nationalen Büros für Statistik in Peking. Der 54-jährige Professor sorgte sich bei der jüngsten Bekanntgabe der Wirtschaftszahlen Mitte Januar 2012, dass sich China in einer «düsteren und komplizierten internationalen Umgebung bewegt». So ist das Bruttoinlandsprodukt der Volksrepublik China um «nur» 8,9% im letzten Quartal 2011 gewachsen. Diese Entwicklung sei vor allem auf die «Trägheit der am besten entwickelten Wirtschaften» zurückzuführen. Doch auch der zunehmende Druck zum Energiesparen und zur Reduzierung des Schadstoffausstosses drosselte den China-Boom, räumt er ein. Nach drei Jahrzehnten rasanten Wachstums hat sich China zu einer Wirtschaftsmacht der Superlative entwickelt und könnte bis 2025, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen.
Die Welt kauft in China
In Sachen Warenexporte hat das Reich der Mitte bereits jetzt rekordverdächtige Dimensionen erreicht. Allein die Exporte nach Europa erreichten im Jahr 2011 ein Volumen von USD 350 Mrd. In die USA wurden im gleichen Zeitraum Waren und Güter «Made in China» im Wert von USD 315 Mrd. exportiert. Entsprechend drastisch würde ein ernsthaftes Schwächeln der EU und USA die chinesische Wirtschaft treffen. Ein kleiner «Durchhänger» zeigt sich schon: Die Exporte im Januar 2012 sind im Jahresvergleich um 0,5% zurückgegangen, dies ist der erste Rückgang seit November 2009. China hat durch das bisherige «Mehr an Exporten» im Vergleich zu Importen die grössten Devisenreserven der Welt angehäuft. Die Reserveposition beläuft sich nach letzten Erhebungen per Ultimo 2011 auf USD 3.1 Bil. De facto handelt es sich um totes Kapital, bedroht von der US-Inflationsrate von derzeit durchschnittlich 3%. Das haben inzwischen auch die weisshaarigen Hardliner in Peking begriffen.
Konsum und Infrastruktur als Massenmotto
Exakt hier versucht die Zentralregierung in Peking gegenzusteuern. Der 12. Wirtschaftsplan für die Jahre 2011-2015 steht unter dem Motto: Infrastruktur und Binnenkonsum. Chinesische Hersteller sollen mehr inländische Kundschaft für sich gewinnen. «Mit am stärksten profitieren dürften lokale Unternehmen, vor allem, weil sie ihren Markt gut kennen und besser auf die Bedürfnisse der inländischen Kunden reagieren – egal ob bei Damenschuhen oder sozialen Medien», ist Agnes Deng, Head of Hong Kong China Equities bei Baring Asset Management, überzeugt. Neben Konsumimpulsen setzt die Regierung auch darauf, die Urbanisierung und Mobilität der Chinesen in geordnete Bahnen zu bringen. Aktuell leben und arbeiten rund 600 Mio. Menschen in den chinesischen Metropolen. So hämmern, baggern und planieren Heerscharen von Bautrupps im staatlichen Auftrag quer durch das Land für neue Strassen und Schienen. Bis zum Jahr 2020 werden beispielsweise 50.000 km neue Gleisstrecken für Hochgeschwindigkeitszüge gebaut. Zusätzlich sind weitere 56.000 km Gleis für überregionale Trassen im Bau.
Eldorado für Automobilproduzenten
Doch auch im Strassenbau zählt jeder Tag, denn es werden nicht weniger Autos. Derzeit besitzen in China erst 30 von 1‘000 Einwohnern ein Auto, und der Wunsch nach einem Auto ist stärker denn je. «Der eigene Pkw steht für Chinesen noch immer ganz oben auf der Wunschliste», erklärt Karl-Thomas Neumann, Präsident und CEO der Volkswagen Group China gegenüber payoff. «Wir gehen zwar davon aus, dass die überdurchschnittlich hohen Zuwachsraten der vergangenen Jahre nicht mehr erreicht werden können. Dennoch erwarten wir auch in den kommenden Jahren insgesamt ein solides Wachstum auf dem chinesischen Pkw-Markt», ist Neumann überzeugt. Man plant rekordverdächtige EUR 14 Mrd. bis 2016 in China zu investieren. Auch bei den deutschen Mitbewerbern brummt das Business. Der BMW-Konzern verkaufte in China rund 38% mehr Fahrzeuge in 2011. «Das Jahr 2011 war von einem Rekord-Dezember gekrönt», freut sich auch Klaus Maier, Chef von Mercedes-Benz China. Im Jahresvergleich haben die Schwaben 35% mehr Fahrzeuge verkauft. In wenigen Wochen wird Volkswagen noch eins draufsetzen: Die spanische Konzernmarke SEAT wird erstmals mit einem eigenen Händlernetz in China antreten.
