Deutschland: Atomausstieg bis 2022 perfekt
SPD-Chef Sigmar Gabriel.
Berlin – Der Bundestag hat den Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschlossen. Union, FDP, SPD und Grüne stimmten am Donnerstag gemeinsam mehrheitlich für eine entsprechende Änderung des Atomgesetzes. Es gab 513 Ja- und 79 Nein-Stimmen sowie 8 Enthaltungen. Acht Atomkraftwerke werden sofort stillgelegt, die übrigen neun AKW stufenweise bis 2022.
Damit wird als Folge der Katastrophe von Fukushima die erst im Herbst 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung zurückgenommen. Auch machte der Bundestag den Weg frei für ein umfangreiches Gesetzespaket zur Energiewende. SPD und Grüne haben vor der Bundestags-Entscheidung den Atomausstieg für sich beansprucht und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine scheinheilige Politik vorgeworfen. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Neuwahlen. «Hören Sie einfach auf. Das wäre der beste Neustart für unser Land», sagte er am Donnerstag im Bundestag, wo am Vormittag der historische Beschluss zur schrittweisen Abschaltung aller AKW bis 2022 getroffen werden sollte.
«Das ist ein sehr guter Tag für Deutschland»
Trotz der scharfen Kritik wollen SPD und Grüne die schwarz-gelben Pläne mittragen. Die Linke sagt Nein. Acht Meiler werden sofort abgeschaltet, die neun weiteren gehen nach einem festgelegten Zeitplan bis 2022 vom Netz. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sprach angesichts der Energiewende von einer Revolution: «Das ist ein sehr guter Tag für Deutschland.» Nach mindestens 30-jähriger kontroverser, teils unversöhnlicher Debatte werde das Parlament einen energiepolitischen Konsens beschliessen. Kein Industrieland sei beim Ausbau des Ökostroms so ehrgeizig. Im Ausland werde gesagt: «Wenn es ein Land schaffen kann, dann sind es die Deutschen.»
SPD fordert höheren Ökostrom-Anteil
Während für den Atomausstieg im Bundestag eine breite, parteiübergreifende Mehrheit zu erwarten ist, wollen SPD und Grüne die Gesetze zur Energiewende mehrheitlich nicht mittragen. So halten sie etwa das Ziel von Union und FDP, den Ökostrom-Anteil von derzeit rund 19 Prozent bis 2020 auf 35 Prozent zu steigern, für zu gering. Sie fordern 40 Prozent Ökostrom bis 2020. Insgesamt steht ein Paket mit acht Gesetzen zur Abstimmung, darunter auch Regelungen für eine Offensive bei der Gebäudesanierung, um hier Energie einzusparen. Gabriel warf der Bundesregierung vor, sich beim Atomausstieg mit fremden Federn zu schmücken. «Dieser Ausstieg ist unser Ausstieg», sagte er mit Blick auf den ursprünglichen Beschluss von Rot-Grün vor gut zehn Jahren. Dafür hätten sich SPD und Grüne von der Union immer «Häme, Verleumdung, Beleidigung und Diffamierung» anhören müssen.
Grüne: «Ja, aber»
Noch vor einem halben Jahr hätten Merkel und Röttgen den Atomkonzernen bis zu 14 Jahre längere Laufzeiten für die Atommeiler geschenkt. Erst Fukushima habe die Regierung zur Kehrtwende zu rot-grüner Politik gezwungen: «Das ist ein grosser Tag der Genugtuung», sagte Gabriel. Der Kanzlerin aber gehe es nur noch um den Machterhalt von Schwarz-Gelb. Mit Blick auf die geplanten Steuersenkungen kritisierte er, Merkel verteile wie ein Räuberhauptmann auf der Lichtung die Beute. Der Atomausstieg ist nach Ansicht der Grünen nur ein Zwischenschritt. «Wir sind noch lange nicht fertig, wir fangen jetzt erst richtig an», sagte Fraktionschefin Renate Künast. Das «Ja» der Grünen zur Energiewende sei ein «Ja, aber». So sei etwa das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 35 Prozent zu steigern, nicht ausreichend. Dennoch könne «gerne das Wort eines grossen Konsenses» bemüht werden.
Atomausstieg mit Rückfahrkarte?
Die Linke forderte, den Ausstieg im Grundgesetz festzuschreiben. Dann wäre die Abkehr von der Kernenergie unumkehrbar, sagte Fraktionschef Gregor Gysi. «So bleibt es ein Atomausstieg mit Rückfahrkarte.» Die grossen Stromkonzerne müssten zerschlagen und die Energieversorgung wieder in die Hände der Kommunen gelegt werden. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler wies die Kritik der Opposition zurück. Die Entscheidungen von Schwarz-Gelb gingen deutlich über den Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün hinaus, sagte der FDP-Vorsitzende. Die Wirtschaft werde nicht übermässig belastet. Für deutsche Firmen böten sich im In- und Ausland sogar neue Chancen. (awp/mc/ps/upd/ss)