Greenpeace: Axpo mitverantwortlich für Umwelt-Verseuchung in Majak
© Greenpeace / Denis Sinyakow.
Zürich – Anfang Januar 2012 wurde russischen Umweltorganisationen eine Gerichtsakte zugespielt, die auch Greenpeace Schweiz vorliegt. Das Dokument aus dem Jahre 2006 belegt, wie der damalige Direktor der Atomanlage in Majak vorsätzlich Umweltrecht verletzte und Menschen radioaktiver Belastung aussetzte. Zu diesem Zeitpunkt bezogen Axpo und Alpiq bereits Brennmaterial aus der Anlage. Für Greenpeace ist damit klar: Mit diesen Fakten konfrontiert, müssen die Schweizer Stromkonzerne endlich einen Schlussstrich unter sämtliche Geschäftsbeziehungen mit Rosatom ziehen und zu ihrer Mitverantwortung an der Verseuchung der Region um Majak stehen.
Seit Beginn der 2000-er Jahre setzen die Atomkraftwerke Gösgen (Alpiq; seit 2002) und Beznau (Axpo; seit 2003) in Russland produzierten Brennstoff aus Wiederaufarbeitungsuran ein. Greenpeace-Nachforschungen der vergangenen Jahre hatten belegt, dass die wichtigsten Bestandteile aus der Atomanlage in Majak (Südural) stammen, wo grosse Gebiete radioaktiv verseucht sind. Nachdem vor allem die Axpo ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik geraten war, verzichtet sie seit vergangenem November auf Uran aus Majak, „bis vollständige Transparenz über die dort herrschenden Verhältnisse hergestellt ist“ (Axpo-Medienmitteilung vom 12.11.2011). Aus den Lieferverträgen auszusteigen, fand die Axpo aber bislang nicht nötig. Die Verseuchung sei auf die Sowjetzeit zurück zu führen, die heutigen Produktionsbedingungen seien unproblematisch und würden im Rahmen nationaler und internationaler Umweltnormen funktionieren.
Stark kontaminierte Abwässer in Fluss geleitet
Die gerichtliche Verfügung des Bezirksgerichts Tscheljabinsk vom 11. Mai 2006 belegt nun das Gegenteil. Auch in jüngerer Vergangenheit, zwischen 2001 und 2004, wurden im vollen Wissen der Unternehmensleitung in Majak stark kontaminierte Abwässer in den Fluss Tetscha geleitet. Dabei wurden sowohl die russische Umweltgesetzgebung wie auch nationale und internationale Grenzwerte verletzt. Die vorgefundenen Werte taxieren sogar gemäss russischen Normen das Flusswasser als flüssigen radioaktiven Müll. Die Bevölkerung bezog zu diesem Zeitpunkt ihr Trinkwasser aus der Tetscha. Sie wurde nicht über diese gefährliche radioaktive Belastung informiert. Der verantwortliche Direktor von Majak ging trotz Verurteilung straffrei aus. Folgen Axpo und Alpiq den eigenen Werthaltungen und Umweltverträglichkeitsansprüchen, müssen sie aus diesen neuen Erkenntnissen folgende Konsequenzen ziehen:
- Schnellstmögliche Auflösung der Verträge mit Areva und dem russischen Atomkonzern Rosatom sowie Firmen in dessen Besitz und keinerlei Brennmaterialbezug mehr aus deren Anlagen.
- Anerkennung der Mitverantwortung für die Verseuchung der Gebiete in der Region Tscheljabinsk durch die Atomanlage Majak. Damit verbunden direkte Beiträge zur Wiedergutmachung, in Zusammenarbeit mit den Betroffenen-Organisationen vor Ort.
In der bereits zitierten Medienmitteilung schreibt Axpo: „Sollten sich andere als die zum heutigen Zeitpunkt feststellbaren Erkenntnisse ergeben, behält sich Axpo vor, die Lage neu zu beurteilen und neue Entscheide zu treffen.“ Der Zeitpunkt dafür ist jetzt da, für Axpo wie auch Alpiq.
Rundschau-Beitrag vom 8. Februar 2012
Weiterführende Informationen inklusive Gerichtsakte: http://www.greenpeace.org/switzerland/de/Kampagnen/Stromzukunft-Schweiz/Atomstrom/Sicherheit-und-Gesundheit/Mayak/
Vertiefung und Interpretation:
Diese Verletzungen der Umweltnormen fallen mit 2001 – 2004 in einen Zeitraum, als sowohl Gösgen wie Beznau bereits Brennstoffe aus Russland einsetzten. Die AKW-Betreiber haben sich in ihrer Einschätzung auf Informationen aus Gesprächen mit dem Staatskonzern Rosatom verlassen, der sämtliche nuklearen Geschäftszweige in Russland kontrolliert. Gemäss Aussagen der Schweizer Betreiber hat Rosatom wiederholt versichert „kein Umweltrecht zu brechen.“ Sowohl die neu zugänglichen Untersuchungen der gerichtlichen Behörde wie auch die Stichprobe, die Greenpeace im November 2010 dem Fluss Tetscha entnommen hatte, zeigen einen abnormalen Wert. Im Fall der vom unabhängigen Labor Criirad in Lyon/F untersuchten Greenpeaceprobe waren es 22 Bq Strontium-90/Liter, die russischen Untersuchungen förderten im August 2004 Werte bis zu 50 Bq/Liter zutage.