Chinesische Hersteller lernen schnell
Dass die westlichen Autohersteller drastisch auf Tempo fahren, ist nicht verwunderlich. Die chinesischen Mitbewerber werden von Quartal zu Quartal erwachsener – und gefährlicher. «Great Wall, Chery, Geely, Foton und andere lernen schnell laufen», bestätigt Professor Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Centers Automotive Research. Ausländer als auch Chinesen produzieren primär an Chinas Küstenregionen (siehe Grafik). Dass die Chinesen kompromisslos kopieren und geistiges Eigentum missachten, gehört zum Geschäft. Kopierte Busse von Neoplan und geklonte Mini-Cooper sind nur die Spitze des Eisbergs. Volkswagen nimmt es sportlich, dass chinesische Hersteller bisweilen versuchen, die Modelle zu kopieren. «Es gilt in China ja eher als Lob. Hier kopiert man bekanntlich nur den Meister», so Neumann. Angst vor den lokalen Autobauern hat man aber noch keine. «Dank unserer Innovationskraft ist der Volkswagen-Konzern auch in China der Konkurrenz stets voraus», ist sich VW-Chef Neumann ganz sicher.
Stimulus durch wiederholte Mindestreserve-Senkungen
Doch Chinas Regierung möchte nicht nur den automobilen Konsum der Landsleute ankurbeln. Die Gesamtwirtschaft soll stimuliert werden. Egal ob Bekleidung, Schuhe , Haushaltswaren oder diverse Elektronikgeräte – Hauptsache das Volk kauft verstärkt und gezielt «Made in China» ein. Als Stimulus hat die chinesische Notenbank seit Dezember 2011 damit begonnen, die Mindestreserveanforderungen der inländischen Banken schrittweise zu senken (siehe Grafik). Zuletzt lockerte sie die Geldpolitik Ende Februar 2012. Der Mindestreservesatz der Geschäftsbanken wurde um 0,5 Prozentpunkte auf 20,5 Punkte gesenkt. Es ist die dritte Reduktion innerhalb von drei Monaten. Damit kommt mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf. Zusätzlich sollen aber auch weiterhin die chinesischen Exporteure durch Steuervergünstigungen motiviert werden, fleissig für das Ausland zu produzieren, teilte Handelsminister Chen Deming Mitte letzten Monats mit. Die Wirtschaftsmaschinerie wird mit allen Mitteln am Laufen gehalten. Das begünstigt unter dem Strich auch die jüngsten Erholungstendenzen der Weltwirtschaft.
Aber auch Bedrohliches hinter den Kulissen
Trotz aller euphorischer Kaufmannsträume der Gegenwart ist klar, dass sich langfristig ein Ende des rasanten Wachstums ergeben wird. Rapide steigende Löhne in den Industriezentren, aufkommende soziale Rangeleien sowie der Bumerang der Ein-Kind-Politik verheissen langfristig nichts Gutes. Ferner sorgen Inflation und die hohen Export- und Transportkosten für zunehmenden Kostendruck. «Für viele westliche Unternehmen löst sich das Werteversprechen in China gerade in Luft auf: Kostensteigerungen machen den Wettbewerbsvorteil des Landes zunichte», erläutert Thomas Wendt, Principal bei Roland Berger Strategy Consultants. In den nächsten drei Jahren erwarten die Experten einen Anstieg der Produktionspreise in China um 75%.
Geiz ist nicht immer geil
Ferner baut sich Druck für chinesische Produzenten auf, denn es häufen sich Verbraucherkampagnen, die die hässliche Realität hinter den Fabriktoren Chinas schonungslos in die Öffentlichkeit zerren. Für unethische Arbeitsbedingungen wurde Foxconn ein Sinnbild. Das Unternehmen baut u.a. für Apple, HP und Dell vielerlei Elektronik zu Kampfpreisen. Arbeitsunfälle, Lohnausbeutung und sogar Selbstmorde gehören leider als fester Bestandteil zu Chinas Billigproduzenten. Geiz ist aber für Anleger alles ander als geil: Der Aktienkurs von Foxconn hat sich in den letzten zwei Jahren halbiert. Investments in klassische Infrastruktur und Logistikunternehmen sind vielversprechender – und oftmals ethisch überlegen.
Anlageprodukte für jeden Geschmack
China-Liebhaber finden an der Derivatbörse Scoach fast alles, was ihr Herz begehrt. Die Angebotspalette ist breit und lässt nur wenige Wünsche offen. Einzig für risikoscheue Investoren, die sich gerne aus der Palette mit einem SVSP-Rating zwischen 1 und 3 bedienen, fehlen adäquate Produkte. Neben Tracker-Zertifikaten auf bekannte, den gesamten Markt abdeckende Indizes werden vor allem fokussierte Aspekte offeriert. Mit solchen massgeschneiderten Lösungen versuchen die Emittenten, sich ein besonders grosses Stück vom Kuchen zu sichern. Ein Performancevergleich in CHF offenbart allerdings Stärken und Schwächen. Längst nicht alle Ansätze vermochten bis dato zu überzeugen. Auf kurze Sicht ist dies meist wenig ersichtlich. Erst in einer längerfristigen Betrachtungsweise treten die Unterschiede zutage. Gute Noten erhält das Partizipationsprodukt VZCUC auf den von der Deutschen Börse errechneten DAXglobal China Urbanization Performance Index. Die Fokussierung des Anlageuniversums deckt sich mit der im 12. Wirtschaftplan geäusserten Stossrichtung. Für die Berechnung des Basiswertes werden die vier liquidesten Aktien aus fünf berücksichtigten Sektoren, die einen Bezug zum Thema Urbanisierung haben, ausgewählt. Alle 20 Titel erhalten dasselbe Gewicht. Performancemässig ragten zuletzt China COSCO und Sino-Ocean hervor.
