Österreich: Jeder Zweite von Gewalt im Job betroffen
Betroffen seien vor allem niedrig Qualifizierte, die sich weniger gut wehren können, berichtet die stv. vida-Bundesgeschäftsführerin Renate Lehner. Als Ursache dieser Situation vermuten die meisten Befragten steigenden Arbeitsdruck und die Angst um den Arbeitsplatz.
Wenig Sensibilisierung in Betrieben
Zwei von drei Befragten bezeichneten sexuelle Übergriffe in jedem Fall als Gewalt, Herumschreien und Einschüchterungen jeder Zweite. Bei Ausgrenzung, diskriminierenden Bemerkungen sowie Hänseleien und Verspottungen ist der Gedanke an Gewalt hingegen viel seltener. «Falls solche Zwischenfälle nicht als Gewalt angesehen werden, hat man auch keine Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, denn man würde sich lächerlich machen», warnt Georg Michenthaler vom Meinungsforschungsinstitut IFES. Allerdings werden selbst 58 Prozent der sexuellen Übergriffe von den Opfern widerstandslos hingenommen.
Verkehrsangestellte besonders gefährdet
Wie häufig gewaltsame Zwischenfälle sind, variiert von Branche zu Branche. «Betroffen sind besonders Berufe, die im öffentlichen Raum ein Massenpublikum bedienen und somit hohen Kundenkontakt haben», erklärt Michenthaler. Drei von vier Verkehrsangestellten waren schon Opfer von Gewalt, unter anderem von Hänseleien, Bedrohungen durch Kunden und auch von Handgreiflichkeiten. In der Hotelbranche sind hingegen Herumschreien, Einschüchterungen durch Vorgesetzte oder Kollegen sowie Mobbing gang und gäbe. Täter sind in allen Branchen eher die Kunden, manchmal Kollegen, seltener die Vorgesetzten.
Passivität macht Vorgesetzte zu Mittätern
«Sind Vorgesetzte auch nicht die Hauptauslöser, werden sie leicht Komplize der Gewalt, wenn sie diese dulden, nicht erkennen oder nicht präventiv verhindern», betont vida-Vorsitzender Rudolf Kaske. Ein Beispiel dafür sei die Personalknappheit in kritischen Situationen. «Oft begleiten nur zwei Zugschaffner einen Zug mit Fussballfans. Angesichts dieser eher gewaltbereiten Kundengruppe reicht es nicht, bei Zwischenfällen bloss auf ein Einschreiten der Polizei an der nächsten Haltestelle hoffen zu dürfen.» Ähnlich sei die Situation von Heimhelferinnen, die immer weniger Zeit pro Klient zu Verfügung haben, ergänzt Lehner. «Mehr Aggressionen auf Kundenseite sind vorprogrammiert.»
Massgeschneidertes Training
Gegenüber pressetext rät Kaske den Betrieben, die Mitarbeiter in massgeschneiderten Schulungen auf Gewaltvermeidung und -umgang zu trainieren. «Man sollte beim Arbeitseinstieg nicht nur die Funktionsweise von Geräten lernen, sondern auch etwa durch Rollenspiele Grundlagen des Konfliktmanagements einüben. So kann Gewalt oft schon im Vorfeld vermieden werden», so der vida-Vorsitzende. Etliche Betriebsräte würden mit ihren Dienstgebern bereits über derartige Regelungen verhandeln. «Massnahmen gegen Gewalt am Arbeitsplatz wie etwa die Besserung des Beitriebsklimas kommen Arbeitnehmern und -gebern zugute. Das gilt es zu vermitteln.»
Rütteln am Tabu
An die Politik richtet Kaske den Vorschlag, gewalttätige Übergriffe im Beruf nicht bloss als Verwaltungsdelikte zu behandeln. «Es hätte abschreckende Wirkung und würde das Tabu lockern, wenn eine Gewalttat ein Strafverfahren nach sich zieht», so der Experte. Wichtiges Ziel der Gewerkschaft ist auch die Enttabuisierung. «Vorfälle sollen nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden, damit sich der Eindruck nicht verfestigt, Gewalt gehöre zum Job.» (pte/mc/ps)