Claus-Heinrich Daub, Nachhaltiges Management FHNW
von Patrick Gunti
Herr Daub, ein Analystenteam der Fachhochschule Nordwestschweiz analysiert seit 2002 die Geschäftsberichterstattung der 250 grössten Schweizer Unternehmen sowie einiger ausgewählter KMU. Welche Bereiche umfasst die Auswertung und wie verläuft das Auswahlverfahren?
In unsere Untersuchung einbezogen werden alle regelmässig erscheinenden Publikationen der Unternehmens, in dem diese über ihre Tätigkeiten berichten. Diese bilden zusammen die Geschäftsberichterstattung. Dabei bleibt es – im Gegensatz zu anderen Untersuchungen – einem Unternehmen selbst überlassen, welche Unterlagen es zur Beurteilung einreichen möchte. In der Regel ist dies der Geschäftsbericht, häufig ergänzt durch einen Nachhaltigkeitsbericht, Informationen aus den Internetseiten des Unternehmens und gegebenenfalls weitere Unterlagen wie Leitbilder oder Unternehmenszeitschriften.
Die Analyse selbst umfasst zwei Stufen. Auf der ersten wird geschaut, ob das Unternehmen überhaupt eine zeitgemässe Berichterstattung vorweisen kann. «State of the art» ist heute, dass keine rein ökonomisch-fianzielle Berichterstattung mehr vorgelegt wird, sondern auch auf die ökologische und soziale Performance des Unternehmens eingegangen wird. Beinhaltet eine Berichterstattung nicht mindestens ein Drittel Informationen aus diesem Bereich, fällt sie in dieser Stufe durch. Erfüllt sie das Kriterium, wird sie mit Hilfe eines primär auf den internationalen Richtlinien der Global Reporting Initiative basierenden Bewertungsrasters im Detail analysiert. Dieses 12-seitige Dokument kann von jedem Unternehmen eingesehen werden. So wird eine volle Transparenz unseres Vorgehens gewährleistet.
Der Industriekonzern Georg Fischer hat der aktuellsten Auswertung zufolge 2008 die beste Geschäftsberichterstattung publiziert. Was hat Georg Fischer besser gemacht als die Konkurrenz?
Um heute bei derartigen Rankings ganz oben stehen zu können, müssen viele Faktoren zusammenkommen. Wichtig ist z.B., dass man den nicht-ökonomischen Teil der Berichterstattung bereits ein paar Jahre macht und somit mit harten Daten und Fakten seine Erfolge (oder gegebenenfalls auch Misserfolge) über einen längeren Zeitraum nachweisen kann. Dies ist bei Georg Fischer der Fall. Hinzu kommt, dass man das Internet systematisch als Kommunikationskanal nutzt. Das ist dem Unternehmen ausserordentlich gut gelungen.
Im Finanzbereich fallen die grossen Verschiebungen auf: Die Bank Coop macht Boden gut und ist die bestklassierte Bank auf Platz 8, die ZKB (12) rückt massiv vor, auch die Basler KB ist besser klassiert als 2008 und viele andere Finanzinstitute erscheinen neu in den Top 50, während die UBS auf Platz 26 und die CS auf 29 jeweils neun Ränge verlieren. Was haben die Grossbanken 2008 weniger gut gemacht als im Vorjahr?
Derartige Verschiebungen haben wir in den letzten Jahren immer wieder erlebt und auch hier sind sehr unterschiedliche Gründe ausschlaggebend. So berichten einige Unternehmen z.B. nicht jährlich gleich ausführlich über ihre nicht-ökonomische Performance, so dass sie gleichsam wie ein Jojo im einen Jahr weiter oben rangieren und im nächsten weiter unten. Andere legen erstmals eine integrierte Berichterstattung vor. Im spezifischen Falle von UBS und CS ist deren etwas schlechteres Abschneiden primär darauf zurückzuführen, dass andere Banken besser geworden sind. Ausserdem wurden in diesem Jahr 57 statt 41 Berichterstattungen untersucht, so dass sich rechnerisch mehr Berichterstatter vor UBS und CS schieben konnten. Das zeigt übrigens, dass man sich auch im Bereich Berichterstattung nicht ausruhen darf, sondern jedes Jahr erneut danach streben soll, noch ein Stück transparenter und ehrlicher zu werden.
