Schweizer Wirtschaft rechnet nicht mit Kreditklemme
Unter den befragten Führungskräften von 30 Banken und 140 Unternehmen herrscht weiter grosse Einigkeit darüber, dass sich die Kreditkonditionen verschlechtern und die Anforderungen bei der Kreditvergabe weiter verschärfen werden. Das sind die wichtigsten Aussagen der Studie «Scheitert der Aufschwung an der Finanzierung?» des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens Ernst & Young. «Es spricht einiges für die Prognose, dass es in der Schweiz tatsächlich nicht zu einer Kreditklemme kommt», meint Stephan Haagmans, Partner und Leiter Transaction Advisory Services für Financial Services. «Denn die seitens der Unternehmen prognostizierte Kreditnachfrage scheint in etwa mit der Angebotsplanung der Banken übereinzustimmen.»
Banken erwarten mehrheitlich steigende Kreditnachfrage
Rund 53 Prozent der Banken erwarten in den kommenden zwölf Monaten eine steigende Kreditnachfrage. Dem stehen die Pläne der Unternehmen gegenüber, von denen 40 Prozent ihre Kreditnachfrage erhöhen wollen. Diese erhöhte Kreditnachfrage scheint zu einem guten Teil allerdings einer proaktiven Politik zur Liquiditätssicherung zu entspringen, plant doch nur jedes vierte Schweizer Unternehmen, seine Investitionen in den kommenden zwölf Monaten aufzustocken.
Zuversicht für 2010
Damit scheint sich die aktuelle Situation fortzusetzen. «Die Versorgung der Schweizer Wirtschaft mit Krediten sieht relativ gut aus», stellt Stephan Haagmans fest. Bei den Grossbanken hat die Kreditnachfrage inländischer Unternehmen sogar leicht abgenommen, bei den Kantonalbanken ist sie dagegen leicht gestiegen. Während die Schweizerische Nationalbank für das Gesamtjahr 2009 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um etwa 1,5 Prozent rechnet, sind Banken wie Unternehmen für 2010 überwiegend zuversichtlich gestimmt: 74 Prozent der Banken und 78 Prozent der Unternehmen erwarten einen beginnenden Aufschwung innerhalb der nächsten 18 Monate. Positiver als etwa die deutschsprachigen Nachbarn blicken die Schweizer Banken auf ihre Refinanzierungsmöglichkeiten. Verschlechterungen werden nur von kleinen Minderheiten erwartet, Verbesserungen dagegen überwiegend – je nach Art der Refinanzierung – von 20 bis 35 Prozent der Banken. Für «unverändert» entscheiden sich zwei Drittel bis gut drei Viertel der Institute.
Unternehmen rechnen mit schlechteren Konditionen
Aller Zuversicht zum Trotz: Ein grosser Teil der Unternehmen und ein nicht ganz so grosser Teil der Banken erwarten in der näheren Zukunft schlechtere Konditionen und verschärfte Anforderungen bei der Kreditvergabe. Höhere Nebenkosten, kürzere Laufzeiten, gekürzte Kreditlinien, höhere Anforderungen an Dokumentationen und Sicherheiten sowie strengere Bedingungen (vertragliche Nebenvereinbarungen, zum Beispiel Meldepflichten bei Unterschreiten bestimmter Performance-Kennziffern) werden von mindestens der Hälfte der Unternehmen erwartet. Die Banken sehen diese Entwicklung zwar nicht ganz so ausgeprägt, dennoch herrscht bei einem grossen Teil der befragten Banken und Unternehmen insofern Einigkeit, dass es in den nächsten zwölf Monaten schwieriger wird, auslaufende Kreditverträge zu verlängern. «Kaum ein Vertrag wird ohne grössere Veränderungen in die nächste Runde gehen. Die Unternehmen sollten die kommenden Prolongations-Verhandlungen sorgfältig vorbereiten», empfiehlt Peter Dauwalder, Partner und Leiter Corporate Restructuring.
Alternative Finanzierungsoptionen kommen nur langsam voran
Der Frage, ob auf alternative Finanzierungsinstrumente ausgewichen werden sollte, stellen sich gut 33 Prozent der befragten Unternehmen. Allerdings werden nur wenige Wege zu alternativen Fremdfinanzierungsformen gesehen. Der Anleihenmarkt mit innovativen Formen wie hybride Finanzierungen oder Wandelanleihen steht nur einem kleinen Kreis von Unternehmen mit genügender Grösse und Abdeckung durch Rating-Agenturen offen. Entsprechend bleiben als Alternativen zur klassischen Kreditfinanzierung oft nur das Leasing oder das Factoring übrig. Diese «Asset orientierten»-Finanzierungsformen werden jedoch oft teuer bezahlt und stellen entsprechend keine echte Alternative dar.
Risiken stärker auf mehrere Schultern verteilen
Wenig Veränderungsmöglichkeiten werden auch bei der Finanzierung grosser Investitionsvolumina gesehen. Dass Grossprojekte künftig wie bisher mit langfristigen Bankkrediten finanziert werden, glauben 60 Prozent der Banken und 49 Prozent der Unternehmen. Nach Meinung der Banken werden solche Risiken aber stärker als bisher auf mehrere Schultern verteilt – 52 Prozent der Institute gehen davon aus, dass Grossinvestitionen in Zukunft vermehrt von Bankenkonsortien finanziert werden. 50 Prozent der Unternehmen setzen dagegen auf eine höhere Eigenkapitalquote.
Nur jede 50. Firma wechselt die Bank
Um trotz wachsender Schwierigkeiten ihre Aussichten auf neue Kredite zu verbessern, sind zahlreiche Unternehmen zu internen Verbesserungen bereit. 34 Prozent wollen die Unternehmensplanung und -kontrolle, 27 Prozent ihr Liquiditätsmanagement und 26 Prozent ihr Rating verbessern. Ihre Finanzierungsstruktur wollen 21 Prozent der Firmen anpassen. «Dass 29 Prozent eine höhere Eigenkapitalquote anstreben, erscheint in der augenblicklichen Situation ehrgeizig», schränkt Peter Dauwalder ein. «Und erstaunlich ist, dass 40 Prozent gar keinen Handlungsbedarf sehen.» Beruhigend für die Banken ist immerhin: Nur 2 Prozent beabsichtigen, ihr Finanzinstitut zu wechseln.
Fazit
Sowohl die befragten Banken als auch die Unternehmen sind mehrheitlich der Ansicht, dass es in der Schweiz nicht zu einer Kreditklemme grösseren Ausmasses kommen wird. Dass einige Branchen in den kommenden zwölf Monaten mit Finanzierungsengpässen konfrontiert sein werden, wird jedoch ebenso wenig ausgeschlossen. Angesichts fehlender Alternativen im Fremdfinanzierungsbereich setzen die befragten Unternehmen vornehmlich auf Massnahmen zur innerbetrieblichen Liquiditätsfreisetzung. (ernst&young/mc/ps)