Gelder zweckentfremdet
Die gerichtliche Verfügung stellt amtlich fest, dass die Überschreitung des „Grenzwerts für Strontium von 5 Bq/l die Einleitung von Schutzmassnahmen vorsieht, die eine Senkung der Wahrscheinlichkeit einer Verstrahlung, der Dosis oder unerwünschter Strahlenfolgen zum Ziel haben“. Aus der Gerichtsakte geht klar hervor, dass vom damaligen Majak-Direktor W.I. Sadownikow, Gelder zweckentfremdet wurden, statt sie in die Sanierung der weitläufig in der Landschaft verstreuten, maroden Systeme für die Aufbewahrung der radioaktiven Abwässer zu investieren.
Vorschriften willentlich verletzt
Die Gerichtsverfügung hält zu seinen Vergehen unmissverständlich fest: „ Obwohl Sadownikow wusste, dass eine Verletzung der oben genannten normativen Vorschriften des Umweltschutzes und der Lagerung von radioaktivem Müll beim Betrieb der Tetscha-Kaskade für die Gesellschaft gefährliche Folgen hat, nämlich einen beträchtlichen Schaden für die Gesundheit der Menschen und für die Umwelt, und er vorausgesehen hat, dass dies eintreten würde, hat er diese Vorschriften verletzt, weil er seine Pflichten zur Einhaltung der Umweltvorschriften und der Lagerung von radioaktivem Müll nicht nachkommen wollte. (..) Eine weitere Folge war die Auslösung von beträchtlichem Schaden für die Gesundheit von Menschen und für die Natur.“
Amnestiedekret schützt Sadownikow
Ausgerechnet Rosatom zeichnet dafür verantwortlich, dass Sadownikow die ihm zustehende Strafe nicht absitzen musste, sondern von einem Amnestiedekret für bestimmte Personengruppen profitierte. Der Leiter von Rosatom, Sergei Kiriyenko, setzte sich offensichtlich persönlich für die Freilassung von Sadownikow ein. Die Gerichtsakte hält immerhin fest, dass die „Anwendung der Amnestie nicht als Rehabilitation betrachtet werden dürfe“. Den abstrusen Sachverhalt ausgedeutscht: Sadownikow wird zwar nicht belangt, seine Schuld ist aber erwiesen.
Folgende Schlüsse müssen heute gezogen werden:
- Eine konzerneigene Projektgruppe hat sich bei Axpo ein ganzes Jahr lang mit dem Fall Majak befasst und am Ende ein umweltrechtliches Gütesiegel unter die Produktionsbedingungen gesetzt. Dass nun eine dem Geschäftspartner Rosatom bestens bekannte Gerichtsakte diese ausführliche Prüfung aus den Angeln hebt, setzt ein riesiges Fragezeichen hinter die Glaubwürdigkeit der Bemühungen der Axpo.
- Rosatom hat im letzten Jahrzehnt Rechtsverletzungen zumindest zugelassen. Entweder haben Areva und Rosatom die Axpo hinters Licht geführt, indem sie über den Inhalt dieser Gerichtsverfügung und die damit belegten jüngeren Missstände in der Anlage in Majak nicht informierten; oder Axpo hat diese Informationen verdrängt und verschwiegen. So oder so wäre es nicht nachvollziehbar, wenn Axpo und Alpiq die Geschäfsbeziehungen mit einem solchen Partner weiterführten.
- Unbestritten ist die weitere Einleitung von radioaktiven Abwässern in die Industriebecken. Gemäss verschiedenen Gutachten leckt dieses System zur Lagerung der radioaktiven Abwässer weiterhin in das Flusssystem der Tetscha. . Die durchsickernden radioaktiven Stoffe können sowohl langjährig deponierten wie auch aktuellen Abfallströmen entspringen.
Es besteht also kein Anlass zur Hoffnung, dass die Produktion heute sauber ist. In Anbetracht der vorliegenden Tatsachen ist Rosatom völlig ungeeignet darüber jemals glaubwürdig Aufschluss geben zu können. (Greenpeace/mc/ps)