«Corporate Sustainability scheint sich unter all den verschiedenen Diskursen um unternehmerische Verantwortung definitiv durchgesetzt zu haben.»
Mit dem Brillenglashersteller Knecht&Müller aus Stein am Rhein konnte sich erstmals ein KMU in den Top-10 platzieren. Welche besonderen Herausforderungen stellen sich den KMU bei der Geschäftsberichterstattung?
Zuerst muss man klar sagen, dass Knecht&Müller einen Ausnahmefall darstellt. Der Geschäftsführer des Unternehmens, Dr. Peter Müller, «lebt» Nachhaltigkeit und hat auch sein Unternehmen komplett darauf eingestellt. Von seinem Schlage gibt es in der Schweiz derzeit noch nicht sehr viele Unternehmerinnen und Unternehmer. Dies ist auch einer der Gründe, warum viele KMU noch keine Nachhaltigkeitsberichterstattung publizieren. Ein weiterer ist der schlichte Umstand, dass sie dies vielfach auch nicht müssen. Sie hätten zwar aus wirtschaftsethischer Sicht die moralische Verpflichtung dazu, doch man kann sie nicht zwingen, weil dies die Gesetze nicht vorschreiben. Und wenn kein Druck seitens des Gesetzgebers besteht – wie dies in anderen Ländern durchaus der Fall ist -, stellt sich schnell die Kostenfrage. Immerhin kostet eine gute integrierte Berichterstattung eine Stange Geld. Dies nicht einmal in erster Linie für den Bericht selbst. Doch um z.B. über seine ökologische Performance berichten zu können, muss man zahlreiche Daten erheben und managen: Wasserverbrauch, Stromverbrauch, Verbrauch fossiler Energieträger usw. Das ist kostspielig und wird von vielen KMU als (finanzielle) Überlastung oder Zumutung empfunden.
Hat sich gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung ergeben, wenn man die Performance aller Unternehmen vergleicht?
Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Zunächst sieht es auf dem Papier so aus, als hätte es sogar eine Verschlechterung gegeben: von durchschnittlich 208 Punkten im Jahr 2008 auf 182 Punkte im Jahr 2009, was rechnerisch ein Minus von ca. 8% ausmacht. Was diese Zahlen jedoch nicht berücksichtigen (können) ist der Umstand, dass wieder etliche Berichterstattende neu hinzugekommen sind. Diese stehen häufig am Anfang einer integrierten Berichterstattung und schneiden naturgemäss nicht so gut ab. Zudem können Unternehmen jedes Jahr neu entscheiden, ob sie teilnehmen wollen. Sagen dann z.B. etwas weniger «Schlechte» ab als im Vorjahr – vielleicht, weil sie glauben, sich verbessert zu haben – rutschen sie in die Rangliste hinein und «drücken» den Schnitt nach unten.
Wurde vor Jahren noch darüber diskutiert, ob es sich nicht um einen Modegag handelt, ist der Geschäftsbericht heute in den grössten Schweizer Unternehmungen ein fester Bestandteil der Nachhaltigkeitspolitik. Welches sind die grössten Veränderungen, die Sie über die Jahre feststellen konnten?