Die Wirtschaftsmaschine wird mit allen Mitteln am Laufen gehalten.
Günstig den Markt tracken
Mit Kostenvorteilen – garantierte Verwaltungsgebühren von 0,00% in den ersten beiden Jahren seit der Emission – punktet der Exchange Traded Tracker ETCHI auf den MSCI China Net. Der Basiswert widerspiegelt den chinesischen Markt, indem er Aktien von Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung innerhalb der oberen 85% des chinesischen Anlageuniversums umfasst. Beachtenswert ist ferner VZCAC, ein in CHF gehandeltes Tracker-Zertifikat auf den Solactive China TR Automobile Index (www.structured-solutions.de). Der ungestillte Hunger nach vierrädrigen Verkehrsmitteln sorgt für anhaltende Fantasie. Sie dürfte in den kommenden Monaten wegen der zu erwartenden weiteren Lockerung des Mindestreservesatzes wieder verstärkt angeheizt werden. Die jüngste, erfreuliche Kursentwicklung ist wohl erst ein Vorgeschmack.
Futter für Spekulanten
Chinas Börsen schwanken wesentlich kräftiger als diejenigen der westlichen Industriestaaten. Das sollte speziell bei der Auswahl von Hebelprodukten mit Knock-Outs ins Kalkül gezogen werden. Ein in punkto Risiko vertretbares Exemplar ist der Knock-Out Call Warrant SOHCA auf den Hang Seng China Enterprises Index. Seine markttechnischen Chancen und Risiken wurden im Magazin 02/2012 in der Rubrik Chartcorner eingehend beleuchtet. Vorsichtigen Spekulanten, die sich nicht der Gefahr aussetzen wollen, ausgestoppt zu werden, sei der bis 21. Dezember 2012 laufende Call-Warrant VTHCEZ auf den HSCEI mit einem Ausübungskurs bei 10‘000 ans Herz gelegt. Das Verfalldatum liegt kurz vor den Weihnachtsfeiertagen 2012. Mit einem Kauf auf dem heutigen Kursniveau bestehen beste Chancen für einen willkommenen Zustupf zur Aufbesserung des Weihnachtsgeldes. Geht das Kursszenario auf, dürfte auch Herr Jiantang vom Nationalen Büro für Statistik in Peking ruhiger schlafen.
Auf einen Blick: Aktienmarkt China
A-Share: Sie bezieht sich auf eine an der Shanghai Stock Exchange oder der Shenzen Stock Exchange in Renmimbi gehandelte Aktie eines Unternehmens. Sie konnten lange Zeit nur von Chinesen erworben werden. Seit 2002 sind sie auch für «Qualified Foreign Institutional Investors» erhältlich.
B-Share: Sie umfassen Aktien der Börsen Shanghais und Shenzens, welche in ausländischer Währung gehandelt werden, deren Nennwert aber in Renmimbi festgelegt ist. In Shanghai notieren B-Share in USD, in Shenzen in HKD. B-Shares können im Unterschied zu den A-Shares sowohl von ausländischen Investoren wie auch von Chinesen frei erworben werden.
H-Share: Darunter fallen Aktien von chinesischen Unternehmen, die an der Hong Kong Stock Exchange kotiert sind. Sie notieren in HKD und USD und unterliegen keinen Verkaufsrestriktionen.
N-Share: Hierunter versteht man Aktien chinesischer Unternehmen, die an der NYSE, NADSAQ oder der AMEX gelistet sind. Diese notieren in US-Dollar und sind als sog. American Depositary Receipts (ADRs) emittiert. Eine US-Bank verbrieft de facto einen Anteil an den chinesischen Originalaktien.
Red Chips: Wertpapiere von in Hong Kong gegründeten Unternehmen, an denen die chinesische Regierung eine wesentliche direkte oder indirekte Beteiligung hält. Sie sind in Hong Kong-Dollar notiert.
Hang Seng China Enterprises Index (HSCEI): Der HSCEI bildet den chinesischen Aktienmarkt über Aktien ab, die an der Hong Konger Börse gehandelt werden. Eine maximale Begrenzung von 15% pro Titel sorgt für die notwendige Ausgewogenheit in der auf einer Free-Float adjustierten Marktkapitalisierung basierenden Berechnung.
FTSE/Xinhua China 25 Index: Er setzt sich aus den 25 grössten und liquidesten an der Börse Hong Kong gelisteten H-Aktien und Red Chips zusammen. Einzelwerte können mit maximal 10% gewichtet werden.