Stefan Jaeger, CEO Nettobank AG
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Jaeger, mitten in einer der grössten Finanzkrisen stiegen Sie am 29. April 2010 mit der Nettobank, der ersten Schweizer Online-Privatbank, ins Rennen um die Gunst vermögender Kunden. Wie gut war das Timing und wie sehen die ersten Erfahrungen aus?
Stefan Jaeger: Die Gründung der Nettobank AG ist das Resultat einer sorgfältigen Auslegeordnung im Verlauf einer 18-monatigen Projektphase. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass die technologische Entwicklung der vergangenen Jahre die Bedürfnisse eines spezifischen Anleger-Typs ganz grundsätzlich verändert hat. Statt sich vor Ort über das Angebot einer Bank zu informieren, nutzt dieser Anleger das Internet, um sich – unabhängig seines Standorts – rasch einen Überblick zu verschaffen und Entscheidungen selbständig zu treffen. Dieser Anleger ist kritisch gegenüber Beratern und will eine transparente Lösung, bei der er nicht aufwendige Strukturen mitfinanzieren muss.
«Hin und her macht Taschen leer». Häufiges Handeln zahlt sich oft nicht aus; die Transaktionen verursachen Kosten und schaffen nur einen geringen Mehrwert.» Dr. Stefan Jaeger, CEO Nettobank AG
Die Finanzkrise hat diese Entwicklung noch beschleunigt. Viele Anleger realisieren, dass die Kosten, die nun aufgrund einer verstärkten Regulierung auf die Banken zurollen (Basel III, Kunden mit ausländischem Domizil) schliesslich sie finanzieren müssen. Es trifft zu, dass der Markt für vermögende Kunden hart umkämpft ist. Wir wollen, dass der Kunde nicht bloss Zuschauer dieses Rennens bleibt, sondern zum Gewinner wird. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass wir damit einen Nerv der Zeit getroffen haben.
Eine Handvoll Mitarbeiter, der Verzicht auf persönliche Beratung, das Internet und E-Mail als einzige Kommunikationskanäle, der Standort im Industriegelände Gossaus. Falls im Private Banking eine neue Bescheidenheit Einzug hält, ist die Nettobank die Verkörperung davon?
Die Vorgaben des Anlegers sind ehrgeizig: eine inhaltlich erstklassige Lösung, bei der die Kosten tief und transparent sind und die einen jederzeitigen Zugang sicherstellt. Wir glauben, dass sich diese Bedürfnisse nur erfüllen lassen mit einer schlanken Ausrichtung auf allen Stufen der Unternehmung. Die Bezeichnung «Netto» umschreibt ein Geschäftsmodell mit einfachen Prozessen und hohem Automatisierungsgrad. Unsere Dienstleistung ist im Weiteren gekennzeichnet durch effiziente Lösungen mit kostengünstigen, liquiden Bausteinen sowie transparenten Gebühren-Modellen.
Mit dem Verzicht auf teure Standorte und aufwendige Anlässe können wir mit einem erfahrenen Team genau jene Elemente einer Vermögensverwaltung anbieten, für welche uns der Kunde auch entschädigen will. Auf diese Weise maximieren wir seinen Nutzen, ohne Abstriche an der Qualität der Dienstleistung zu machen.
Wie gross schätzen Sie das Marktpotential für das Online Privatbankengeschäft, wie viele Kunden konnten Sie schon gewinnen und welche Wachstumspläne haben Sie?
Verschiedene Studien gehen von einem ganz erheblichen Marktpotential aus. Hintergrund ist die Tatsache, dass die Nutzung des Internets nicht nur stark zugenommen hat, sondern in immer neuen Lebensbereichen Einzug hält. Für viele Konsumenten ist es mittlerweile selbstverständlich, Bücher und Flugtickets elektronisch zu kaufen. Weshalb nicht auch online die Vermögensverwaltungs-Lösung auswählen? In diesem Feld sind wir Pioniere und wollen unsere Dienstleistung auch als etwas Neuartiges verstanden wissen, das sich nicht leicht mit bestehenden Angeboten vergleichen lässt. Die Nettobank sucht nicht den kurzfristigen, durch hohe Werbebudgets getriebenen Erfolg, sondern beabsichtigt, sich langfristig in diesem Feld zu positionieren. Im Zeitablauf soll das bestehende Angebot bedürfnisgerecht erweitert werden.
