SNF: Secondos beruflich gebremst
Zu diesem Ergebnis kommt eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte Längsschnittstudie, die in Emmen durchgeführt wurde. Der Übertritt von der obligatorischen Schulzeit ins Berufsleben ist für Jugendliche ein schwieriger Moment in der heiklen Adoleszenzphase. Viele finden keine Lehrstelle oder keinen Zugang zu einer weiterführenden Schule. Der Staat hat das Problem erkannt und Gegenmassnahmen ergriffen, etwa indem er den Betroffenen ein so genanntes Brückenangebot offeriert, das die Schule mit einem Berufspraktikum kombiniert.
45 Jugendliche mit Migrationshintergrund befragt
Das Instrument wirkt auch bei ausländischen Jugendlichen, einer besonders von Arbeitslosigkeit bedrohten Gruppe. Doch mit der beruflichen Eingliederung ist es nicht getan. Unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds und vom Bundesamt für Migration, haben die Soziologinnen Eva Mey und Miriam Rorato (Hochschule Luzern) insgesamt 45 Jugendliche mit Migrationshintergrund vertieft zum Übertritt ins Erwachsenenalter befragt. Die zwischen 16 und 19 Jahre alten, in Emmen lebenden Secondos sind überwiegend in der Schweiz geboren und aufgewachsen, besitzen jedoch die Staatsbürgerschaft ihrer grösstenteils aus dem Balkan und Südeuropa eingewanderten Eltern. Die Ergebnisse der qualitativen Längsschnittstudie sind für Agglomerationsgemeinden mit einem hohen Ausländeranteil gültig.
Ernüchtert trotz beruflicher Eingliederung
Die Soziologinnen kommen zum Schluss, dass bei vielen Befragten die berufliche Eingliederung von Ernüchterung und Enttäuschung überschattet wird, obschon sie bereit sind, sich in die schweizerische Gesellschaft einzubringen. Noch im abschliessenden Schuljahr formulierten sie zuversichtlich ihre Berufswünsche. Drei Jahre später räumen sie ein, dass sie sich etwas anderes erhofft hätten. Selbst wenn sie grossen Einsatz zeigten und schulisch gute Leistungen erbrachten, mussten sie ihre Hoffnungen aufgeben. Sie wollten Verkäuferin oder Mechaniker werden und arbeiten jetzt als Pflegerin oder auf dem Bau. Das Brückenangebot funktioniert hier als Trichter: Es plaziert die Secondos auf dem Arbeitsmarkt dort, wo die wenig attraktiven Stellen frei geblieben sind.
Unterschiedliche Anpassungsmuster
Die Forscherinnen fanden bei den Jugendlichen unterschiedliche Anpassungsmuster: Während die einen sich in ihre Aussenseiterposition einfügen, zeigen andere einen grossen Willen, den sozialen Aufstieg zu schaffen und gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Wenn dies nicht gelingt, ist die Enttäuschung um so grösser. Sie scheint frühere Demütigungen im Alltag zu bestätigen, etwa die aufreibende Lehrstellensuche, das lange Warten auf die Einbürgerung oder den verwehrten Zutritt zu gewissen Clubs und Diskotheken.
Politische Mitsprache auf Gemeindeebene
Statt dass die Secondos mit dem Eintritt ins Berufsleben mit Jugendlichen anderer Nationalitäten in Kontakt kämen, engagieren sie sich vermehrt im Kreis ihrer Familie, Verwandtschaft und ihren Communities. Sie wenden sich von der Schweiz ab, definieren sich ausschliesslich als Ausländer und möchten sich nicht mehr einbürgern lassen. Eva Mey sieht in dieser Entwicklung eine verpasste Chance, die Secondos für die Schweiz zu gewinnen. Wer in der ohnehin labilen Adoleszenzphase das Gefühl vermittelt bekomme, nicht gebraucht zu werden, verliere das Interesse an gesellschaftlicher Teilhabe. Diesen Knick im Integrationsprozess gelte es zu verhindern.
Eva Mey empfiehlt der Politik, vermehrt um die Secondos zu werben, etwa mit politischen Mitspracherechten auf Gemeindeebene. Damit die berufliche Eingliederung nicht in Aussenseiterpositionen führe, müsse schon beim Übertritt in die Sekundarstufe I die Chancengleichheit verbessert werden. Die Zuteilung auf verschiedene schulische Niveaus sollte deshalb konsequenter als bisher nach dem Prinzip «Leistung statt Herkunft» erfolgen. (snf/mc/ps)