Weko-Präsident: In der EU ginge es der Schweiz besser
Das Gespräch wurde bereits im März im Rahmen eines Schwerpunkts der «Unternehmerzeitung» zum Verhältnis der Schweiz zur EU geführt. Die Schweizer Wirtschaft sei wegen der politischen Isolation benachteiligt. Dies gelte insbesondere für die Binnenwirtschaft, die von den Liberalisierungen in Europa abgeschottet bleibe.
«Liberalisierungen erfolgen zu spät»
«Es ist nicht so, dass die Liberalisierungen nicht vorgenommen werden, aber in der Regel fünf bis zehn Jahre zu spät», sagte Stoffel, der das Präsidium der Wettbewerbskommission (Weko) auf Ende Juni aufgibt. So sei die Öffnung des Schweizer Telekommarktes ein paar Jahre zu spät erfolgt, so dass die Swisscom als ehemalige Staatsmonopolistin einen grossen Startvorteil gehabt habe. Im Mobilfunk seien statt der erhofften drei zusätzlichen Anbieter mit Orange und Sunrise nur zwei in die Schweiz gekommen. «Wir haben wenige Wettbewerber im Mobilfunk und hohe Preise. Die Leidtragenden sind die Konsumenten», sagte Stoffel. Auch bei der Übernahme des «Cassis-de-Dijon-Prinzips» sei die Schweiz als politische Insel sehr spät dran. «Als EU oder EWR-Mitglied hätten wir Cassis-de-Dijon seit 15 Jahren, ohne jahrelangen Aufwand», sagte Stoffel.
Cassis-de-Dijon nun auch in der Schweiz in Kraft
Erst letzte Woche hatte der Bundesrat das Prinzip in Kraft gesetzt, womit Produkte, die in der EU oder im EWR rechtmässig in Verkehr gesetzt wurden, auch in der Schweiz ohne zusätzliche Kontrollen vertrieben werden dürfen. Auf der anderen Seite hätten sich die grossen Ängste vor einer grossen Arbeitslosigkeit mit der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit nicht bewahrheitet, sagte Stoffel: Die Vorteile für die Schweiz überwögen. «Auf dem Gebiet der Steuern hätten wir zweifellos eine grosse Anstrengung zu unternehmen, da wir die Mehrwertsteuer anheben und die direkte Steuerbelastung senken müssten. Aber das wäre machbar», sagte Stoffel.
Wettbewerbsvorteil tiefe Zinsen
Bei den Zinsen müsste die Schweiz das geringe Niveau hierzulande, wenn immer möglich, behalten: Dies sei ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. «Das heisst konkret: EU-Beitritt ja, Übernahme des Euro als Währung vorderhand nein. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz eine solche Lösung erhobenen Hauptes in Brüssel vorbringen kann. Allerdings nur, wenn wir nicht mehr allzu lange warten», sagte Stoffel. Auch für die Wettbewerbsbehörde erschwere die Isolation der Schweiz innerhalb Europas die Arbeit, bekräftigte Stoffel: «Wenn Schweizer Firmen durch Preisabsprachen im benachbarten Ausland benachteiligt werden, sind uns die Hände gebunden», sagte Stoffel. Die Weko könne nicht mit Untersuchungen aktiv werden, da es keine Rechtshilfeabkommen mit den Nachbarländern gebe.
Bilaterale keine Alternative zu Beitritt
Die bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU seien keine Alternative für einen EU-Beitritt, sagte Stoffel: «Sie verursachen einen hohen Aufwand und ändern schliesslich nichts. Wir übernehmen praktisch alle europäischen Richtlinien, aber immer mit einer Verspätung.» Die Schweiz handle sich dadurch einen wirtschaftlichen Verspätungsschaden ein. Dieser wachse jedes Jahr weiter und sei kaum mehr zu kompensieren. (awp/mc/ps/17)