Wie viel Geld muss ich mitbringen, um bei der Nettobank als Kunde akzeptiert zu werden und welche Massnahmen haben Sie ergriffen, damit nur versteuerte, legale Gelder in Ihrem Bestand sind?
Das Ziel der Nettobank ist es, die Dienstleistung der Vermögensverwaltung für möglichst kleine Beträge anzubieten. Bei der Verwaltung eines individuellen Portfolios ergeben sich aufgrund der Stückelung der Instrumente und der Streuung der Risiken jedoch gewisse minimale Erfordernisse. Aufgrund solchen Überlegungen offerieren wir unsere Lösung ab einem Betrag von CHF 25’000.
«Beim Konzept der Mehrwertgebühr entrichtet der Anleger eine Vermögensverwaltungs-Gebühr nur für jene Perioden, in denen der Wert seines Portfolios auch tatsächlich angestiegen ist. Bleibt der Portfoliowert unverändert oder nimmt er ab, ist keine Gebühr geschuldet.»
Die regulatorischen Vorgaben gelten für alle Schweizer Banken gleichermassen. Die Nettobank identifiziert den Kunden, stellt den wirtschaftlich Berechtigten fest und klärt die Herkunft der Vermögenswerte ab. Im weiteren stellen wir dem Kunden die notwendigen Steuerunterlagen zur Verfügung, damit er seiner Pflicht einer ordnungsgemässen Versteuerung nachkommen kann.
Für die Verwaltung von Vermögen ab 100’000 CHF bieten Sie eine so genannte 15% Mehrwertgebühr an. Wie funktioniert dieses neuartige Gebührenmodell?
Beim Konzept der Mehrwertgebühr entrichtet der Anleger eine Vermögensverwaltungs-Gebühr nur für jene Perioden, in denen der Wert seines Portfolios auch tatsächlich angestiegen ist. Bleibt der Portfoliowert unverändert oder nimmt er ab, ist keine Gebühr geschuldet. Die Betrachtung und Abrechnung erfolgt monatlich. Zwischenzeitliche Rückgänge müssen zuerst wieder aufgeholt werden, bis wieder eine Gebühr geschuldet ist. Zu Beginn eines Kalenderjahres oder beim Wechsel von der Pauschal- auf die Mehrwertgebühr wird der Höchststand neu fixiert.
Mit der Mehrwertgebühr schaffen wir Wahlfreiheit. Während der eine Kunde die Kalkulierbarkeit einer Fixgebühr von 0.75% schätzt, pocht der andere auf gleichgerichtete Anreize für Kunde und Vermögensverwalter. Bei negativem Kursverlauf verdient die Bank nichts, bei positiver Kursentwicklung ist der Kunde bereit, 15% des Kursfortschritts als Gebühr an die Bank zu entrichten.
Da Sie bei diesem Mehrwertgebührenmodell nur Geld verdienen, wenn der Wert des Kunden-Portfolios steigt, besteht nicht die Gefahr, dass Sie bei sinkenden oder stagnierenden Märkten ein sehr hohes Risiko eingehen müssen, um unter dem Strich einen Gewinn zu machen?
Der Kunde wählt seine Lösung aufgrund seines individuellen Risikoprofils, die Bank verwaltet das Vermögen nach seinen Vorgaben. Jedes Portfolio hat sein spezifisches Startdatum und somit auch individuelle Referenzpunkte im Zeitablauf. Um zu vermeiden, dass die Bank bei schlechten Märkten generell höhere Risiken eingeht, wurde ein Limitensystem entwickelt, welches neben Positions- und Gegenpartei-Limiten auch Höchstlimiten bezüglich der einzelnen Anlageklassen vorsieht.
Da Sie alle Kundenportfolios aktiv managen, wer entscheidet über Anpassungen im Produktemix?
Sämtliche Entscheide bezüglich Strategie, Taktik und Risikosteuerung werden durch den Nettobank-Anlageausschuss vorgenommen.
«Physisch abgebildete Instrumente sind noch immer transparenter, synthetisch replizierte Instrumente sind kostengünstiger. Als unabhängiger Anbieter sind wir nicht auf ein spezifisches «Weltbild» fixiert.»
