Kaspar Zellweger, Senior Risk Manager der SwissRe
Kaspar Zellweger, Senior Risk Manager der SwissRe
Von Martin Raab, payoff.ch
Martin Raab: Arabien ist in Aufruhr, Libyen im Bürgerkrieg, Japan verstaatlicht ein Stromkonzern. Sind derartige politische Risiken generell versicherbar?
Kaspar Zellweger: Nun, hier ist es wichtig zu wissen, dass der Begriff des politischen Risiko mit etlichen Unschärfen behaftet ist. Für einen Versicherer, beziehungsweise einen Rückversicherer wie die SwissRe muss aber ein Ereignis klar definiert werden können. Bedeutend ist, dass sich die Eintretenshäufigkeit, wie auch der potentielle ökonomische Schaden eines solchen Ereignisses, einigermassen zuverlässig abschätzen lässt. Ereignisse wie Kriege, Revolutionen oder internationale Sanktionen – umgangssprachlich als politische Risiken bezeichnet – sind extrem komplexe Phänomene. Eine generelle Versicherbarkeit ist nicht möglich.
«Global aktive Versicherer haben kaum Investitionen in politisch instabilen Regionen» Kaspar Zellweger, Senior Risk Manager der SwissRe
Gibt es dennoch Möglichkeiten?
Ja, was aber funktioniert, ist die Versicherung von Teilaspekten. Hier muss vorab eine enge Umschreibung erfolgen. Sämtliche Schadenszahlungen sind ebenfalls im Voraus zu definieren und erfolgen in der Praxis stets auf ein Maximum beschränkt.
Und welche Versicherungen sind in dieser Nische aktiv?
Seit den sechziger Jahren existiert ein kleiner Markt, der versicherungstechnisch als «politischer Risikomarkt» bezeichnet wird. Angeboten werden Deckungen zum Beispiel gegen Konfiskationen durch Regierungen in Investitionszielländern (in Venezuela als Beispiel). Dieser Markt ergänzt staatliche Deckungen für Exportgarantien und –finanzierungen. Als Akteure auf diesem Markt treten zum Beispiel Lloyds-Syndikate, aber auch globale Erstversicherungskonzerne wie Chartis oder die Zurich Financial Services auf. Diese decken sich wiederum zum Teil mit Rückversicherung ein. Die SwissRe ist einer von verschiedenen Players in diesem Rückversicherungsmarkt.
Wie stark ist die Versicherungsbranche als institutioneller Investor von derartigen Turbulenzen betroffen?
Grundsätzlich nur sehr bedingt. Versicherer sind zwar weltweit zum Beispiel eine der grössten Investoren in Regierungsobligationen, aber durch regulatorische Vorschriften strikt daran gehalten, in sichere Anlagen zu investieren. Dadurch fallen Investitionen in Regierungsanleihen aus politisch instabilen Gebieten vielfach weg, da solche Anleihen oft über eine niedrige Bonität verfügen.
«Die Versicherungsdichte im Nahen Osten ist traditionell sehr tief.»
Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie in Sachen Nordafrika und Arabien?
Jeder Versicherer, einem soliden Asset-Liability-Management verpflichtet, tätigt Investments in den Währungs- und Anlageräumen, in denen Versicherungsverpflichtungen eingegangen worden sind. Gerade politisch instabile Regionen zeichnen sich aber oft durch eine geringe Versicherungsdichte aus. Das bedeutet, dass zumindest global aktive Versicherer kaum Anleihen und andere Investitionen aus diesen Ländern in ihren Büchern führen.
Wie ist die Versicherungsdichte im Nahen Osten?
Die Versicherungsdichte in dieser Region ist traditionell sehr tief. Das ist nicht zuletzt auch mit kulturellen Faktoren zu erklären. So lag etwa 2009 die Versicherungsdichte von Ägypten bei 0,5% des BIP und von Tunesien bei 1,9%; die regional höchste Versicherungsdichte weist Marokko auf mit 2,8%. Zum Vergleich: in der Schweiz liegt sie bei 9,8%; selbst ein Schwellenland wie Indien kommt auf einen Wert von 5,2%.
Läuft die Bewertung politischer Risiken eher «mit dem dicken Daumen» oder anhand konkreter Modelle?
Im politischen Risikoerst- und -rückversicherungsmarkt werden die angebotenen Risiken nach den üblichen Underwriting- und Risk Management-Kriterien bewertet. Die Entwicklung von Risikomodellen ist noch nicht sehr fortgeschritten, da noch relativ wenige Ereignisserien erfasst worden sind. In den letzten Jahren sind aber diesbezüglich einige Fortschritte erzielt worden, und starke Marktschwankungen, wie in den achtziger Jahren noch üblich, haben sich verflacht.
«Ein Cat-Bond-Markt für politische Risiken hat sich noch nicht entwickelt.»
Welche Unternehmen/Organisationen lassen typischerweise politische Risiken versichern?
Politische Risikodeckungen werden einerseits von Banken, andererseits oft von Industrieunternehmen und Handelshäusern eingekauft, die in politisch instabilen Regionen tätig sind. Die Banken haben in der Vergangenheit oft politische Risikodeckungen eingekauft, wenn interne Länderlimiten ausgeschöpft waren. Ob diese Praxis unter Basel III weiterhin Bestand haben wird, ist gegenwärtig noch Gegenstand von Diskussionen.
Gibt es Produkte zur Ausplatzierung von übernommenen Politrisiken?
Ein Cat-Bond-Markt hat sich für politische Risiken bislang noch nicht entwickelt und dürfte aufgrund der geringen Tiefe des Marktes sowie der relativ wenigen Risiken auf absehbare Zeit auch nicht entstehen.
Der Gesprächspartner:
Kaspar Zellweger ist als Senior Risk Manager im Hause der SwissRe als profunder Experte für politische Risiken aktiv. Als Mitglied des Kompetenzcenters für Politische Risiken arbeitet Herr Zellweger u.a. in der Transaktionsprüfung, Client Due Dilligence und Limitfestsetzung. Er berät alle Geschäftseinheiten der SwissRe in sämtlichen Aspekten zu politischen Risiken und deren Auswirkungen auf die Bereiche Versicherung, Investments, Reputation und Operations. Bevor er zur SwissRe wechselte, war Kaspar Zellweger in verschiedenen Positionen in einem Industrieunternehmen tätig. Er studierte in Zürich, Genf und Singapore und ist Inhaber zweier Masterabschlüsse: Betriebswirtschaft sowie International Affairs.