EZB: Mit Steuermehreinnahmen Haushaltslöcher stopfen

«Es kommen gute Jahre auf uns zu», sagte Ökonom Kai Carstensen vom Münchner ifo-Institut am Donnerstag bei der Vorstellung des neuen Herbstgutachtens in Berlin. Die Ökonomen schraubten ihre Wachstumsprognose für 2010 deutlich von 1,5 auf 3,5 Prozent hoch.


Verschiedene Risikofaktoren
«Die deutsche Wirtschaft ist auf gutem Weg, den krisenbedingten Produktionseinbruch wettzumachen», hiess es. 2011 werde sich das Wachstum aber auf immer noch gute 2,0 Prozent abschwächen. Risikofaktoren seien eine mögliche Rezession in den USA, ein Ende des Immobilienbooms in China und neue Euro-Turbulenzen. Die Arbeitslosigkeit könne im nächsten Jahr im Schnitt auf 2,9 Millionen und damit auf den tiefsten Stand seit 1992 sinken. Auch rechnen die acht Institute mit deutlichen höheren Löhnen, was den überraschend starken Konsum weiter antreiben könne.


Schulden bis 2013 halbieren
Nach Ansicht von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist die Zuversicht der Verbraucher erfreulich: «Das ist ein gutes Zeichen für einen dauerhaften Aufschwung.» International müsse auf dem G20-Gipfel in Südkorea das Ziel verfolgt werden, dass alle Industrieländer bis 2013 ihre Schulden halbieren. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) betonte, Reformen zahlten sich aus: «Der XL-Aufschwung geht weiter.»


Keine Steuergeschenke
Die EZB ermahnte in ihrem Monatsbericht die Schuldensünder auf dem Kontinent: «Die Haushaltspläne aller Euroländer für das Jahr 2011 müssen das Bekenntnis zu einer ehrgeizigen Haushaltskonsolidierung (…) zum Ausdruck bringen.» Die Notenbanker fürchten, dass im Aufschwung auch in Deutschland weniger hart gespart wird und neue Steuergeschenke verteilt werden könnten. Eine Reihe von Ländern stehe vor grossen Herausforderungen, die «sofortige, ehrgeizige und überzeugende Korrekturmassnahmen» erforderlich machten. Bundesbank-Präsident Axel Weber sagte: «Konsolidierung ist jetzt Pflicht.»


Dax auf höchstem Stand seit September 2008
An den Märkten hielt die gute Stimmung an. Der deutsche Leitindex Dax erreichte zeitweise den höchsten Stand seit dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers im September 2008. Die Wirtschaftsforscher sehen aber noch keinen Grund zur Euphorie. Noch sei das Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht. 2009 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) historisch um 4,7 Prozent eingebrochen.


Zocker- Investoren sollen mithaften
Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft sagte: «Ein Ende der Finanzkrise können wir keineswegs ausrufen.» Die Ökonomen forderten eine Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes und ein Pleiteverfahren für Banken und Staaten. Auch sollten Zocker- Investoren bei Verlusten mithaften. Die Gewerkschaften fordern nun kräftige Lohnerhöhungen. «Wachstum muss sich für alle lohnen», erklärte der DGB. Die IG Metall kritisierte, der Beschäftigungsaufbau sei zum grossen Teil auf schlecht bezahlte Leiharbeit zurückzuführen. «Mit Leiharbeit wird zunehmend Stammbeschäftigung verdrängt und eine zweite industrielle Reservearmee aufgebaut», sagte Gewerkschafts-Vize Detlef Wetzel.


An Sparkurs festzuhalten
Der Industrieverband BDI und die Arbeitgeber riefen die Gewerkschaften auf, in den Tarifverhandlungen den Bogen nicht zu überspannen: «Angesichts der erfreulichen Lage darf das Augenmass nicht verloren gehen.» Die Bundesregierung fordern die Institute auf, am strikten Sparkurs festzuhalten. Die schwarz-gelbe Koalition hat ein 80- Milliarden-Euro-Programm auf den Weg gebracht, um die Staatsausgaben zu kürzen und die neue Schuldenbremse im Grundgesetz einzuhalten. Laut Gutachten kann Deutschland mit 2,7 Prozent im nächsten Jahr wieder die Defizitgrenze des EU-Stabilitätspaktes einhalten.&


Für automatische Sanktionen
Bundesbank-Chef Axel Weber hat Forderungen nach einer strengeren Anwendung des europäischen Stabilitätspakts bekräftigt. Die grössten Probleme resultieren laut Weber aus dem politischen Prozess, wo über eine mögliche Sanktionierung fiskalischen Fehlverhaltens entschieden wird, wie Weber am Donnerstag in Berlin sagte. «Die Erfahrung hat gezeigt, dass dieses Vorgehen dem Stabilitätspakt ein unerwünschtes Mass an Flexibilität verleiht.» Vorzuziehen sei mithin ein System automatischer Sanktionen. «Darüber hinaus genügt es nicht, nur auf das Budgetdefizit zu achten. Vielmehr muss auch der Schuldenstand stärker in die Betrachtung einbezogen werden.»

 

Gegen Feinsteuerung
Zugleich sprach sich Weber klar gegen eine wirtschafts- und finanzpolitische Feinsteuerung auf EU-Ebene aus. Vielmehr dürfte ein Vorgehen gegen einzelne Mitgliedsländer nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn Ungleichgewichte vorliegen, die eindeutige und erhebliche schädliche Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten haben. «Leistungsbilanzüberschüsse infolge wettbewerbsfähiger Unternehmen und einer moderaten Lohnentwicklung infolge einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zählen sicherlich nicht dazu.» Vor allem Deutschland wird seit längerem vorgehalten, hohe Exportüberschüsse auf Kosten anderer Länder zu erzielen.

Keine Deflationsgefahren
Das schwache Wachstum der weiten Geldmenge M3 in der Eurozone signalisiert nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) keine Deflationsgefahren. «Die Geldmenge M3 unterzeichnet derzeit das tatsächliche Trendwachstum der Geldmenge», teilte die EZB am Donnerstag mit. Dies könne dazu führen, dass einige Beobachter die tatsächlichen Deflationsgefahren überschätzten. So war die Geldmenge M3 im Zeitraum Mai bis Juli um lediglich 0,1 Prozent gewachsen.


Umschichten in andere Anlageformen
Die derzeit sehr steile Renditekurve habe insbesondere private Haushalte veranlasst aus der Geldmenge M3 in andere Anlageformen mit einer höheren Rendite umzuschichten. Die EZB verwies hier auf neue Analyseansätze, die sie in ihrem neuen Buch «Enhancing Monetary Analysis» vorstellte. So würde sich bei der Betrachtung einer ganzen Reihe von monetären Indikatoren zeigen, dass das Tendwachstum höher sei als dies durch das M3-Wachstum ausgewiesen werde.


Abbau von Übertreibungen
Zudem reflektiere das derzeit sehr niedrige Wachstum von M3 auch den Abbau von Übertreibungen in der Vergangenheit. Dabei lasse sich die Entwicklung von Geldmenge und privaten Krediten durchaus durch die wirtschaftliche Entwicklung erklären und weiche nicht grundsätzlich von Wachstumszyklen vor der Finanzkrise ab. Die EZB verwendet die monetäre Analyse um mittel- und langfristige Inflationsgefahren zu erkennen. Die wirtschaftliche Analyse dient hingegen dazu kurz- und mittelfristige Gefahren zu erkennen. Derzeit signalisiere die monetäre Analyse weder Inflations- noch Deflationsgefahren. (awp/mc/ss/20)

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