Atempause an den Ölmärkten
Stabilisierung oder Eskalation?
Hamburg – Atemholen an den Ölmärkten: Nach Anflügen von Panik durch die Eskalation der Unruhen in Libyen deutet sich eine Stabilisierung an. USA, EU und auch Saudi-Arabien sind offensichtlich bemüht, die Lage an der Ölpreisfront zu entschärfen. An den heimischen Tankstellen kletterten die Preise für Benzin und Diesel aber weiter.
An den teuersten Stationen mussten die Autofahrer zeitweise 1,57 Euro je Liter bezahlen. Das liegt nur noch zwei Cent unter dem Rekord vom Sommer 2008. Nach Einschätzung von Experten ist das grösste Problem derzeit die Angst an den Märkten vor einer Ausweitung der Unruhen im Nahen Osten. Eine Ölkrise drohe nur, wenn die Lage auch in anderen Ölstaaten kippt.
Brent-Preis bei 111 bis 112 Dollar
Der Preis für ein Barrel der Nordsee-Sorte Brent pendelte sich am Freitag im Handelsverlauf bei 111 bis 112 Dollar ein. Noch am Vortag war der Preis für Brentöl in der Spitze bis auf knapp 120 Dollar geklettert. Danach gab der Preis wieder spürbar nach, weil Saudi-Arabien sich bereit erklärt hatte, das fehlende Ölangebot aus Libyen ausgleichen zu wollen. Zum Jahresanfang lagen die Ölpreise noch unter 100 Dollar.
«Entscheidend ist, dass wir keine Versorgungsengpässe haben»
EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) rechnet fest damit, dass sich die Ölpreise trotz der Libyen-Krise in Kürze wieder entspannen werden. «Entscheidend ist, dass wir keine Versorgungsengpässe haben», sagte Oettinger am Freitag in Berlin bei einer Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrats. Zudem habe das libysche Öl mit zehn Prozent einen eher geringen Anteil an den europäischen Ölimporten.
Lager in EU-Staaten für mehrere Monate gefüllt
Er sei sich sicher, dass Russland und die OPEC-Staaten «alles tun werden, um Lieferengpässe zu vermeiden». Zudem seien die Lager in den EU-Staaten für mehrere Monate gefüllt. Wenn klar würde, dass keine Versorgungsengpässe drohen, würden sich die Ölpreise auch wieder entspannen, betonte Oettinger. Russland ist Deutschlands wichtigster Öllieferant. Libyen steht erst an fünfter Stelle.
Sorgen vor Ölpreisschock mindern
In den USA versuchte das Weisse Haus bereits, die Sorgen vor einem Ölpreisschock zu mindern. «Wir haben die Kapazität, im Falle einer massiven Lieferknappheit zu handeln», sagte Regierungssprecher Jay Carney mit Bezug auf die strategischen Öl-Lagerbestände des Landes.
Durchschnittlich 1,53 Euro für einen Liter Superbenzin
An deutschen Tankstellen kletterten die Preise für einen Liter Superbenzin im bundesweiten Durchschnitt auf 1,53 Euro am Freitag im Netz des Marktführers Aral. Diesel kostet 1,43 Euro und ist noch ein Stück vom Rekordhoch entfernt. Ein Liter Heizöl kostet etwa 83 Cent; der Höchststand vom Sommer 2008 betrug knapp einen Euro.
Widersprüchliche Nachrichten und Einschätzungen
Die Unsicherheit am Ölmarkt ist von widersprüchlichen Nachrichten und Einschätzungen hervorgerufen. Grundsätzlich sehen die meisten Branchenkenner die Ölversorgung als gesichert und die Marktlage als ausgeglichen an. Auch verfügen die Industrieländer ausreichend über private und staatliche Ölreserven, um Lieferausfälle bedeutender Ölförderländer auch über eine längere Zeit zu überbrücken. Das würde für eher sinkende Preise sprechen.
Libyen-Lieferungen leicht zu ersetzen?
Sollten Libyen-Lieferungen ausfallen, stünden andere Länder als Lieferanten bereit. Die Commerzbank schürte am Freitag jedoch Zweifel, ob zum Beispiel Saudi-Arabien das leichte libysche Öl ersetzen könne.
Störungen der weltweiten Ölversorgung denkbar
Auf der anderen Seite befürchten viele Ölhändler, dass auch andere Staaten in Nordafrika und Arabien in ihrer Förderung beeinträchtigt werden und die Transport- und Infrastrukturanlagen in der Golfregion in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Damit wären spürbare Störungen der weltweiten Ölversorgung und sprunghaft steigende Preise denkbar.
Spekulationen verstärken Preisausschläge
Verstärkt werden die Preisausschläge durch Investmentfonds, die sich spekulativ an den Rohstoffmärkten engagieren. Sie kaufen und verkaufen Ölkontrakte, die an den Ölbörsen mit unterschiedlichen Laufzeiten gehandelt werden. An einer Lieferung des Öls sind sie jedoch nicht interessiert. Die Commerzbank sagt voraus, dass der Ölmarkt weiterhin äusserst volatil bleiben wird. (awp/mc/ss)