Deutschland: Schwarz-Gelb beschliesst erste Steuerentlastungen

Sie sollen bereits von Januar 2010 an greifen. Am Nachmittag beschloss auch die Unionsfraktion den Gesetzentwurf, die FDP wollte folgen. Mit dem Vorgehen soll eine Verabschiedung noch in diesem Jahr möglich sein.


Drittes Konjunkturpaket
Der Entwurf für das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist das dritte Konjunkturpaket, das Deutschland innerhalb eines Jahres gegen die Krise auflegt. «Steuerpolitik ist Wachstumspolitik», sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Es sollen Spielräume und zusätzliche Impulse für mehr Investitionen und Konsum geschaffen werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach von einer Chance, um vor allem dem Mittelstand und den Familien zu helfen. «Das muss schnell sein.» Vorwürfe einer Klientelpolitik etwa für Hoteliers wies er zurück. Verbände, Gewerkschaften und Opposition übten Kritik.


Am stärksten profitieren Familien
Am stärksten profitieren Familien, die von Januar an jährlich bis zu 4,6 Milliarden Euro mehr in der Tasche haben. Der Kinderfreibetrag soll von 6.024 auf jährlich 7.008 Euro angehoben werden. Nutzniesser sind vor allem Besserverdiener. Zur Kompensation für untere und mittlere Einkommen soll das monatliche Kindergeld um 20 Euro steigen. Der Städte- und Gemeindebund kritisierte, Investitionen in eine bessere Betreuung und Bildung von Kinder seien wichtiger als 20 Euro mehr im Monat. Der Verband forderte auch eine Kompensation der Steuerausfälle. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte, mit dem Gesetz wachse nicht das Steueraufkommen, «sondern die öffentliche Armut». An die sich selbst finanzierende Wachstumswirkung glaube ausser Union und FDP nahezu niemand. Die SPD nannte das Paket «eine dreiste Mogelpackung und ein unverantwortliches finanzpolitisches Abenteuer». Die Grünen sprachen von einem «Klientel- Bedienungsgesetz».


Arme Kinder und ihre Familien nicht vergessen
Der Caritasverband mahnte, arme Kinder und ihre Familien dürften nicht vergessen werden, die weder von Kindergeld noch Freibetrag profitierten. Aus Sicht der Linkspartei wird mit der Besserstellung «reicher» Familien neue «Gerechtigkeitslücken» geschaffen. Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen sprachen von einem Zwei- Klassen-System beim Kindergeld. Die Erhöhung müsse auch für Kinder aus Hartz IV-Haushalten gelten. Bisher wird es verrechnet. Vor allem auf Druck der CSU sollen auch Hotels, Pensionen oder Gasthöfe entlastet werden. Sie sollen für Übernachtungen statt 19 Prozent Mehrwertsteuer nur noch 7 Prozent zahlen. Dieses Steuerprivileg kostet den Staat Einnahmeausfälle von fast einer Milliarde Euro. Kritiker solcher Steuernachlässe monieren, dass die Vergünstigungen selten komplett an Verbraucher in Form günstigerer Preise weitergereicht werden und lediglich die Anbieter profitieren. Die Koalition begründet die Pläne mit dem europäischen Wettbewerb.


Weitere Steuersenkungen für Firmen
Für Firmen sind weitere Steuersenkungen von fast 2,4 Milliarden Euro geplant. Die Unternehmenssteuerreform von 2008 wird korrigiert. Instrumente, mit denen die niedrigeren Firmensteuern finanziert werden sollen, werden wegen der Krise entschärft oder abgeschafft. Zudem werden Geschwister, Nichten und Neffen bei der Erbschaftsteuer entlastet. Der Bundesverband der Selbständigen lobte die Entlastungen und forderte zügig weitere Massnahmen und Steuerreformen. Schon die schwarz-rote Vorgängerregierung hatte Steuerentlastungen von bis zu 14 Milliarden Euro vom kommenden Januar an beschlossen. Union und FDP planen von 2011 an weitere Entlastungen und eine Einkommensteuerreform. Insgesamt strebt Schwarz-Gelb Steuersenkungen von jährlich bis zu 24 Milliarden an. CSU-Chef Horst Seehofer stimmte die FDP auf schwere Verhandlungen über eine Reform ein.


Ausfälle in Etats
Auch CDU-geführte Landesregierungen verweisen auf die Ausfälle in ihren Etats. Von den 8,48 Milliarden Steuerausfällen im Jahr entfallen 4,63 Milliarden Euro auf den Bund. Rund 2,28 Milliarden müssen die Länder schultern und etwa 1,57 Milliarden die Gemeinden. Es wird erwartet, dass die Entlastungen nicht schon 2010 voll wirksam werden. Sie werden zunächst mit knapp 6,1 Milliarden veranschlagt. Schon 2011 sollen sie dann auf mehr als 8,2 Milliarden klettern. 


EU setzt Berlin Frist für Defizitabbau bis 2013
Deutschland muss nach dem Willen der EU-Kommission sein Defizit bis 2013 unter die erlaubte Schwelle von drei Prozent drücken. Das wurde am Montag in Brüssel vor den Beratungen der Euro- Finanzminister deutlich. Bei dem zweitägigen Treffen der europäischen Ressortchefs sollte über die Sanierung der Staatsfinanzen in den Mitgliedstaaten beraten werden. Die Kommission hatte gegen Deutschland und andere Defizitsünder bereits Strafverfahren auf den Weg gebracht; konkrete Empfehlungen zur Defizitrückführung sollen an diesem Mittwoch ausgesprochen werden. Die Kommission erwartet, dass Berlin im kommenden Jahr eine Neuverschuldung von 5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt erreicht – erlaubt sind höchstens 3 Prozent.


Schäuble muss sich gegenüber Brüssel erklären
Die Kommission pocht darauf, dass Deutschland und andere Mitgliedstaaten von 2011 mit dem Sparen anfangen. In Brüssel wurden Erläuterungen vom neuen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erwartet, wie dies mit den Steuersenkungsplänen der neuen schwarz-gelben Bundesregierung in Einklang zu bringen ist.  Die meisten EU-Länder haben wegen milliardenschwerer Ausgaben im Kampf gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise erhebliche Schuldenprobleme. Die Kommission setzt unter anderem auf den Euro- Stabilitätspakt, um die Defizite wieder in den Griff zu bekommen.


Griechenland kommt an die EU-Kandare
Insbesondere Griechenland, der Wackelkandidat der Eurozone, bekommt die harte Hand Brüssels zu spüren. Athen erwartet im laufenden Jahr nach neuen Zahlen bis zu 13 Prozent Defizit. Die EU-Behörde will dem Vernehmen nach die bereits laufende Strafprozedur verschärfen und damit den Athener Haushalt de facto unter Aufsicht stellen. In letzter Konsequenz drohen bei den Verfahren hohe Geldstrafen, die aber in der Praxis bisher nicht verhängt wurden. Die EU hatte den Pakt bereits 2005 gelockert, um den Mitgliedstaaten mehr Spielraum bei der Haushaltssanierung zu lassen. (awp/mc/ps/24)

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