Pensionskassen auf dem Prüfstand
Für die bürgerliche Mehrheit des Parlaments, den Bundesrat und die Wirtschaftsverbände ist es ein klarer Fall: Wenn die Menschen immer älter werden, muss das während dem Arbeitsleben angesparte Pensionskassenkapital auch für eine längere Zeit herhalten. 1985, als die zweite Säule für die meisten Arbeitnehmer der Schweiz obligatorisch wurde, hatte ein Mann bei Erreichen des Pensionsalters statistisch gesehen noch 15,1 Lebensjahre vor sich. Frauen durften sich sogar auf 18,8 Jahre freuen.
Steigende Rest-Lebenserwartung
Der Bundesrat geht davon aus, dass die Rest-Lebenserwartung von Männern, die 2015 pensioniert werden, im Schnitt aber schon 20,37 Jahre betragen wird. Bei Frauen sollen es gar 23,1 Jahre sein. Das Altersguthaben muss damit bei Männern mehr als 5 Jahre länger reichen als 1985. Deshalb soll im Bundesgesetz über die Berufliche Vorsorge (BVG) der sogenannte Umwandlungssatz angepasst werden. Mit diesem Satz wird das Altersguthaben in eine jährliche Rente umgerechnet.
Schrittweise Senkung des Umwandlungssatzes auf 6,4 Prozent
Zurzeit beträgt der Satz 7% für Männer und 6,95% für Frauen. Nun soll er bis 2016 schrittweise auf 6,4% sinken. Ab dann sollen Neurentner pro 100’000 Fr. angespartem Alterskapital nur noch eine jährliche Rente von 6400 CHF statt von 7000 CHF erhalten. In einer ersten Anpassung wurde 2005 bereits beschlossen, den Umwandlungssatz für neue Renten bis 2014 auf 6,8% zu senken. Wer bereits eine Rente bezieht, ist von der Senkung nicht betroffen.
Linke: 6,8 Prozent reichen
Für die Gewerkschaften, die linken Parteien, die Lega, die Schweizer Demokraten und die Konsumentenmagazine «K-Tipp» und «Bon à savoir» reichen die 6,8% ohne weiteres, um die Renten zu finanzieren. Eine zusätzliche Senkung auf Vorrat sei nicht nötig. Sie hatten deshalb im letzten Jahr das Referendum ergriffen und innert 100 Tagen 205’000 Unterschriften gesammelt – viermal mehr als nötig sind.
«Rentenklau»
Die Referendumsführer bezeichnen die erneute Senkung des Umwandlungssatzes als «Rentenklau». So werde das Verfassungsziel nicht mehr erfüllt, wonach AHV und Zweite Säule zusammen etwa 60% des früheren Lohns absichern sollten. Die gewinnorientierten Versicherungen wollten dank der Rentenkürzung auch in Zukunft gut am Geschäft mit der beruflichen Altersvorsorge verdienen, schreiben die Gegner des tieferen Mindestumwandlungssatzes.
Versicherer weisen Vorwurf des Gewinnstrebens von sich
Der Versicherungsverband weist diese Vowürfe weit von sich. Das Verfassungsziel, die gewohnte Lebenshaltung in angemessener Weise fortzuführen, werde nach wie vor erreicht. Zudem werde der Gewinn der Versicherer durch den Umwandlungssatz nicht beeinflusst, da im BVG der Gewinn auf höchstens 10% beschränkt sei. Die Versicherer warnen gleichzeitig vor unsicheren Erträgen auf den Altersguthaben der Versicherten. Zusammen mit dem Bundesrat, der bürgerlichen Parlamentsmehrheit und den Wirtschaftsverbänden argumentieren sie, dass die zur Finanzierung des Umwandlungssatzes von 6,8% nötige Rendite von 4,9% zu hoch angesetzt sei.
Burkhalter: Wer Nein stimmt, spielt im Casino
Als Referenz gelten die Zinssätze der risikoarmen langfristigen Bundesanleihen, die in den letzten Jahren deutlich unter diesem Niveau lagen. Um das Renditeziel dennoch zu erreichen, müssten der Aktienanteil und damit die Risiken erhöht werden. Für Sozialminister Didier Burkhalter spielt damit im Casino, wer ein Nein in die Urne wirft. Für die Gegner der Vorlage ist das Schwarzmalerei. Prognosen über die Renditeerwartungen seien mit grosser Unsicherheit behaftet. Die Versicherer und ihre bürgerlichen Helfer würden sowohl bei der Lebenserwartung als auch bei den Renditen bewusst die Prognosen bevorzugen, die ein besonders pessimistisches Bild zeichneten.
Zweckpessimismus?
Auch Experten sind sich in der Frage der Renditeprognosen nicht einig. Zwar vertritt die Mehrheit der Schweizerischen Kammer der Pensionskassen-Experten die gleiche Meinung wie die Versicherer und wirft den Gegnern Schönfärberei vor. Diverse Experten unterstellen den Pensionskassen aber auch in dieser Frage Zweckpessimismus. Es gebe keinen Grund, weshalb in Zukunft nicht ähnliche Renditen erzielt werden können, wie in den vergangenen 25 Jahren. (awp/mc/ps/06)