Rücktritt von Sócrates stürzt Portugal in die Krise
Zurückgetretener Ministerpräsident José Sócrates.
Brüssel – Europa stellt sich auf milliardenschwere Hilfen für den nächsten Pleitekandidaten Portugal ein. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel präsentierte sich das ärmste Land Westeuropas am Donnerstag ohne handlungsfähige Regierung. Portugal dürfte nach Irland das nächste Euroland sein, dass unter den EU-Rettungsschirm flüchten muss. Auf dem EU-Gipfel wurde aber kein Hilfsantrag erwartet.
Um solche für den Euro gefährliche Schieflagen künftig zu vermeiden, wollten die Staats- und Regierungschef bis Freitag ein Massnahmenpaket beschliessen, das die gemeinsame Währung dauerhaft vor Spekulationen schützen soll. Deutschland drängt nach Diplomatenangaben Lissabon schon länger, Hilfe anzunehmen. Der Chef der konservativ orientierten Partei der Sozialdemokratie, Pedro Passos Coelho, beschwichtigte dagegen, er hoffe nicht, dass andere Länder Portugal aus der Klemme helfen müssten. Nach Schätzungen benötigt Portugal zwischen 60 und 70 Milliarden Euro. Griechenland hatte ein separates Hilfspaket von seinen Partnern und dem Internationalen Währungsfonds bekommen.
«Stresstest» für 143 Reaktoren
Auf dem Programm des EU-Gipfels stand zudem die Atom-Katastrophe in Japan und der Krieg gegen Libyen. In der EU gibt es Streit, ob die 143 Reaktoren einem «Stresstest» auf ihre Sicherheit unterzogen werden müssen. Deutschland ist dafür. Bei dem internationalen Einsatz gegen Libyen reagieren Partner wie Frankreich mit Unverständnis auf die Haltung der Bundesregierung, sich nicht an dem militärischen Einsatz gegen Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi zu beteiligen.
Grösste Reform seit 1999
Der umfassende Euro-Pakt gilt als historisch. Es ist die grösste Reform seit Einführung der Gemeinschaftswährung im Jahr 1999. Auch wenn die meisten Punkte des Massnahmenbündels inzwischen abgestimmt sind, rechneten Diplomaten dennoch mit Streit über Details. Aus einigen Delegationen war zu hören, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor den wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am kommenden Sonntag noch einmal mit einer harten Verhandlungsführung beim Wähler punkten wolle.
Demonstrationen gegen EU-Sparpolitik
Ziel des Pakets ist es, die Märkte zu beruhigen und künftige Schuldenkrisen zu vermeiden. Allerdings könnte dies für Portugal, dessen Regierung wegen des harten Sparkurses am Mittwochabend zurücktreten musste, zu spät kommen. Ökonomen gehen die Reformbeschlüsse nicht weit genug, weil sie die aktuelle Krise nicht lösen, und auch die Märkte zeigen sich unbeeindruckt. Der Euro verlor und sank auf 1,41 US-Dollar. Gegen die Sparpolitik der EU-Staaten demonstrierten in Brüssel rund 20.000 Menschen, dabei kam es auch zu Ausschreitungen. Die Partner sahen Portugal weiter in der Pflicht. «Die portugiesische Regierung muss dem Gipfel nun eine Analyse vorlegen», verlangte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.
«Dies ist ein Wendepunkt im Krisenmanagement»
Der EU-Gipfel will zum Euro ein Reformpaket beschliessen. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy lobte im Vorfeld: «Dies ist ein Wendepunkt im Krisenmanagement.» Allerdings räumte der Gipfelchef auch ein, dass nicht alle Probleme vorüber seien. Als Mittel gegen die Krise stockt Europa die Hilfen für Staaten, die unmittelbar vor dem Bankrott stehen, auf. Es vergrössert den Rettungsschirm und spannt ihn dauerhaft auf. So wird der jetzige Fonds auf 440 Milliarden Euro aufgestockt. Die Details dazu werden aber erst im Juni festgelegt – auch das verunsichert die Märkte.
Neuer 700-Mio-Rettungsschirm ab 2013
Von 2013 an wird es einen neuen Schirm (ESM), der auf Dauer angelegt ist, von rund 700 Milliarden Euro geben. Er löst den bisherigen Fonds EFSF ab, der im Mai vergangenen Jahres auf dem Höhepunkt der Krise überhastet geschaffen wurde. Von 2013 an sollen private Gläubiger an Rettungskosten beteiligt werden. Die Kanzlerin verlangte noch Nachbesserungen. Deutschland muss über fünf Jahre gestreckt rund 22 Milliarden Euro für den neuen Rettungsschirm einzahlen. Merkel forderte eine Staffelung der Zahlungsfristen. In einer Regierungserklärung im Bundestag beschwichtigte sie die Sorgen der Steuerzahler: «Die Haftung für Deutschland ist nach oben begrenzt.»
Wirtschaftspolitik aufeinander abstimmen
Zweitens verpflichten sich alle 17 Euro-Länder dazu, ihre Wirtschaftspolitik abzustimmen («Pakt für den Euro»). Zudem bekennen sich die Staaten zum Sparen und zu Wirtschaftsreformen. Doch Schuldensünder werden auch künftig nicht automatisch bestraft. Auch nach dem Scheitern der Socrates-Regierung fordert die EU einen harten Sparkurs von Portugal. Die Vorgaben müssten erreicht werden, sagte der Vorsitzende der Euro-Finanzminister, Luxemburgs Jean-Claude Juncker. Auch im Steuerstreit mit Irland zeichnete sich vor dem Gipfel keine Lösung ab. Dublin möchte in Brüssel verbilligte Zinsen für seine milliardenschweren Hilfskredite haben. Im Gegenzug verlangten die EU-Partner eine Anhebung der sehr niedrigen Körperschaftssteuer. Regierungschef Enda Kenny signalisierte kein Einlenken. (awp/mc/ss/upd/ps)