Mit der Wegelin & Co. Privatbank im Rücken und an der Seite haben Sie eine potente Hauptaktionärin und kompetente Dienstleisterin, zum Beispiel für die IT. Wie gross ist die Gefahr für Unstimmigkeiten, wenn eine wachsende Anzahl von Kunden der Wegelin sich plötzlich für die Leistungen der Nettobank erwärmen?
Das Angebot der Nettobank ist komplementär zu jenem von Wegelin & Co. Privatbankiers. Der Wegelin-Kunde schätzt neben der professionellen Verwaltung seines Portfolios auch die persönliche Beratung und das Erlebnis (Anlagekommentar, Kundenanlässe, etc.). Der Nettobank-Kunde dagegen will eine erstklassige, kostengünstige, jederzeit zugängliche Anlagelösung. Punkt.
Die Swissquote hat als mit Abstand grösste Online Bank (ca. 160’000 verwaltete Konten, 7,4 Milliarden Franken Depotvermögen) das ePrivate Banking ebenfalls für sich entdeckt. Was heisst das für Ihre Geschäftsplanung, wo liegen die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Anbieterinnen?
Wir unterscheiden uns in der Herkunft: Swissquote ist im Trading-Geschäft etabliert, wir sind im klassischen Private Banking beheimatet. Das Ziel im ePrivate Banking ist ein ähnliches. Die Lösungen unterscheiden sich in einigen grundlegenden Punkten. Für uns ist es wichtig, dem Kunden den einfachen Zugang zu einer professionellen Lösung mit maximaler Transparenz bei Inhalt und Kosten zu bieten.&
Aus Sicht der meisten Anleger war das vergangene Jahrzehnt im besten Falle ein Stillstand, die Enttäuschung über die ungleiche Entwicklung der Vermögen zeigt sich unter anderem in der «Abzocker»-Diskussion und der «Steuergerechtigkeits-Initiative». Wie möchten Sie das Vertrauen der Kunden mit Ihrer Online-Bank gewinnen und vor allem behalten?
Unser Ziel ist es, Vertrauen durch Transparenz zu schaffen. Bei uns muss der Interessent nicht erst Kunde werden, bevor er einen Anlagevorschlag betrachten kann. Die qualitative Bewertung sämtlicher eingesetzten Instrumente ist jederzeit frei ersichtlich. Wir sind kostenbewusst auf allen Ebenen der Unternehmung. Die Vermögensverwaltung erfolgt in klar strukturierter Weise; bei der Auswahl von Instrumenten berücksichtigen wir vorwiegend Exchange Traded Funds (ETF) – ein Anlagebereich, bei dem keine Vertriebsvergütungen an die Bank gezahlt werden. Bei unserer Mehrwert-Gebühr muss zuerst der Kunde einen Gewinn erzielen, bevor die Bank etwas davon hat.
Nach der aus Bankensicht überstandenen Krise blüht das Geschäft mit Derivaten, komplexen Bankprodukten und neuen Formen, wie dem Hyper Fast Speed Trading, schon wieder, während die Kunden die Produkte offenbar immer weniger verstehen und durchschauen. Wie gehen Sie mit dieser Entwicklung um, welche Produkte bieten Sie Ihren Kunden an?
Unser vordringliches Ziel ist es, ausschliesslich einfache, transparente Bausteine einzusetzen, die der Anleger auch verstehen kann.
«Unser Ziel ist es, Vertrauen durch Transparenz zu schaffen. Bei uns muss der Interessent nicht erst Kunde werden, bevor er einen Anlagevorschlag betrachten kann.»
Gerade die ETFs (Exchange Traded Funds, börsengehandelte Fonds), auf die Sie bei Ihren Produkten setzen, haben sich von relativ übersichtlichen Produkten zu komplexen Gebilden entwickelt, da sie nicht mehr physisch, durch den Kauf der zugrunde liegenden Wertschriften, abgebildet sein müssen, sondern synthetisch sein können (Kombination mit Swap-Geschäften). Was heisst das für Ihr Geschäftsmodell, auf welche Produkte werden Sie in Zukunft setzen?
