Wir wollen es nicht sehen

«Basel ist der Mittelpunkt der Welt, die strategische Mitte zwischen New York und Peking.» Aber Achtung: schon die Griechen sind mit solchen Übertreibungen über den Omphalos gestolpert, denn er bewahrte sie nicht vor dem Aufstieg einer noch viel grösseren Hochkultur in der direkten Nachbarschaft.

Die Kunsthalle Basel eröffnete am 26. März eine Ausstellung mit dem Titel: How to work. Gut so. Zu sehen ist neben anderen Arbeiten eine Arbeit von Fischli/Weiss, die den Titel trägt How to Work better. Auch gut. Wir lesen im Ausstellungstext, dass die Ausstellung den Dialog von 1977 wieder aufnimmt und sich «kritisch mit der Politik von Bild- und Objektproduktion beschäftigt». Doch ist das wirklich so? Beim genaueren Hinsehen wird sichtbar, dass wir mit unserer traditionellen Sichtweise in unserem Denken so gefangen sind, dass wir nicht erkennen können, dass die Welt diesbezüglich wohl schon einen gewaltigen Schritt gegangen ist.

Gibt’s was zu lernen?
Der Omphalos ist der Bauchnabel der Welt. Den alten Griechen diente er als Beweisstück dafür, dass ihr Reich der Mittelpunkt der Erde sei, denn der Nabel soll wie ein Meteor vom Himmel gefallen sein und seine Lage wurde durch zwei göttliche Vögel bestätigt. Eben diese besagten Adler wurden an den Rändern des Reiches freigelassen und haben sich just über dem Omphalos, also in Delphi getroffen. Eine schöne Geschichte – aber was lehrt sie uns?

Warum lernen wir nicht die Welt mit anderen Augen zu sehen?
Die Sicht auf die Welt hat sich inzwischen nachhaltig verändert. Google zeigt uns unsere Welt gefüttert mit Satelitenbildern und  interaktiven Streetview-Bildern aus der rotierenden Kamera der Google-Mobile. Der chinesische Suchdienst Baidu zeigt mit «map your life» seit einiger Zeit farbig vektorisierte Städtebilder. Doch während wir hier in der Schweiz die Bedenklichkeit von Streetview-Bilder vor Gericht diskutieren, sehen Teile dieser Welt die neue Realität bereits mit der Selbstverständlichkeit nützlicher Anwendungen.

BeijingShanghaiGuangzhouShenzhen auf Baidu.com

Was ist anders an den Bildern von Baidu? Die Städte sind digitalisiert und werden in interaktive vektorisierte 3D-Abbildungen umgesetzt. Solche Visualität bestaunt man bei uns noch in den Museen oder in den Games unserer Kinder. Die Anmutung dieser 3D-Landschaften erinnert an SimCity, der Computerspielwelt von Electronic Arts. In diesem Spiel geht es um Wirtschaftssimulation, allerdings ohne finanzielle Konsequenzen, denn es ist ja nur ein virtuelles Spiel. Und genau als solches nehmen wir die Realität von Baidu wahr – als Kunstwelt und als nicht wirklich real. Mit fatalen Folgen.

Baidu hat einen anderen Weg gefunden zu einer Visualisierung zu gelangen, weitab von Google-Streetview und unseren Rechtsstreitereien um das eigene Bild.

Es ist nicht so, dass etwas nicht wahr ist, nur weil wir es nicht sehen wollen. Unser Hirn funktioniert offenbar aber immer noch so. Wir können uns kaum vorstellen, dass die Welt irgendwo bereits ganz anders tickt. Das tut sie. Möglicherweise ist sie bereits etwas «davongetickt».

Hingucken
Während wir immer noch das Recht am eigenen Bild zu verteidigen versuchen, hat der chinesische Suchdienst Baidu schon längst eine Lösung, die Welt abzubilden gefunden. In detailreicher Grafik ist eine synthetische Welt entstanden. Wir schauen uns diese Karten mit «künstlerischem Blick» an und sind entzückt über die urbanen Moloche – zoombar, cool, lässig. Aber das Entscheidende ist: Kunst ist hier Anwendung geworden und hat mit cool wenig, mit Wahrnehmung viel zu tun.

«Was wir auf Baidu zu sehen bekommen ist weder Kunst noch Spiel, obwohl es in unseren Augen durchaus so wahr genommen wird.»

Und genau so, also mit einer bestimmten Verharmlosung und ohne die Botschaft zu verstehen, nehmen wir den chinesische Suchdienst und damit einen Teil von #China auch wahr. Wir schlagen uns in den alten Konventionen rum. Wir haben noch nicht wahrgenommen, dass sich das Bild der Welt verändert hat.

«Gelungene Kunst verwandelt unser Verständnis der Konventionen, indem sie unsere Wahrnehmung verändert.» Sol Lewitt

Ernsthaftigkeit vermisst
Lenkt man den Blick kritisch auf die aktuellen Tendenzen der Kunst, so lässt sich hierzulande einen Retrotrend in der Rezeption ausmachen. So auch in der eingangs erwähnten Ausstellung in Basel. Es wird eine Auseinandersetzung mit dem Thema herbeigeredet und inszeniert. Nichts scheint sich als Folge der globalen Veränderungen niedergeschlagen zu haben. Denn hätte man auch nur einen Gedanken verwendet zwischen dem, was in der Welt – nicht nur in der Kunstwelt – abgeht, müsste man etwas bescheidener die Frage stellen, ob unser Kunstbetrieb tatsächlich noch im Zentrum der Welt steht. Zu schmerzhaft wäre wohl die Antwort. Längst haben Chinesen, Thailänder und Länder fernab dem vermeintlichen «Kunst-Bauchnabel» von Zürich oder Basel übernommen. Viele haben erkannt, dass es nicht mehr um sie als individuelle Personen geht. Und genau darum werden sie wohl überleben.  Ich bedauere, dass wir die Maps von Baidu nur als Spielfläche oder Kunst wahrnehmen. Es ist weder das eine, noch das andere. Es ist «nur» der Suchdienst der Chinesen. Der eigenen Person wird da bereits nicht mehr diese überzogene Wichtigkeit beigemessen. Demut ist die angesagte Tugend. Das Recht am eigenen Bild wird auch hier verschwinden – Datenschutz oder Kunstbetrieb hin oder her.

Fischli/Weiss, 1990
Fischli/Weiss, 1990, Courtesy die Künstler

Danke dem Künstlerpaar Fischli/Weiss. Hättet ihr das damals vermutet?

Kunsthalle Basel: How to Work
27. März–22. Mai 2011

Juliette Blightman, Tania Pérez Córdova, Raphael Hefti, Tobias Kaspar, Adriana Lara, Adrian Melis, Pratchaya Phinthong, Pamela Rosenkranz, Pilvi Takala

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