Eine sehr schwierige, weil höchst komplexe Frage. Lassen Sie es mich einmal – notgedrungen verkürzt – so sagen: Nachhaltigkeit bzw. Corporate Sustainability scheint sich unter all den verschiedenen Diskursen um unternehmerische Verantwortung definitiv durchgesetzt zu haben. So kursierten z.B. in der Berichterstattung früher noch wesentlich mehr unterschiedliche Begriffe. Heute hat sich «Sustainability Reporting» als führender terminus technicus etabliert. Besonders interessant empfinde ich, dass sich die früher häufig in einen separaten Umwelt- und/oder Sozialbericht «ausgegliederte» Berichterstattung über ökologische und soziale Themen heute immer mehr ins Zentrum der Berichterstattung vorgearbeitet hat. Das zeigt deutlich, dass Themen wie Klimawandel, Energieeffizienz, Menschenrechte, Work-Life-Balance usw. heute verstärkt als strategische Themen und nicht mehr als Randthemen wahrgenommen werden. Die Zeiten, als man Umwelt- und Sozialberichterstattung noch gemacht hat, um die – meist als lästig empfundenen – Anspruchsgruppen zufrieden zu stellen, sind vorbei. Entsprechend hat sich auch die Leserschaft gewandelt: den Umwelt- und Sozialteil der Berichterstattung konsultieren heute nicht mehr «nur» Gewerkschaftler, Umweltaktivisten oder Wirtschaftsethiker, sondern vermehrt auch Finanzanalysten.
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Gibt es auch internationale Vergleiche und wenn ja, wie stehen die Schweizer Unternehmen gegenüber ihren internationalen Konkurrenten da?
Internationale Vergleiche gibt es nur zur Berichterstattung multinationaler Unternehmen. In derartigen Studien aus der Schweiz vertreten waren u.a. bereits ABB, Nestlé, Novartis, Holcim oder Swiss Re. Wenn Schweizer Unternehmen mit berücksichtigt wurden, schnitten sie meist recht gut ab – selten ganz weit vorne, doch auch selten ganz unten. «Obere Mittelklasse» würde man wohl bei Autos sagen.
Wie haben sich die publizistischen Anforderungen im Bereich der Geschäftsberichterstattung entwickelt?
Die rein publizistischen Anforderungen haben sich vor allem in einem Bereich gewandelt: Die Berichterstattung muss noch transparenter, noch ehrlicher und noch dialogorientierter werden. In der heutigen Zeit kann mehr als je zuvor ein Wort oder Satz auf die Goldwaage gelegt werden. Dies natürlich nicht zuletzt dann, wenn man auf eine Berichterstattung auch noch «Sustainability Reporting» schreibt. Dieser Umstand bedingt, dass die Verfasser eine noch höhere Verantwortung tragen für das, was publiziert wird und sich entsprechend noch besser mit der Komplexität der Nachhaltigkeitsthematik auseinandersetzen müssen. Dies auch, um dieses komplexe Thema den Rezipienten näher zu bringen.
«Wenn ich etwas gar nicht vertrage, ist es der Versuch, sich Namen einzukaufen, um «Greenwashing» zu betreiben.»
Inwieweit ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung eine Marketing-Massnahme?
Das kommt ganz auf das jeweilige Unternehmen an. Bei manchen gehe ich davon aus, dass es primär eine Marketingmassnahme darstellt nach dem Motto: Der Meinungsmarkt verlangt von uns eine solche Berichterstattung, also soll er sie haben. Was denken Sie, wie viele Unternehmen schon bei mir angeklopft haben, um bei der Entwicklung einer solchen «Marketing-Berichterstattung» unterstützt zu werden? Sie können sich vorstellen, dass ich dankend abgelehnt habe. Wenn ich etwas gar nicht vertrage, ist es der Versuch, sich Namen einzukaufen, um «Greenwashing» zu betreiben. Bei anderen Unternehmen hingegen ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht nur, aber immer auch eine Marketing-Massnahme – weil man schlicht will, dass das Gute, was man tut, auch so wahrgenommen wird. Dort beschränkt es sich jedoch nicht nur darauf. Im extremsten Fall empfindet es ein Unternehmen schlicht als seine moralische Verpflichtung, Rechenschaft abzulegen und täte dies auch dann, wenn es keine messbare Wirkung im Markt erzielen würde.
Welchen Einfluss hat die Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Bereitschaft von Unternehmen, etwas für die soziale und ökologische Umwelt zu tun und auch entsprechend darüber Bericht abzulegen?