Die Wahl der Abbildungsform (physisch oder synthetisch) bestimmt sich insbesondere auch durch die Eigenschaften des zugrundeliegenden Marktes. Die synthetische Form drängt sich dort auf, wo die Bestandteile des Indexes nicht leicht erworben werden können, weil etwa die Liquidität oder der Marktzugang beschränkt sind. Die Transparenz und Besicherung synthetischer Instrumente hat sich durch verschiedene Massnahmen einzelner Anbieter in jüngster Zeit erheblich verbessert.
Physisch abgebildete Instrumente sind noch immer transparenter, synthetisch replizierte Instrumente sind kostengünstiger. Als unabhängiger Anbieter sind wir nicht auf ein spezifisches «Weltbild» fixiert. Wir setzen eine Kombination von physisch und synthetisch replizierten ETF ein, wobei wir für beide Kategorien im Rahmen des Limitensystems maximale prozentuale Allokationen definiert haben. Vordringlich bleibt eine eingehende Analyse jedes einzelnen Instruments – unabhängig von der Abbildungsform. Obwohl es sich bei ETF um Sondervermögen handelt, können operative Risiken gegenüber den einzelnen Anbietern entstehen. Deshalb nehmen wir eine Diversifikation der Anlagen nicht nur bezüglich Märkten und Regionen vor, sondern auch bezüglich Anbietern und Abbildungsformen.
Die Diskussionen um die Zukunft der AHV und der zweiten Säule erhöhen den Druck, Vermögen vermehrt in der dritten Säule anzusparen. Eine zusätzliche Chance für Ihr Geschäftsmodell?
In der dritten Säule spart der Anleger langfristig; entsprechend wichtig sind Effizienz- und Kostenüberlegungen. Eine Lösung im Bereich 3a stellt deshalb eine logische Ergänzung der Angebots-Palette der Nettobank dar.
Ein grosses Thema im Internet ist der Datenklau und Datenschutz. Wie schützen Sie die Kundendaten vor unerlaubtem Zugriff und Angriffen von aussen und innen?
Unsere Internetseiten sind mindestens 1024 Bit-verschlüsselt. Die elektronische Korrespondenz mit unseren Kunden findet ausschliesslich auf unserem mehrfach geschützten Server statt. Für die Online-Banking-Umgebung wurden zusätzliche Schutzvorkehrungen getroffen, die den höchsten Standards entsprechen. Das Login erfolgt anhand eines Challenge Response Verfahrens, bei dem die persönliche Authentifizierung über drei Stufen (Passwort, Vertragsnummer und Gerät) sichergestellt wird.
Zum Schluss des Gespräches haben Sie noch zwei Wünsche frei. Wie sehen diese aus?
1. Mehr Kostentransparenz
In der Vermögensverwaltung besteht wenig Kostentransparenz; die Kosten der Beratung werden oftmals verdeckt auf die Anlagelösungen überwälzt. In diesem Zusammenhang ist zu begrüssen, dass die FINMA Schritte unternommen hat, die Banken zu mehr Kostentransparenz zu zwingen.
2. Stärkere Wahrnehmung der Erkenntnis: «Hin und her macht Taschen leer»
Häufiges Handeln zahlt sich oft nicht aus; die Transaktionen verursachen Kosten und schaffen nur einen geringen Mehrwert. Das Portfolio muss auf jeden Fall strategisch richtig ausgerichtet werden. Zusätzliche Anpassungen zur Steuerung der Taktik und des Risikos müssen nach einer klaren Systematik erfolgen.
Der Gesprächspartner:
Das Unternehmen:
Die Nettobank ist eine Vermögensverwaltungsbank und verfolgt die konsequente Umsetzung einer ePrivate Banking-Strategie. Die Verwendung des Internets als Schnittstelle zu unseren Kunden betrachten wir als wesentlichen Schritt zur Modernisierung der klassischen Private Banking-Aktivitäten. Unsere Geschäftstätigkeit ist auf die Kernprozesse fokussiert und unsere Anlagegrundsätze orientieren sich an indexnahen kostengünstigen Lösungen. Die Nettobank AG ist eine 100-%ige Tochtergesellschaft der Wegelin & Co. AG. Die 1741 gegründete Privatbank Wegelin & Co. ist die älteste Bank der Schweiz. Sie beschäftigt an 12 Standorten in der Schweiz 700 Mitarbeiter und verwaltet ein Vermögen von mehr als 26 Milliarden Franken.