«Occupy Paradeplatz»: «Empörte» protestieren
«Sit-in» am Finanzplatz Zürich.
Zürich – In mehreren Schweizer Städten haben am Wochenende «Empörte» gegen die Banken, das Wirtschaftssystem und die etablierte Politik protestiert. In Zürich besetzten Aktivisten den Paradeplatz. Rund 40 übernachteten dort in Zelten. Sie wollen den Platz erst auf polizeiliche Anordnung hin freigeben. Am Samstag demonstrierten rund tausend Menschen auf dem Zürcher Paradeplatz friedlich und farbenfroh, nach dem Vorbild der Proteste gegen die Wall Street in New York. In Genf gingen rund 300 Aktivisten auf die Strasse, in Bern etwa 50.
In Basel fand vor dem Sitz der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ein Sit-In statt. Rund 100 Personen versammelten sich zu friedlichen Diskussionen.
«Rettet Menschen, nicht Banken»
Unter dem Motto «Rettet Menschen, nicht Banken» nahmen die Aktivisten den Zürcher Paradeplatz in Beschlag und liessen sich vor den Sitzen der Grossbanken UBS und Credit Suisse nieder. Unter ihnen waren viele junge Menschen, aber auch zahlreiche Erwachsene und vereinzelte Familien. Nach Angaben der Organisatoren kamen gegen tausend Personen zusammen. Die Jungsozialisten (Juso) teilten mit, es seien 1200 Teilnehmer gezählt worden. Bei der Stadtpolizei Zürich hiess es auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda, es seien 600 bis 800 Personen auf dem Paradeplatz gewesen. Die Stadtpolizei hielt sich im Hintergrund und schritt auch nicht ein, als rund 40 Aktivisten beschlossen, in der Nacht auf Sonntag auf dem Paradeplatz zu campieren. Es seien keine Lärmklagen eingegangen, sagte Stadtpolizei-Sprecher Michael Wirz. Es habe auch keine Sachbeschädigungen gegeben.
Besetzer räumen den Zürcher Paradeplatz
Die verbliebenen rund 40 Aktivisten der so genannten «Empörten»-Bewegung haben den Zürcher Paradeplatz am Montagmorgen gegen 7 Uhr freigegeben. Sie folgten damit einer Aufforderung der Polizei. Diese hatte die Aktivisten kurz nach halb sieben erneut verlangt, den Platz freizugeben wie Stadtpolizei Sprecher Michael Wirz gegenüber der Nachrichtenagentur sda sagte. Die Besetzer kamen dieser Aufforderung sofort nach. Sie ziehen nun auf den Lindenhof weiter. Zu «Occupy Paradeplatz» in Zürich hatten unter anderen die Juso und die jungen Grünen aufgerufen. An der Veranstaltung nahmen auch Vertreter der umstrittenen Gruppierung «We are change» und von «Echte Demokratie jetzt» teil.
Jean Ziegler: Grussbotschaft aus Paris
In Zürich hätte der ehemalige Genfer SP-Nationalrat und Globalisierungskritiker Jean Ziegler auftreten sollen. Er verpasste aber einen Flug und richtete deshalb von Paris aus eine telefonische Grussbotschaft an die Besetzer. Seiner Meinung nach braucht es die «Occupy»-Proteste in der Schweiz «unbedingt», wie er im Interview mit der «SonntagsZeitung» sagte. Sie als Aufstand von Verschwörungstheoretikern zu bezeichnen, ist für Ziegler ein «diffamatorischer Angriff auf die Bürgerbewegung und inakzeptabel».
«Keine Alternativen zu Parteien»
Der Luzerner Soziologe Oliver Marchart erklärt sich die Proteste damit, «dass es keine Alternativen mehr gibt zu den bestehenden Parteien», wie er im Interview mit der «Zentralschweiz am Sonntag» sagte. Für die Protestierenden dienten Politiker nicht dem Wohl der Bevölkerung, sondern verfolgten meist nur noch eigene Interessen. Schweizer Bürger könnten sich zwar relativ häufig politisch beteiligen. Aber weil das System stark auf Konsens ausgelegt sei und so gut wie alle politischen Strömungen in der Regierung vertreten seien, sei es schwierig, den Bürgern erkennbare Alternativen anzubieten. Marchart rechnet mit längerfristigen Auswirkungen der Proteste: «Sie verändern unser Denken und unser Handeln und damit auch das politische System. Nicht sofort, aber in jedem Fall langfristig und auch nachhaltig.» (awp/mc/upd/ps)