Auch hier erlebe ich die unterschiedlichsten Entwicklungen – und die sind spannend wie ein Krimi. Eine Gruppe von Unternehmen entdeckt plötzlich, dass man gerade in Zeiten der Krise, die ja auch eine Vertrauenskrise ist, mit transparenter Kommunikation punkten kann. Ohne dies wissenschaftlich belegen zu können, glaube ich, dass nicht zuletzt diese Erkenntnis dazu beigetragen hat, dass gerade Banken in Sachen Berichterstattung in letzter Zeit Gas geben. Andere hingegen reduzieren ihre Anstrengungen. Da die Berichterstattung ja traditionell ein Bereich ist, den man als nicht ganz so relevant erachtet, glaubt man, hier rasch und vermeintlich wenig folgenlos kürzen zu können. In meinen Augen ist das ein gewaltiger Trugschluss, doch das müssen die Unternehmenslenkerinnen und -lenker selbst entscheiden.
Von welcher weiteren Entwicklung gehen Sie in den kommenden Jahren im Bereich der Geschäftsberichterstattung aus?
Bereits vor knapp zehn Jahren habe ich prognostiziert, dass sich die Nachhaltigkeitsberichterstattung, also das systematische und integrierte jährlich Berichten über die ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen unternehmerischen Handelns als künftige Form der Berichterstattung durchsetzen wird. Dabei bleibe ich – gestärkt durch die Entwicklungen in diesem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. Des Weiteren gehe ich davon aus, dass es einen systematischen Kompetenz- und Know-how-Aufbau in der Kommunikationsbranche geben wird. Derzeit erleben wir einen wahren «Run» von Agenturen und Beratern auf das Thema Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsberichterstattung, wobei sich deren Kenntnisse und Fähigkeiten häufig in Grenzen halten. Dies führt in der Konsequenz zu unausgegorenen Nachhaltigkeitsstrategien und schlechten Berichten.
Und schliesslich gehe ich davon aus, dass auch immer mehr Non-Profit-Organisationen eine Nachhaltigkeitsberichterstattung vorlegen werden. Allerdings fehlt bei ihnen das Know-how häufig noch mehr als bei Unternehmen, die nunmehr seit etlichen Jahren mit Forderungen nach mehr Transparenz und nachhaltigerem Wirtschaften konfrontiert sind und sich mehr oder weniger mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Was geschehen kann, wenn man ohne fundiertes Wissen und mit bescheidenen kommunikativen Fähigkeiten an eine Nachhaltigkeitsberichterstattung geht, habe ich gerade an einem Extremfall erlebt, bei dem ein eigentlich renommiertes Schweizer Hilfswerk nach einer Art «Crashkurs» in Sachen Nachhaltigkeit kurzerhand seinen ersten «Nachhaltigkeitsbericht» veröffentlichte. Ich sage nur so viel: Es hätte sich wirklich einen Gefallen getan, wenn es damit noch ein oder zwei Jahre gewartet hätte.
Herr Daub, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Prof. Dr. Claus-Heinrich Daub, Leiter Kompetenzschwerpunkt nachhaltiges Management FHNW
Studium der Soziologie, Philosophie, Volkskunde, Politikwissenschaften und Verwaltungswissenschaften an den Universitäten Konstanz, Freiburg/Bg. und Basel (1990-1994). Promotion in Soziologie 1996 zum Dr. phil., Habilitation 2005. Internationale journalistische Tätigkeit von 1985 bis 1996; zwischen 1993 bis 1996 zusätzlich tätig als selbständiger Medienforscher und -berater. Von 1995 bis 1999 wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Universität Basel. Von 1996 bis 2000 Leiter Marketing und Kommunikation des Europäischen Zentrums für Wirtschaftsforschung und Strategieberatung, Prognos. Seit November 1999 Professor für Marketing an der Fachhochschule Nordwestschweiz, seit 2006 dort Leiter des Kompetenzzentrums nachhaltiges Management. Privatdozent an der Universität Basel, Visiting Professor an verschiedenen europäischen Universitäten (Limerick/IRL, Galway/IRL, Västeras/SV, Primorska/SLO) und Leiter des International Network for Sustainable Managment (IfSM).